Die Vigilantin. Sonja Reineke

Die Vigilantin - Sonja Reineke


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aus der Nase und man schlägt weiter zu … Dann kommt es aus den Ohren und man denkt: Halt! Aufpassen! Sonst ist er hinüber! Und man lässt den Schläger sinken … und dann kommt der Sack wieder auf die Füße und taumelt davon, und man muss ihm doch noch eins über die Rübe geben … und dann kracht etwas, er fällt um wie vom Blitz getroffen und der Schädel ist nur noch ein 3 D Puzzle, bei dem schon ein paar Teile fehlen … und man hat das ganze Blut im Gesicht, das spritzt wie Sau … ja, mit dem Baseballschläger ganze Arbeit zu leisten, ist eine Kunst … geht’s Ihnen nicht gut?“

      Ich wische mir kurz mit dem Ärmel über die Stirn. „Geht schon.“

      Wenn sie glaubt, mich mit Kaltschnäuzigkeit und Detailverliebten Berichten schockieren zu können, hat sie Pech. Ich arbeite bei einer Zeitung, und ich sehe fern. Gewalt in allen Einzelheiten ist heutzutage nichts Besonderes mehr. Nur ihr Plauderton hat mich etwas aus der Bahn geworfen. Das wird mir nicht noch einmal passieren.

      „Zäumen wir das Pferd nicht vom Schwanz auf“, schlage ich vor und sehne mich insgeheim nach etwas frischer Luft. Aber die Fenster in diesem Raum kann man nicht öffnen. Bergenbeck ist eine psychiatrische Klinik, die für Darlan ein eher ungeeigneter Ort ist: Hier verbüßen Mörder und Kinderschänder ihre Sicherheitsverwahrung. Darlan in eine weniger gut bewachte Einrichtung zu stecken, wäre aber niemandem in den Sinn gekommen. Erstens ist sie nicht dumm, zweitens haben sich zwei ihrer Fanclubs zum Ziel gemacht, sie zu befreien, und drittens ist sie ein Präzedenzfall. Die Entscheidung, wo man sie unterbringen soll, ist den Verantwortlichen nicht leicht gefallen. Sie wird streng bewacht, hat keinerlei Zugang zu Werkzeugen, Stricken oder Medikamenten und darf mit keinem der anderen Insassen mehr reden. Man wird den Eindruck nicht los, dass unsere Regierung mit ihrem Fall hoffnungslos überfordert ist. Wohl vor allem deswegen, weil die Bevölkerung sich so sehr auf ihre Seite schlägt, und weil Miriam Darlan etwas völlig Neues ist: eine Hausfrau, die beinahe Amok gelaufen wäre. Nach ihrer Festnahme fand man in ihrem Keller in einer Kiste mit Weihnachtsschmuck Pläne zur Sprengung des Brandenburger Tors, komplett mit aus dem Internet ausgedruckten Anweisungen zum Bombenbau. Das sollte ihr neuestes Projekt werden, nachdem sie ihre Todesliste abgearbeitet hatte. Einige Namen stehen noch aus. Wobei „Namen“ eigentlich zu viel gesagt ist. Die Polizei rätselt noch darüber, wer Guy in red Parka und Schlampe, die sich vorgedrängelt hat, sein mögen.

      „Fein“, sagt sie jetzt und fummelt mit dem Feuerzeug herum. Sobald sie wieder in ihre Zelle muss, wird es ihr abgenommen. Man geht bei ihr keinerlei Risiko ein.

      „Warum fangen wir nicht bei Ihrem ersten Mord an? Wann sind Sie ausge … wann hatten Sie die Nase so voll, dass sie Blut sehen wollten?“

      Sie wirft den Kopf zurück und lacht. „Sie gefallen mir, Ruth. Ich glaube, Sie werden ein prächtiges Buch schreiben. Na gut, fangen wir also mit dem Arschloch an, das zuerst dran glauben musste.“

      „Christian Wolfhardt“, sage ich und sehe sie aufmerksam an. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass Mörder oft ihre Opfer entmenschlichen und sich weigern, die Namen zu nennen, damit sie für sie nicht zu einem Individuum werden, sondern ein Objekt bleiben. Darlan lächelt spöttisch, und ich habe das mulmige Gefühl, dass sie mich durchschaut.

      „Ja, der. Also, das war so … Ich war einkaufen. Nur ein paar Kleinigkeiten für das Mittagessen und etwas aus dem Sportfachgeschäft für mich. Felix hatte Frühschicht und kam so gegen halb drei nach Hause. Gulasch sollte es geben, daran kann ich mich noch erinnern. Fleisch, Paprika und eine große Gemüsezwiebel habe ich eingekauft. Dann ging ich hinter dem Supermarkt in Richtung Park. Es war so ein schöner Tag im Frühling, sonnig aber noch etwas kalt, und ob man durch den Park nach Hause geht oder an der Engerschen Straße entlang, macht eigentlich zeitlich keinen Unterschied. Dort, wo der Park anfängt, ist der Weg für ein paar Meter ziemlich abschüssig, und die Fahrradfahrer benutzen diese paar Meter meistens, um so richtig Fahrt aufzunehmen. Das ist nicht so ganz ungefährlich. Ich hatte diesen Hügel schon hinter mir gelassen, da fuhr auch tatsächlich so ein Penner an mir vorbei, an meiner linken Seite, ohne zu klingeln und so dicht, dass er mich fast umgefahren hätte. Ich denke, sie schätzen mich meiner Taten wegen so ein, dass ich den gleich vom Rad gerissen und zur Sau gemacht habe, aber damals war ich noch anders: Angepasst, schüchtern. Ich sagte nichts, meckerte nur leise vor mich hin. Aber wegen ihm sah ich nach links und das war der Beginn von allem. Links ist nämlich ein großer Spielplatz. Ein wirklich schöner. Sandkasten, Schaukeln, was zum drauf Herumklettern. Und Bänke, damit die Begleitperson sich gemütlich hinsetzen kann. Auf einer der Schaukeln saß ein kleines Mädchen, vielleicht sechs oder sieben Jahre alt. Sie schaukelte nicht, sondern schurrte mit ihren Füßen im Matsch unter der Schaukel herum. Sie sah dabei auf ihre Stiefel. Ihr Haar war dunkel und zu kleinen Rattenschwänzen gebunden, sie trug einen blauen Anorak und hatte einen Schulranzen am Pfosten der Schaukel stehen. Sie war allein. Ich wollte weitergehen, da sah ich, dass sie doch nicht so allein war: Auf einer der Bänke saß ein Mann.“

      Sie streckt die Beine aus, wirft die Zigarette in den Aschenbecher, dreht sich auf dem Stuhl halb um und sieht aus dem Fenster. Sie sieht traurig aus, verstört. Zum ersten Mal sehe ich eine Art Emotion in ihr. Sie verschränkt die Arme vor der Brust und erzählt weiter. Aber sie starrt immer noch blicklos aus dem Fenster.

      „Man könnte sich natürlich denken: Gut, da ist Papi, er hat klein Vanessa oder Sandra von der Schule abgeholt und ihr eine halbe Stunde auf dem Spielplatz bewilligt, aber etwas an seinem Blick störte mich. Da war etwas Dunkles in ihm, etwas, das ich vielleicht nur sehen konnte, weil ich einen ähnlich dunklen Kern habe. Oder es war das Verhalten des Kindes an sich, denn sie wirkte irgendwie … verstört und unbehaglich, so als ob sie sich weit wegwünschte. Also sah ich genauer hin. Und bemerkte, dass der Kerl seine Hände nicht einfach im Schoss gefaltet hatte. Er bewegte sie. Er onanierte. Mitten am Tag saß er im Park am Spielplatz, sah einem Kind auf der Schaukel zu und holte sich einen runter. Ich konnte es kaum glauben.“ Sie dreht sich so ruckartig wieder zum Tisch um, dass ich erschreckt zusammenfahre. Dann legt sie den Kopf in beide Hände und erzählt weiter.

      „Er spürte wohl meinen Blick, denn er drehte den Kopf, sah mich, und ließ die Hände so im Schoss liegen, als ob nichts wäre. So, als ob er nur dasitzt, mit im Schoss gefalteten Händen und sich die Vögel am Himmel ansieht, oder die Enten auf der Wiese. So völlig abgebrüht. Und ich fragte mich, wie viele Leute, die an ihm vorbeigekommen waren, sich davon wohl schon haben foppen lassen und einfach weitergingen, ohne etwas Ungewöhnliches zu bemerken.

      Ich war in diesem Augenblick ähnlich abgebrüht. Eigentlich hätte ich wie vor den Kopf geschlagen stehen bleiben müssen. Aber ich drehte nur langsam den Kopf weg, lächelte dem Mädchen mit zitternden Mundwinkeln kurz zu und ging weiter. Gleich neben dem Spielplatz ist ein großes Gebüsch, das den restlichen Park vom Spielplatz abtrennt. Dahinter blieb ich stehen und versuchte, mich wieder unter Kontrolle zu bringen.

      Ich kann mir denken, dass sie meinen, die Darlan, die Mörderin, schlug sofort zu. Aber die gab es damals noch nicht. Ich wollte das tun, was ein aufrechter Bürger in dieser Situation wohl macht: Das Handy zücken und die Polizei rufen. Aber das Schicksal entschied es anders. Sehen Sie, ich hatte immer, immer mein Handy dabei. Egal ob ich weit wegfuhr oder nur zum Mülleimer ging: Ich nahm mein Handy immer mit. Das war so ein Tick von mir. Aber an diesem Tag, zum ersten Mal, hatte ich es zu Hause gelassen. Der Akku war leer, und so schloss ich es an das Ladegerät an, als ich zum Einkaufen ging, und dachte noch dabei: Lass es doch ruhig hier, der Marktkauf ist nur `ne Viertelstunde weg, du wirst es eh nicht brauchen.

      Da stand ich also nun hinter dem Gebüsch und konnte niemanden holen. Und da war da noch eine kleine, sachliche Stimme in meinem Kopf, die mir zuflüsterte, dass sie schon oft genug im Fernsehen davon gehört hatte, dass diese Arschlöcher, die sich an Kindern aufgeilen, nicht mal bestraft werden. Wenn ich die Polizei geholt hätte, der Kerl hätte einfach die Hände schnell aus der Hose genommen und behauptet, er hätte doch nichts gemacht. Und am nächsten Tag hätte er wieder dort gesessen und auf die Kleine gewartet … oder auf eine andere, die von der Schule nach Hause geht. Das sagte mir also diese Stimme, und sie hatte recht. Ich war auch wütend: Warum war die Kleine allein unterwegs? Warum holte sie niemand ab? Oder war diese Sau am Ende tatsächlich der Vater? Oder eher Erzeuger; kein Vater würde so etwas tun.“ Sie knetet sich die Stirn. „Ich war sehr durcheinander. Ich wusste


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