Die schönsten Sagen des klassischen Altertums - Zweiter Teil. Gustav Schwab

Die schönsten Sagen des klassischen Altertums - Zweiter Teil - Gustav  Schwab


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Ambrosia. Dies tat sie von einer Nacht zur andern. Einmal aber belauschte sie Peleus und schrie laut

       auf, als er seinen Sohn im Feuer zucken sah. Diese Störung hinderte Thetis, ihr Werk zu vollbringen,

       sie ließ den unmündigen Sohn, der auf diese Weise sterblich geblieben war, trostlos liegen, entfernte

       sich und kehrte nicht mehr in den Palast ihres Gatten zurück, sondern entwich in das feuchte

       Wellenreich der Nereiden. Peleus aber, der seinen Knaben gefährlich verwundet glaubte, hub ihn

       vom Boden auf und brachte ihn zu dem großen Wundarzt, dem Erzieher so vieler Helden, dem

       weisen Zentauren Chiron. Dieser nahm ihn liebreich auf und nährte den Knaben mit Bärenmark und

       mit der Leber von Löwen und Ebern. Als nun Achill neun Jahre alt war, erklärte der griechische Seher

       Kalchas, daß die ferne Stadt Troja in Asien, welcher der Untergang durch griechische Waffen

       bevorstehe, ohne den Knaben nicht werde erobert werden können. Diese Wahrsagung drang auch zu

       seiner Mutter Thetis hinab durch die tiefe See, und weil sie wußte, daß jener Feldzug ihrem Sohn den

       Tod bringen würde, so stieg sie wieder empor aus dem Meere, schlich sich in ihres Gatten Palast,

       steckte den Knaben in Mädchenkleider und brachte ihn in dieser Verwandlung zu dem Könige

       Lykomedes auf der Insel Skyros, der ihn unter seinen Mädchen als Jungfrau heranwachsen ließ und in

       weiblichen Arbeiten großzog. Als aber dem Jüngling der Flaum um das Kinn zu keimen anfing,

       entdeckte er sich in seiner Verkleidung der lieblichen Tochter des Königes, Deïdameia. Die gleiche

       zärtliche Neigung vereinigte in der Verborgenheit den Heldenjüngling mit der königlichen Jungfrau,

       und während er bei allen Bewohnern der Insel für eine Verwandte des Königs galt und auch bei

       Deïdameia für nichts anderes gelten sollte, war er heimlich ihr Gemahl geworden. Jetzt, wo der

       Göttersohn zur Besiegung Trojas unentbehrlich war, entdeckte der Seher Kalchas, dem wie sein

       Geschick so auch sein Aufenthalt kein Geheimnis geblieben, diesen letztern den Atriden; und nun

       schickten die Fürsten den Odysseus und den Diomedes ab, ihn in den Krieg zu holen. Als die Helden

       auf der Insel Skyros ankamen, wurden sie dem Könige und seinen Jungfrauen vorgeführt. Aber das

       zarte Jungfrauengesicht verbarg den künftigen Helden, und so scharfsichtig der Blick der beiden

       Griechenfürsten war, so vermochten sie doch nicht, ihn aus der Mädchenschar herauszuerkennen.

       Da nahm Odysseus seine Zuflucht zu einer List. Er ließ wie von ungefähr in den Frauensaal, in dem die

       Mädchen sich befanden, einen Schild und einen Speer bringen und dann die Kriegstrompete blasen,

       als ob der Feind heranrückte. Bei diesen Schreckenstönen entflohen alle Frauen aus dem Saale, Achill

       aber blieb allein zurück und griff mutig zu dem Speer und zu dem Schilde. Jetzt ward er von den

       Fürsten entlarvt und erbot sich, an der Spitze seiner Myrmidonen oder Thessalier, in Begleitung

       seines Erziehers Phönix und seines Freundes Patroklos, welcher mit ihm einst bei Peleus aufgezogen

       worden war, mit fünfzig Schiffen zu dem griechischen Heere zu stoßen.

       Zum Versammlungsort aller griechischen Fürsten und ihrer Scharen und Schiffe wurde die Hafenstadt

       Aulis in Böotien, an der Meerenge von Euböa, durch Agamemnon ausersehen, den die Volkshäupter

       als den tätigsten Beförderer der Unternehmung zum obersten Befehlshaber derselben ernannt

       hatten.

       In jenem Hafen sammelten sich nun außer den genannten Fürsten mit ihren Schiffen unzählige

       andere. Die vornehmsten darunter waren der riesige Ajax, der Sohn des Telamon aus Salamis, und

       sein Halbbruder Teucer, der treffliche Bogenschütze; der kleine, schnelle Ajax aus dem Lokrerlande;

       Menestheus aus Athen, Askalaphos und Ialmenos, Söhne des Kriegsgottes, mit ihren Minyern aus

       Orchomenos; aus Böotien Peneleos, Arkesilaos, Klonios, Prothoënor; aus Phokis Schedios und

       Epistrophos; aus Euböa und mit den Abanten Elephenor; mit einem Teile der Argiver und andern

       Peloponnesiern außer Diomedes, Sthenelos, der Sohn des Kapaneus, und Euryalos, der Sohn des

       Mekistheus; aus Pylos Nestor der Greis, der schon drei Menschenalter gesehen; aus Arkadien

       Agapenor, der Sohn des Ankaios; aus Elis und andern Städten Amphimachos, Thalpios, Diores und

       Polyxenos; aus Dulichion und den Echinadischen Inseln Meges, der Sohn des Phyleus; mit den

       Ätoliern Thoas, der Sohn des Andraimon; aus Kreta Idomeneus und Meriones; aus Rhodos der

       Heraklide Tlepolemos; aus Syme Nireus, der schönste Mann im griechischen Heere; aus den

       Kalydnischen Inseln die Herakliden Pheidippos und Antiphos; aus Phylake Podarkes, Sohn des

       Iphiklos; aus Pherai in Thessalien Eumelos, der Sohn des Admet und der frommen Alkestis; aus

       Methone, Thaumakia und Meliböa Philoktet; aus Trikka, Ithome und Öchalia die zwei heilkundigen

       Männer Podaleirios und Machaon; aus Ormenion und der Umgegend Eurypylos, der Sohn des

       Euaimon; aus Argissa und der Gegend Polypötes, der Sohn des Peirithoos, des Theseusfreundes;

       Guneus aus Kyphos, Prothoos aus Magnesia.

       Dies waren nebst den Atriden, Odysseus und Achill die Fürsten und Gebieter der Griechen, die,

       keiner mit wenigen Schiffen, sich in Aulis sammelten. Die Griechen selbst wurden damals bald

       Danaer genannt, von dem alten ägyptischen Könige Danaos her, der sich zu Argos im Peloponnese

       niedergelassen hatte, bald Argiver, von der mächtigsten Landschaft Griechenlands, Argolis oder dem

       Argiverlande; bald Achajer oder Achiver, von dem alten Namen Griechenlands Achaja. Später heißen

       sie Griechen, von Graikos, dem Sohne des Thessalos, und Hellenen, von Hellen, dem Sohne des

       Deukalion und der Pyrrha.

       Botschaft der Griechen an Priamos

       Unterdessen, solange die Ausrüstung der Griechen sich vorbereitete, ward von Agamemnon im Rate

       seiner Vertrauten und der Häupter des Volkes, um auch gütliche Mittel nicht unversucht zu lassen,

       beschlossen, daß eine Gesandtschaft nach Troja an den König Priamos abgehen sollte, um sich über

       die Verletzung des Völkerrechts und den Raub der griechischen Fürstin zu beschweren und die

       entrissene Gattin des Fürsten Menelaos samt ihren Schätzen zurückzufordern. Es wurden hierzu in

       der Versammlung der Kriegshäupter Palamedes, Odysseus und Menelaos auserwählt; und obgleich

       Odysseus im Herzen der Todfeind des Palamedes war, so unterwarf er sich doch zum gemeinen

       Besten der Einsicht dieses Fürsten, der in dem griechischen Heere um seines Verstandes und seiner

       Erfahrung willen hoch gefeiert war, und überließ ihm willig die Ehre, am Hofe des Königs Priamos als

       Sprecher aufzutreten.

       Die Trojaner und ihr König waren über die Ankunft einer Gesandtschaft, die mit einer ansehnlichen

       Schiffsrüstung erschien, in kein geringes Staunen versetzt. Sie wußten von der unmittelbaren

      


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