Spurlos. Manuela Martini

Spurlos - Manuela Martini


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Telefonzelle in der Innenstadt, Nähe der Post geschickt. Meine Leute sind bereits dort gewesen, aber was denkst du, wie viel Fingerabdrücke die da gefunden haben?“ Er klappte die Mappe zu.

      Shane stöhnte. „Ich hab meine letzte Woche anders geplant, Tony.“ Er warf einen Blick auf seine Uhr. In einer Stunde wäre er zu Hause gewesen, hätte Carol gesehen.

      „Wir können uns unser Schicksal nicht aussuchen, Shane!“

      „Deine Sprüche waren schon immer unübertroffen“, brummte Shane und stand auf. „Okay, zeig mir ihre Wohnung.“

      Costarelli grinste müde.

      6

      „Was ist bloß mit dir los gewesen?“ Matthew kratzte mit einer Drahtbürste den Grillrost sauber. Alison blieb mit dem Stapel Teller in der Hand vor ihm stehen. Die Neonleuchte über dem Grill flackerte, sie musste sich abwenden, sonst wurde ihr schwindlig.

      „Mir war nicht gut.“ Sie rang sich ein Lächeln ab, „ist schon wieder vorbei.“ Ihr Lächeln klappte bei diesem Versuch besser, und sie ging mit dem Stapel Teller ins Haus, aber als sie ihn auf der schwarzen Granit-Arbeitsfläche der Küche abstellte, brach ihr der Schweiß aus. Ihr Herz klopfte hart und schnell. Hastig drehte sie den Wasserhahn auf und ließ das Wasser über ihre Unterarme rinnen. Diese schrecklichen Stunden! Wie hatte sie sie nur überstehen können? Ihre Eltern sind einfach nicht gegangen und sie dachte die ganze Zeit an diese Valerie und dass sie ermordet worden war und ...

      Sie fuhr herum. Matthew stand auf einmal hinter ihr.

      „He?, was ist?“

      „Ich ... ich war nur in Gedanken.“

      Am liebsten wäre sie jetzt davon gelaufen. Einfach aus dem Haus gerannt. Aber sie war unfähig, einen Schritt zu tun, ja, sie fühlte sich wie gelähmt, erstarrt.

      „Matthew, bitte!“ Sie streckte abwehrend die Arme aus, doch er kam trotzdem näher und zog sie an sich. Steif hingen ihre Arme an ihrem Körper.

      „Liebling“, sagte er zärtlich, „es ist alles in Ordnung. Wir sind wieder für uns. Deine Eltern sind weg. Wir sollten uns mal wieder Zeit für uns nehmen.“

      Die Panik hatte sie voll erfasst. Sie zitterte ...

      „Ich war in letzter Zeit so selten für dich da …“ Seine Lippen näherten sich ihren. Sie konnte nicht ausweichen, mein Gott! – das darf nicht sein! Er weiß nicht, dass seine Geliebte ermordet wurde, er weiß nicht, dass ich … nein, ich war es nicht, ich habe nichts damit zu tun – alles ist nur ein Alptraum.

      „Lass’ uns rüber ins Schlafzimmer gehen …“, sprach er weiter.

      „Nein!“ Diese schrille Stimme, das war wohl sie.

      Er ließ sofort von ihr ab und starrte sie erschrocken an.

      „Es tut mir leid“, sie schlang die Arme um sich selbst, als würde das helfen. „Ich ... ich fühle mich nicht gut ... ich muss mich einfach nur mal hinlegen ... wirklich ... dann geht es schon wieder.“ Ohne eine Antwort abzuwarten stürzte sie an ihm vorbei ins Schlafzimmer, schloss die Tür ab, warf sich aufs Bett und weinte in die Kissen.

      „Alison?“, drang seine Stimme durch die Tür.

      Sie antwortete nicht.

      „Alison? Was ist los?“

      Sie drückte ihr Gesicht ins Kissen, sie hielt sich die Ohren zu ... geh! Geh! Geh einfach!, wollte sie schreien, aber ihre Stimme gehorchte ihr nicht mehr.

      „Alison, du musst jetzt etwas sagen, sonst trete ich die Tür ein!“

      Sie riss sich zusammen, holte Luft und sagt: „Ich fühle mich nicht gut ... das ist alles. Lass mich einfach heute Abend in Ruhe. Morgen geht es mir besser. Gute Nacht ... Schatz.“

      Mit Verzögerung wünschte er ihr auch eine gute Nacht. Sie hörte, wie sich seine Schritte langsam auf dem Holzboden entfernten und starrte an die Decke. Wann würde er die Nachrichten einschalten? Gleich? In einer Stunde? In zwei? Sie lag da und wartete auf einen Aufschrei, auf Türenknallen und das Aufheulen des Motors. Doch sie hörte nichts, nur einmal die Wasserspülung der Toilette. Er würde im Gästezimmer schlafen, wie öfter, wenn er früh aufstehen musste, oder wenn er sehr spät nach Hause kam ... wenn er von ihr gekommen war.

      Sie tastete nach der Nachttischschublade, zog sie auf und fand im Dunkeln die Schachtel mit den Schlaftabletten. Sie schluckte eine. Dann legte sie sich auf den Rücken und wartete, dass der Schlaf endlich ihre Gedanken auslöschte.

      7

      Die dunklen, schlecht beleuchteten Straßen Darwins waren jetzt in der Nacht noch ein wenig stiller. Nur an manchen Ecken, oft im Schatten von Bäumen, kauerten Betrunkene. Costarellli hatte beim Fahren das Fenster heruntergelassen, rauchte – und hustete.

      „Meinst du nicht auch, dass die Zigaretten dir nicht besonders gut tun?“, fragte Shane irgendwann.

      „Natürlich tun sie mir nicht gut, Shane“, brummte Costarelli und nahm einen tiefen Zug.

      „Schau dir den an“, Costarellli sah einem Aborigine nach, der mit einer Flasche in der Hand an einem Gartenzaun entlang wankte und ihnen nachwinkte. „Sie haben alles. Geld, Grundstücke – mein Gott, du glaubst gar nicht, was manche Communities für Einnahmen haben, weil sie ihr Land an einen verdammten Supermarkt oder eine Tankstelle verpachtet haben. Und dann die staatliche Unterstützung … Alles egal. Sie besaufen sich. Jeden Tag. Jede Nacht. Saufen sich dumm und dämlich. Und wenn noch ein bisschen Hirn übrig ist, schnüffeln sie’s weg mit Benzin.“ Costarelli nahm einen Zug. „Der Mensch ist einfach nicht logisch.“

      An einer ausgeschalteten Ampel bog Costarelli nach rechts ein und hielt kurz darauf auf der linken Straßenseite vor einem charmelosen dreigeschossigen Flachbau mit Klinkerfassade. Im Vorgarten wuchsen ein paar Sträucher und Gummipflanzen, der Rasen war kurz gemäht. Ein anonymes Haus, dachte Shane. Der Gärtner kommt hin und wieder, die Mieter kennen sich kaum. Schräg gegenüber leuchtete ein Schild mit der Aufschrift Holiday Apartments. Dieses Gebäude wirkte neuer und moderner.

      Costarelli schloss die Haustür aus Aluminium und geriffeltem Glas auf. Automatisch schaltete sich die Treppenhausbeleuchtung an, ein gelbliches Licht, das alles in ein undefiniertes Halbdunkel tauchte. Fenster standen auf, so dass der süßliche, tropische Geruch von draußen, die Mischung aus blühenden und verfaulenden Pflanzen, auch hier hereindrang. Auch einen leichten Geruch nach Curry glaubte Shane wahrzunehmen.

      Sie stiegen über eine Steintreppe in den ersten Stock hinauf, Costarelli öffnete mit dem passenden Schlüssel die versiegelte Tür und machte das Licht an. Helles Weiß strahlte. Weiß die Wände, die Ledercouch, der Tisch, die Stühle - nur der Teppichboden war hellgrau. Es war heiß und stickig, und die Klimaanlage ausgeschaltet.

      „Makellos sauber und hell“, sagte Costarelli. „Die Wohnung als Spiegel unserer Seele.“

      „Wusste gar nicht, dass du so poetisch bist“, brummte Shane worauf Costarelli hustete.

      Man stand sofort im Wohnzimmer, das auf der rechten Seite in eine offene Küche überging. Links kam man ins Schlafzimmer. Auch hier: weiße Wände, weiße Möbel, weiße Tagesdecke, grauer Teppichboden. Das Bett war ordentlich gemacht, auf einem Stuhl lagen ebenso ordentlich ein T-Shirt über der Lehne und ein Rock über der Sitzfläche.

      Korrekt, fiel Shane ein. Alex Wingers Lieblingswort. Und noch ein Wort fiel ihm ein: Kalt.

      „Irgendwelche Adressen?“, fragte Shane und ging zurück ins Wohnzimmer.

      „Ihr Notebook ist nicht da. Sie hatte es mit im Gericht.“

      Shane betrachtete die Bücher, mit denen eines der beiden Regale von oben bis unten gefüllt war. Juristische Abhandlungen, konnte er ausmachen, und dann Krimis. Es überraschte ihn nicht, dass sie


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