Heil mich, wenn du kannst. Melanie Weber-Tilse

Heil mich, wenn du kannst - Melanie Weber-Tilse


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waren, aber es herrschte ein dunkles Loch.

      »Nun ja, sie haben beim Zielen in die Toilettenschüssel offensichtlich nicht ganz getroffen. Ich habe ihre Sachen jedoch schon gewaschen, es liegt alles im Bad … Handtücher, falls Sie duschen möchten, habe ich Ihnen auch hingelegt.«

      Selten schaffte es jemand, sie sprachlos zu machen. Wie konnte dieser Mann nur so nett und freundlich sein, während sie ihn die ganze Zeit anfuhr?

      Er zeigte auf eine Tür. »Dort geht es ins Badezimmer«, dann ließ er sie allein zurück.

      Müde rieb sie sich über die Stirn. Sie hatte ihrem Ruf als leicht zu haben, auf gut Deutsch, Schlampe, wieder alle Ehre gemacht.

      Früher hatte sie ihre Aktivitäten, wie sie es selbst nannte, auch in der Firma ausgelebt. Sie wusste, was man von ihr in der Thompson Holding hielt, und doch war es genau das, was sie damit bezweckte.

      Vorsichtig rappelte sie sich aus dem Bett heraus und trat auf noch wackeligen Beinen den Weg zum Bad an. Den Blick in den Spiegel hätte sie lieber sein lassen, denn das Bild, was sich ihr bot, war mehr als schrecklich. Die gesamte Schminke war verschmiert. Zudem war die Wimperntusche durch die Tränen an ihrer Wange heruntergelaufen und sie machte gerade einer Figur aus dem Gruselkabinett starke Konkurrenz.

      Noch nicht einmal dieser Anblick hatte den Fahrer aus der Ruhe gebracht. Sie erinnerte sich noch genau an ihre erste Begegnung in der Firma. Patrick St. Claires eigentliche Sekretärin hatte sie gebeten, sich versetzen lassen zu dürfen.

      Damals hatte sie nicht gewusst, was dahinter steckte, doch schnell war klar geworden, dass Juliette Franklin mit der eiskalten Art ihres Chefs nicht zurechtkam. Wie Fran im Nachhinein erfuhr, hatten die beiden auch noch einen Vertrag, weil Jules hohe Schulden hatte, die er übernahm und sie musste ihm dafür das Bett wärmen.

      Wenn sie daran zurückdachte, schüttelte sie den Kopf, was sie sofort bereute. Noch wirkte die Tablette nicht.

      Dass sich hinter der Mauer, die Patrick St. Claire aufgebaut hatte, ein schreckliches Schicksal verbarg, war erst später herausgekommen. Genauso wurde fast zu spät erkannt, dass der Buchhalter, Harold Thomas, zu dem Juliette Franklin ins Vorzimmer versetzt worden war, ein Monster war.

      Dabei war es Fran selbst, die Harold damals den Umschlag mit dem Vertrag in die Hand gedrückt hatte, den Jules an ihrem alten Arbeitsplatz vergessen hatte. Natürlich wusste sie das nicht, woher auch und doch nagte dieser Umstand immer noch an ihr.

      Harold hatte den Vertrag zwischen Patrick und Jules genutzt, um Juliette zu erpressen. Denn er wollte sie schon lange und sie hätte sich ihm nie freiwillig hingegeben.

      Zum Glück war alles gut ausgegangen, als St. Claire und Jules erkannten, dass sie einander liebten und der Eine sich dem Anderen offenbarte.

      Und an dem Tag hatte sie Jefferson kennengelernt. Er war beauftragt worden, sie aus der Firma abzuholen und zu Michael Thompson, dem Haupteigner der Thompson Holding, zu bringen.

      Die Fahrt über hätte sie ihm am liebsten den Kopf abgerissen. Sie hatte immer und immer wieder gefragt, um was es ginge, aber er hatte keinen Ton dazu gesagt und nur freundlich gelächelt.

      Sie löste grummelnd die Spangen aus ihrem Haar, trat dann unter das warme Wasser und ließ es über ihren schmerzenden Körper laufen.

      Eine halbe Stunde später stand sie angezogen, aber zum ersten Mal in ihrem Leben ungeschminkt, vor einem Mann. Noch nicht einmal zum Zigarettenholen, wenn sie denn rauchen würde, würde sie ungeschminkt vor die Haustüre gehen.

      Die Tasse mit dem Kaffee nahm sie dagegen sehr gerne entgegen, dann kramte sie ihr Handy aus dem kleinen Täschchen, das er ihr auf den Tresen gelegt hatte.

      »Danke, Jefferson. Ich werde mir dann ein Taxi rufen«, brachte sie freundlicher heraus, nachdem die Dusche und nun der Kaffee ihre Lebensgeister mobilisierten.

      Seine Hand auf ihrer ließ sie aufblicken. »Ich fahre Sie.«

      »Das wird nicht nötig ...«

      »Das war keine Bitte oder Frage. Kommen Sie.«

      Jefferson

      Ms. Denver sah ihn finster an. »Warum zur Hölle kann ich mir nicht einfach ein Taxi holen?«

      Er zog amüsiert lächelnd seine Hand von ihrer weg und schüttelte leicht den Kopf. »Miss ... äh, Francoise, ich bin Chauffeur. Und es ist als solcher nun mal ein fester Bestandteil meines Jobs, zu fahren.«

      Ihre Stirn legte sich in Falten, sie sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Offenbar überlegte sie, ob er sich über sie lustig machte. Dann jedoch huschte ein kurzes Grinsen über ihr Gesicht und sie seufzte ergeben. »Also gut, fahren Sie mich um Himmels willen.« Sie schob das Handy zurück in das Täschchen, griff nach dieser und trat zur Tür.

      Energisch öffnete sie diese und trat schwungvoll hinaus, die Kopfschmerztabletten schienen jetzt zu wirken. Er schnappte sich seine Schlüssel, ihre Jacke von der Garderobe und eilte ihr nach. Vor der Tür wäre er fast in sie hineingeprallt, denn sie stand mit fassungslosem Gesicht da und starrte ihn an.

      »Wir sind in der Park Avenue?«, stammelte sie.

      Verwundert hob er die Augenbraue an. »Jaaaaaa?«, fragte er gedehnt, da er nicht den blassesten Schimmer hatte, worauf sie hinaus wollte.

      »Aber ... hier wohnt Mr. St. Claire?! Ein Scheiß 20 qm-Zimmer kostet hier im Monat so viel, wie ich für meine gesamte Wohnung im Quartal zahle! Und diese da ...«, sie deutete fuchtelnd an ihm vorbei, »... ist eindeutig viel größer als 20 qm!«

      »Stimmt«, nickte er, zog die Tür hinter sich zu und marschierte auf den Fahrstuhl zu.

      Sie stöckelte hinter ihm her und er konnte sie aufgeregt nach Luft schnappen hören. »Aber ... aber ...«

      Vor dem Aufzug blieb er stehen, drückte den Ruf-Knopf und wandte sich dann zu der Blondine um, die neben ihm stand und ihn ansah, als müsse er ihr irgendetwas erklären. »Miss ... Francoise«, seufzte er schließlich. »Mr. St. Claire bezahlt mich gut, und außerdem übernimmt er die Hälfte der Kosten für das Apartment. Das hat für ihn den Vorteil, dass ich ihm jederzeit sehr schnell zur Verfügung stehe, sollte es nötig sein. Ausführlich genug?«

      Das leise Bling des Fahrstuhls hielt sie vorerst davon ab, zu antworten. Er ließ ihr den Vortritt, gab seinen Code in das Display im Inneren ein und lehnte sich dann entspannt gegen die verspiegelte Innenwand. Dann hielt er schweigend ihre Jacke hoch, nach der sie griff und sie anzog.

      »Park Avenue ...«, murmelte Francoise leise vor sich hin, aus irgendeinem Grund schien sie sein Wohnort unheimlich zu beschäftigen.

      Nachdem sie das Auto erreicht hatten und schweigend eingestiegen waren, drehte Francoise mit einem Mal den Kopf zu ihm. »Ist Jefferson eigentlich wirklich Ihr richtiger Name?«

      Verblüfft warf er ihr einen kurzen Blick zu. »Ernsthaft?«

      »Na ja ... ich meine ... wer heißt denn heutzutage noch so?«

      Er schnaubte. »Vor rund 200 Jahren hieß einer der Gründungsväter der Vereinigten Staaten so, wenn ich das mal so anmerken darf. Thomas Jefferson, später sogar Präsident, das sagt Ihnen was, oder?«

      Ihr entfuhr ein leises Kichern, aber das Läuten des Autotelefons entband sie einer Antwort.

      »Mist!«, entwich es Jeff, nachdem er auf das Display gestarrt hatte. »Francoise, ganz still jetzt bitte.« Er drückte den Knopf zum Annehmen des Gesprächs. »Guten Morgen, Sir!«, sagte er steif und sah aus dem Augenwinkel, wie Ms. Denvers Mund auf- und wieder zuklappte, als sie verstand.

      »Jefferson, wo sind Sie? Das System meldet mir, dass Sie mit dem Wagen unterwegs sind!«, ertönte Patrick St. Claires Stimme aus den Lautsprechern. »Ich wollte gern in die Thompson Holding fahren, um mich durch die Unterlagen zu arbeiten.«

      »Natürlich, Sir. Ich ...«, er warf einen Seitenblick zu Francoise, die ihn entsetzt


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