Heil mich, wenn du kannst. Melanie Weber-Tilse

Heil mich, wenn du kannst - Melanie Weber-Tilse


Скачать книгу
ihm nur allzu offensichtlich an den Hals.

      »Bis gleich.« Sie huschte einfach an ihm vorbei. Der Weg zur Personalabteilung war nicht weit und irgendwie vermisste sie es, dort zu arbeiten. Nicht, dass es schlimm bei Patrick war, aber der vorherige Posten war endlich einer gewesen, den sie gern gemacht hatte. Wobei es ihr schon wieder fast ein trockenes Lachen entlockte, wenn sie daran dachte, dass sie einst kurz davor gestanden hatte, selbst eine Firma zu leiten, bis das Schicksal ihr mit aller Macht ins Gesicht geschlagen hatte.

      Viel zu oft dachte sie an die Vergangenheit, das war nicht gut. Sie musste sich wieder abschotten. Und wenn das nicht half, packte sie einfach ihre wenigen Habseligkeiten und verließ New York.

      Bevor sie wieder das Büro betrat, setzte sie ein neutrales Lächeln auf und gesellte sich zu den beiden Männern. Gerade solche Situationen waren am Anfang ganz schwer für sie gewesen. Mittlerweile hatte sie gelernt, damit umzugehen, und doch setzte es ihr immer wieder zu. Die Angst, die ihr im Nacken saß, würde wohl nie ganz verschwinden.

      Fran setzte sich mit an den Schreibtisch und seufzte leise auf, als sie von dem Kaffee, den Jeff von Starbucks mitgebracht hatte, einen Schluck getrunken hatte. Sie hatte ihm nie gesagt, dass sie sich freute, wenn er ihr einen vorbeibrachte und den Geschmack liebte.

      Während des Essens sprachen sie die Planung der nächsten Woche durch. Wenn sich keine der langjährigen Mitarbeiter aus der Firma fanden, die die beiden Posten im Aufsichtsrat bekleiden konnten, mussten schnellstens Ausschreibungen erfolgen. Für den Fall würde sich Francoise am Montag direkt an eine detaillierte Stellenbeschreibung setzen, wobei sie genau wusste, worauf es ankam. Aber es sollte jeder weiterhin denken, dass sie sich hier hochgeschlafen und sich nach und nach die Aufgaben angeeignet hatte.

      »Jefferson wird Sie nach Hause bringen. Juliette holt mich ab und wir werden noch einen Stadtbummel machen.« So wie es Patrick aussprach, könnte man meinen, dass er einen Zahnarzttermin hatte und Fran versteckte ihr Lächeln hinter dem Kaffeebecher.

      »Nicht nötig, ich muss auch noch ein paar Kleinigkeiten einkaufen.«

      Sie stand auf und verabschiedete sich. Am Aufzug holte Jeff sie ein und betrat mit ihr zusammen die Kabine.

      »Ich kann Sie auch zum Laden fahren.«

      »Jeff«, seufzte sie. »Ich denke, das ist keine gute Idee.«

      »Warum nicht? Freunde gehen zusammen einkaufen.«

      Sie starrte ihn erstaunt an. Freunde? Die Türen des Aufzugs öffneten sich und er stand zwischen ihnen, damit sie sich nicht wieder schlossen. Francoise hingegen lehnte noch perplex an der Aufzugwand. Freunde! Scheiße, der Mann war schwul. Warum war ihr das nicht gleich aufgefallen? Ein schwuler Mann würde ihr nicht gefährlich werden. Eine riesengroße Last fiel von ihren Schultern und sie schenkte ihm ihr strahlendstes Lächeln, als sie auf ihn zuging und sich bei ihm einhakte.

      »Freunde«, sprach sie das Wort laut aus. Irgendwie fühlte es sich komisch an. Das lag wahrscheinlich daran, dass es der Chauffeur ihres Chefs war und sie mit so etwas nicht gerechnet hatte. »Freunde duzen sich aber. Ich bin gespannt, ob du das hinbekommst.«

      »Aber natürlich Miss ... Francoise.«

      Es würde schwer für ihn werden und Fran unterdrückte den Reiz zu lachen. Immerhin war er bemüht.

      Und wie bemüht er war, merkte sie nach zwei Stunden Einkaufsmarathon, wobei sie eigentlich nur vorgehabt hatte, einige Lebensmittel zu kaufen. Allerdings hatte er darauf bestanden, sie bis in ihre Wohnung zu begleiten, um die Tüten abzuliefern. Jetzt saß er in ihrer Küche und sie packte das Eingekaufte weg.

      Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie er sich neugierig in ihrer kleinen Küche umschaute. Er wirkte so deplatziert, dass sie schmunzelte. Als sie damals Hals über Kopf vor ihrer Vergangenheit geflohen war, hatte sie eine Zeit lang mit dem Geld, das sie gespart hatte, zurechtkommen müssen.

      »Danke fürs Helfen, Jeff.« Sie bemerkte sofort, dass er kurz zusammengezuckt war. Unauffällig folgte sie seinem Blick und erstarrte. Da sie nie auf die Idee gekommen war, je einen Menschen mit hierher zu bringen, hing an der Pinnwand ein Bild, wie sie einst ausgesehen hatte. Man musste zwar nah herangehen, um zu erkennen, dass sie das war, aber so intensiv wie er es angestarrt hatte, war sich Fran nicht sicher.

      »Ich sagte bereits, Freunde helfen sich.«

      Sie schob sich zwischen ihn und das Bild und deutete ein Gähnen an. »Auch wenn es noch früh ist, die letzte Nacht war viel zu kurz.«

      Er verstand den Rausschmiss sofort und als er an ihr vorbeiging, umwehte sie der herbe Duft seines Parfums.

      An der Wohnungstür blieb er kurz stehen und steckte die Hände in die Hosentaschen. »Ich würde dich gerne morgen Vormittag zum Frühstück einladen.«

      Fran legte nachdenklich den Kopf schief. Ging das alles jetzt nicht ein wenig schnell? Gerade erst Freundschaft geschlossen und nun hingen sie gleich jeden Tag zusammen? Oh Gott. Wahrscheinlich war er froh, dass er jemanden gefunden hatte, der ihn nicht verurteilte. Egal wie abgeklärt die Menschen taten, Homosexualität hing niemand gerne an die große Glocke. Somit hatten sie beide ihre Geheimnisse, wobei er seines anscheinend mit ihr teilen wollte.

      »Sehr gerne«, gab sie sich dann einen Ruck. »Bis morgen.«

      »Ich hole dich um zehn ab. Auf Wiedersehen, Francoise.«

      Sie blieb noch an der Tür stehen, bis seine Schritte im Treppenhaus verhallt waren und das Zuschlagen der Haustür anzeigte, dass er gegangen war.

      Jefferson

      Francoise Denver hatte offenbar ein Geheimnis, und zwar ein ziemlich Großes. Allein heute hatte er so viele Facetten dieser Frau kennengelernt, dass es fast den Eindruck erwecken konnte, sie habe eine Persönlichkeitsstörung. Erst ihre Panikattacke und der Angriff auf ihn, dann ihr ziemlich plumper Versuch, ihn anzubaggern und zu guter Letzt ihr Switch auf die ›lass uns Freunde sein‹-Schiene - all das bestärkte nur seine Vermutung.

      Spätestens, als er sich das Foto an ihrer Pinnwand angesehen und sie versucht hatte, es vor ihm zu verbergen, war ihm klar gewesen, das hinter ihrem Verhalten eine größere Sache stecken musste. Und dass die Person, die neben einer ihm Fremden gestanden hatte, Francoise war, stand für ihn außer Frage. Zwar schien die Aufnahme schon etwas älter zu sein, denn nicht nur ihre Frisur und ihre Haarfarbe waren eine andere, sondern auch der Kleidungsstil war sehr viel mehr business-like, aber es war ganz eindeutig sie.

      Es überraschte ihn, dass sie seine Einladung zum Frühstück angenommen hatte, kam ihm aber auch gelegen. So gab es vielleicht eine Chance, hinter ihre Fassade zu blicken und ein Stück der echten Francoise Denver kennenzulernen. Vorfreude machte sich in ihm breit. Das würde ein interessanter Vormittag werden, von dem er allerdings hoffte, dass sie ihn nicht wieder verprügeln würde, denn seine Wange brannte noch von ihrem letzten Angriff. Pfeifend stieg er in den Cadillac ein und machte sich auf den Weg nach Hause.

      ***

      Ein Blick aus dem Fenster am nächsten Morgen machte deutlich, dass es zwar weiterhin kalt war, aber der Himmel wolkenlos. Es schien ein schöner Tag zu werden. Zufrieden wandte sich Jefferson vom Fenster ab und fuhr sich mit einer Hand durch die nassen Haare. Eine knappe Stunde hatte er noch, dann würde er Francoise abholen.

      Seine Augen glitten zum Spiegel, er betrachtete sich selbst. Frisch geduscht glänzte seine Haut an manchen Stellen noch feucht und er spannte den Oberkörper an, sodass man das Spiel seiner Muskeln deutlich sah. Sein Kiefer mahlte, ehe er sich mit verbissener Miene wegdrehte und ins Schlafzimmer ging, um sich anzuziehen.

      Er hatte ein gemütliches, kleines Café am Rand von New York ausgesucht, eines, das er schon in der Jugend mit seinen Eltern aufgesucht und sich stets wohlgefühlt hatte. Die Besitzerin des Ladens war vermutlich so alt wie die Zeit selbst, und trotz ihres betuchten Alters machte sie noch fast alles selbst und seiner Meinung nach gab es dort das beste Frühstück, das im gesamten Umkreis zu finden war.

      Eine Dreiviertelstunde später parkte


Скачать книгу