Voller Misstrauen geliebt. Lara Greystone
wartete Quint zwischen gammligem Fleisch darauf, was zuerst eintreffen würde: der Müllwagen oder Arabella.
Seine feinen Ohren hörten bald den Müllwagen und dessen Mannschaft, die in fleißiger Routine die Tonnen leerte.
Schwarz verkohlt. Im Sonnenlicht wäre seine Haut binnen kürzester Zeit schwarz verkohlt. Und jeder, der ihn so sehen würde, wüsste um das Geheimnis seiner Art.
Bestimmt zehn Mal schaute er auf seine Uhr, dann näherte sich das eindeutige Fahrgeräusch.
Er hörte das Wendemanöver, es gab einen Stoß am Müllcontainer. Eine Wagentür öffnete sich.
Eine Kaugummiblase platzte, High Heels klapperten, dann ein Pochen.
„Quint, bist du da drin?“
„Ja.“
„Sorry, ging nicht schneller. Bist du okay?“
„Nicht ganz. Sag mir bitte, dass meine Ohren sich verhört haben und du nicht im Ferrari gekommen bist, Ara.“
„Was denkst du denn?“
Dass du etwas Größeres als eine Schuhschachtel von Kofferraum dabei hast?
„Mein Ferrari ist der schnellste fahrbare Untersatz in unserer Tiefgarage! Sei froh, eine Straße weiter habe ich den Müllwagen überholt. Außerdem solltest du dir mal die neue Lackierung ansehen, das Neongrün ist einfach irre.“
Neongrün? Ein Ferrari?
„Irre – ja, der Meinung bin ich auch“, murmelte er.
„Keine Angst, John hat auch in meinen Kofferraum gepasst. Du darfst dich eben nicht so breit machen.“
Ja, Arabella hatte – in genau diesem Kofferraum – John in halsbrecherischem Tempo zu seiner verunglückten Frau gefahren, damit er ihr sein heilendes Vampirblut geben konnte. Aber leider war John an diesem Tag dennoch zum Witwer geworden.
„Ich hab hier eine lichtundurchlässige Plane, Quint, die leg ich über den geöffneten Kofferraum und den Müllcontainer. Ein bisschen Sonne kommt an der Seite wahrscheinlich doch durch, also beeil dich lieber.“
„Beeilen ist gerade schwierig“, murrte Quint.
„Okay, ich bin so weit. Raus mit dir!“
So schnell es seine vom Gift beeinträchtigten Muskeln zuließen, hievte er sich in den Kofferraum. Seine beiden Hände wurden kurz vom Sonnenlicht erwischt, während er den Deckel schloss. Nun brannten sie, als stünden sie tatsächlich in Flammen.
„Geht’s?“, fragte Ara besorgt.
„Ich hab einen Sonnenbrand und hier drin ist es so bequem wie in einer überfüllten Sardinenbüchse.“
Von den beiden Golfschlägern in seinem Kreuz ganz zu schweigen.
„Was hast du hier in dieser Gegend eigentlich …“
„Danke, Arabella“, unterbrach er sie. „Auch, dass du keine Fragen stellst.“
„O-kay“, erwiderte Ara und verstand.
Während der Rückfahrt bekam er ihren temperamentvollen Fahrstil zu spüren – im wahrsten Sinne des Wortes. Wäre er ein Mensch, hätte er wohl ringsherum blaue Flecken und eine leichte Gehirnerschütterung davongetragen.
Da Arabella um sein feines Gehör wusste, plapperte sie beim Fahren munter drauflos.
„Weißt du eigentlich noch, dass ich Vinz damals in so einem Müllcontainer quer durch die ganze Stadt bis zum Hauptquartier geschoben habe, zusammen mit Obdachlosen? Nach einem hinterhältigen Angriff wäre er sonst bei Sonnenaufgang auch verbrannt.“
Ja, das wusste er noch, Vinz war bewusstlos gewesen.
„Danach musste mein schöner weißer Nerzmantel von Elisabeth in die Reinigung und meine schicken, weißen Fellboots waren völlig ruiniert.“
Richtig, deswegen hatte sie tagelang gejammert.
„Ich war damals mit Vinz’ Ferrari unterwegs, um ihn zu finden, und als ich ihn dann fand, habe ich gemerkt, dass das dämliche Ding einen Kofferraum aus Glas hat. Wie blöd ist das denn, wenn man ein Vampir ist? Gleich danach hab ich ihn so lange genervt, bis er einen Ferrari mit einem Kofferraum ohne Glas gekauft hat, damit ich ihn zur Not auch da reinstecken kann. Man weiß ja nie. “
Stimmt, Vinz hatte ihr ein nagelneues Modell geschenkt, und was machte sie kurz darauf? Ließ den Ferrari in Violett lackieren. In Violett! Wie ein Mann so etwas ertragen konnte, war ihm ein Rätsel.
Kaum war Quint in der Tiefgarage mühsam aus dem Kofferraum geklettert, stand sein Chef Agnus vor ihm. Wenigstens war er inzwischen wieder in der Lage, aufrecht zu stehen – einigermaßen zumindest.
„Was ist passiert, dass du deinen Hintern erst nach Sonnenaufgang hier reinschwingst?“
Agnus bebte vor Zorn.
„Gesetzlose. Bin überrascht worden“, erklärte er knapp, das war immerhin keine Lüge.
Er lehnte sich an den Ferrari und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Das Desaster mit Jo und Snake wollte er unbedingt für sich behalten.
Agnus musterte ihn von oben bis unten.
„Du siehst scheiße aus.“
„Haben mir ein Messer in die Niere gejagt.“
„Höllische Schmerzen, was? Muss Alva sich um dich kümmern?“
„Lass mal. Wird schon.“
Seine Vampirnatur würde alles heilen, auch dieses Gift würde ihn nicht umbringen.
Agnus wirkte skeptisch, sagte dann aber: „Also gut. Aber du stinkst wie verfaultes Fleisch, geh dich gefälligst waschen, sogar Ratten würden bei deinem Gestank Reißaus nehmen.“
Als Agnus außer Hörweite war, flüsterte Ara: „Er macht sich nur Sorgen um dich, deshalb ist er so wütend. Aber duschen solltest du trotzdem. Schaffst du es denn allein in dein Quartier?“
Nein.
„Willst du mich etwa tragen, Ara? Ich glaube, da würden dir deine Absätze abbrechen.“
Sie blickte sofort erschrocken auf ihre sicherlich ebenso exklusiven wie exorbitant teuren Designerschuhe. Er hätte gegrinst, wenn ihm nicht alles so wehgetan hätte.
Dann merkte sie, dass es ein Scherz war.
„Doofmann“, meinte sie wenig verärgert. „Ich hatte eher an eine Schubkarre oder eine Krankenliege gedacht.“
„Nein, lass mal.“
Er wollte auf keinen Fall noch mehr Aufmerksamkeit und neugierige Fragen.
„Ich setz mich ein paar Minuten hier hin, dann geht’s schon.“
„Ehrlich?“
„Ehrlich.“
Als Arabella die Tiefgarage verlassen hatte, rutschte er an ihrem Ferrari zu Boden. Sitzend ans Auto gelehnt wartete er darauf, dass die Krämpfe und das höllische Brennen so weit nachließen, dass ihn seine Beine wieder trugen. Dann würde er zu Agnus gehen und ihn, allein schon wegen Jos horrender Schulden, davon überzeugen, ihren Auftrag zu stornieren und sie nicht mehr auf das Grundstück zu lassen.
Nach Sonnenuntergang würde er zu Jo fahren, die Dinge bei ihr alle in Ordnung bringen und ihren Körper aus dem Tiefschlaf befreien. Draußen würde er sich verstecken und warten, bis sie aufgestanden war, um dann gleich an ihrer Tür zu klingeln, um ihr mitzuteilen, dass ihr Auftrag geplatzt war.
Bis dahin würde sie sich, im Gegensatz zum ihm, so richtig ausschlafen können, wenn auch nicht freiwillig.
Quint ging im Geiste nochmal durch, was er bei Jo zu erledigen hatte und wie er bei Agnus am besten argumentieren sollte. Die drei durchwachten Tage