Voller Misstrauen geliebt. Lara Greystone

Voller Misstrauen geliebt - Lara Greystone


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denkst doch nicht, ich gehe in irgendeinen Keller und rolle stundenlang Hunderte von Pergamenten auf?“

      Ja, das hatte er eigentlich gedacht, hielt aber lieber den Mund. Für heute hatte er sich schon genug blamiert.

      „Ich hab schon vor langer Zeit alles eingescannt und digitalisiert“, erklärte Elia. „Die alten Handschriften mit selbst erstellter Texterkennung in Dateien umgewandelt. Du solltest aber wissen, dass unsere ältesten Pergamente bei dem Brand der Wächterburg im Mittelalter ein Raub der Flammen geworden sind. Aber zum Glück kennen wir beide ja eine uralte Sirene, die bei einem Großteil unserer Geschichte live dabei war.“

      „Und Männer in den Wahnsinn getrieben hat“, ergänzte Quint.

      Elia grinste. „Na ja, diese Eigenschaft würde wohl so mancher Mann seiner Frau zuschreiben, oder nicht?“

      „Ich bin nicht zu Scherzen aufgelegt, Elia“, murrte Quint.

      „Schade, das wär nach über zwanzig Jahren eine echte Abwechslung. Und wenn du mich fragst: Ich glaube, du verlierst nicht deinen Verstand, sondern nur dein Herz, falls du überhaupt noch eins hast.

      „Sehe ich für dich etwa liebeskrank aus?“

      Elia verzog sein Gesicht zu einem freudlosen Grinsen.

      „Nein, ganz sicher nicht. Du hast recht, wenn unsere Sirene durch ihren Gesang Männer beeinflussen kann, warum soll es nicht eine Frau geben, die das mit ihren Augen fertigbringt. Geh und frag Amalia danach. Hier sind übrigens die Ausdrucke der Bankdaten und Vermögenswerte unserer Gärtnerin“, erklärte Elia und hielt ihm einen Stapel Papiere hin. Quint wollte sie schon greifen, da zog Elia sie wieder weg. „Wie heißt das?“

      „Danke, Elia – und ja, ohne dich wären wir alle aufgeschmissen“, ratterte Quint gelangweilt das Lob herunter. Und während er schon begann, die Blätter durchzusehen und Elias Büro zu verlassen, murmelte er: „Komm endlich drüber hinweg, Elia. Vergiss ein für alle Mal die Zeiten, wo wir dich im Schwertkampf immer geschlagen haben, weil du der Kleinste von uns warst. Heute kann dir in Sachen Computer und Internet keiner mehr das Wasser reichen. – Die anderen warten übrigens schon auf dich, Streetgolf oder so.“

      „Stimmt, hätte ich beinahe vergessen! Also bis zum Sonnenaufgang“, rief Elia und drängelte sich noch vor ihm durch die Bürotür.

      Kurz darauf stand Quint vor Amalias Quartier. Ursprünglich lautete ihr Name einmal Lorelei, aber das war lange her. Er klopfte und kurz darauf öffnete Amalia die Tür. Ihre langen, grauen Wellen trug sie offen und hatte sie nur mit wertvollen Kämmen nach hinten gesteckt.

      „Quintus“, grüßte ihn die Frau mit einem knappen Nicken und einer Haltung, die immer noch der einer Königin entsprach, die sie einst war. Ihr edles, mittelalterliches Kleid, das bis auf den Boden reichte, unterstrich ihr Auftreten.

      Ob sie je den Weg in die Neuzeit finden würde?

      Er hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da war ihm klar, dass er einen Fehler begangen hatte. Doch es war zu spät, Amalia musterte ihn bereits von oben bis unten.

      „Ich weiß nicht, ob das den modernen Sitten entspricht, Quintus, aber ich dulde so etwas nicht.“ Dabei hob sie das Kinn in einer anmutigen Weise und gleichzeitig wie eine Gouvernante, die ihren Schützling maßregelte. „Du wirst dich sittlich kleiden, wenn du von mir empfangen werden willst, und einen Leibeigenen anweisen, die Pfützen aufzuwischen, die du hinterlassen hast.“

      Er zog den Kopf ein, drehte sich wortlos um und murmelte: „Wir haben keine Leibeigenen mehr. Obwohl das vieles einfacher machen würde.“

      Leibeigene würden sich auch um den Garten kümmern und nicht eine Fremde, die ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellte.

      Leibeigene, die einen Blutschwur der Verschwiegenheit geleistet hatten, waren die einzige Ausnahme: Ihnen durfte das Geheimnis ihrer Art anvertraut werden.

      Später in dieser Nacht kehrte Quint zurück – sittlich angezogen – und Amalia ließ ihn mit einer wohlwollenden Geste eintreten.

      Sie setzte sich auf einen verzierten Holzstuhl, als wäre er ein Thron, und bedeutete ihm, Platz zu nehmen.

      „Was ist dein Anliegen, Quintus?“

      Er erzählte von Jo und ihren Augen, beschrieb seine seltsame Reaktion darauf. Leider hatte selbst Amalia noch nie etwas von so einer Gabe gehört. Als er aufstand, ging sie zu ihrem antiken Eichensekretär, den sie selbst jedoch nie als antik einstufen würde, ebenso wie ihr Kleid. Vielleicht deshalb, weil die uralte Sirene dies bewusst als ihre Normalität gewählt hatte und die nachfolgenden Zeitepochen eher als Zuschauer betrachtete.

      „Bitte warte einen Moment, Quintus und bring dieses Schreiben zu Elia.“

      Sie tauchte die Feder ein letztes Mal in das Tintenfässchen und unterzeichnete das Pergament. Dann ließ sie Wachs darauf tröpfeln, siegelte es mit ihrem Ring und übergab es ihm.

      Er räusperte sich. „Du weißt aber schon, dass wir keine berittenen Boten mehr haben wie früher?“

      Ihr Rücken wurde noch gerader, als er eh schon war, und mit empörtem Ausdruck meinte sie: „Nur weil ich die Sitten dieser Zeit nicht annehme, heißt das nicht, dass ich meinen Verstand verloren habe, Quintus, Sohn des William! Elia wird dieses Schriftstück einscannen und dem Duke mit diesem unsichtbaren Netz durch die Luft übermitteln. Er hat mich zu einer Jagdgesellschaft eingeladen und will mir für die Reise sein Luftschiff senden. Für eine Brieftaube wäre das Pergament doch zu groß, Quintus, und der Weg nach England zu weit.“

      Und wieder war er in einem Fettnäpfchen gelandet!

      Für heute hatte er die Nase gestrichen voll und wollte nur noch weg.

      „Verzeih, Amalia“, sagte er schnell und beugte demütig seinen Kopf. Dann nahm er den Brief entgegen und verschwand.

      Kapitel 6

      Quint gönnte sich noch keinen Schlaf und machte auch nur einen kurzen Abstecher in die Stadt, um seinen Hunger nach Blut zu stillen. Als er anschließend zur Adresse der Landschaftsgärtnerin fuhr, neigte sich die Nacht schon dem Ende zu. Um jede Vorwarnung zu vermeiden, parkte er sein Motorrad ein gutes Stück entfernt. Zu dieser Zeit waren keine Passanten unterwegs. Dennoch mied er die Lichtkegel, verschmolz mit der Dunkelheit und schlich sich, seiner Natur entsprechend, beinahe lautlos und unsichtbar zum Grundstück der Gärtnerin.

      Im Haus waren alle Lichter gelöscht.

      Ohne den kleinsten Laut zu verursachen, trat er näher.

      Keine Geräusche von innen, bis auf die üblichen Haushaltsgeräte.

      Ein gerade mal hüfthoher, schön gearbeiteter Holzzaun umgab das Grundstück, Sicherheitsfaktor: null. Auf dem emaillierten Schild an der auch noch offen stehenden Zufahrt stand: Willkommen bei Josephine von der Linde.

      War das etwa ihr echter Name?

      „Klar, und ich heiße Nosferatu“, murmelte er mürrisch.

      „Ich sollte mir auch ein Schild schnitzen: Quintus Reißzahn, Blutspender willkommen.

      Er verengte seine Augen zu Schlitzen und ließ seinen Blick über das Grundstück gleiten.

      Ein Schild, das im Gras lag, weckte als Erstes sein Interesse und er nahm es genau unter die Lupe. Haus zu verkaufen, frisch renoviert, Garten fachmännisch und liebevoll angelegt, stand darauf, dazu eine Handynummer.

      Dieses Schild war nicht von allein umgefallen, jemand hatte es herausgerissen – kürzlich, denn die Erde im leeren Loch war noch feucht.

      Zusammen mit den Finanzunterlagen ergab das ein stimmiges Bild: Dieser Frau stand, finanziell gesehen, das Wasser bis zum Hals. Das Sicherheitsrisiko, das sie darstellte, hatte sich soeben verdoppelt, denn Leute, die Geld brauchten, waren bestechlich oder erpressbar.

      Er ging um das Haus herum und


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