Liebe ist.... Evanda Klug
Egal, ich schaue, was der Kühlschrank hergibt. Das ist leider nicht viel. So ein Mist, ich muss noch einkaufen. Also gut, für den Anfang muss Instantbrühe ausreichen. Die habe ich, Gott sei Dank, immer im Haus.
Ich versuche gerade, den ersten Schluck der noch heißen Brühe zu trinken, als es an meiner Haustür klingelt. Ich gehe kurz in mich, wen habe ich vergessen? Bin ich heute verabredet? Wie spät ist es eigentlich?
Es ist 12 Uhr. An eine Verabredung kann ich mich immer noch nicht erinnern, da klingelt es erneut. So ein Mist. Ich bin unpässlich. Egal wer es ist, ich bin nicht da.
Leider ist mein Besucher nicht sehr einsichtig. Als es zum gefühlt tausendsten Mal klingelt, mir der Kopf quasi schon mehrfach geplatzt ist, gebe ich den Kampf gegen die Klingel auf und schleppe mich an die Gegensprechanlage.
„Ja, bitte?“, krächze ich.
„Lisa mach endlich auf, hier ist Deine Mutter!“ Die Worte meiner Mutter reichen aus, um meinen Puls in bedenkliche Höhen vorschnellen zu lassen und meinen Adrenalinpegel auf den Gipfel des Mont Everest zu katapultieren. Und plötzlich bin ich wieder unter den Lebenden. Fragt sich nur wie lange dieser Zustand anhält. Aber darüber kann ich mir später Gedanken machen. Zunächst eine kurze Bestandsaufnahme. Was habe ich mit meiner Mutter ausgemacht? Wieso ist sie hier? Egal, ich weiß es einfach nicht. Ich mache auf und begebe mich in mein Schicksal. Das nicht lange auf sich warten lässt.
„Du meine Güte, was ist mit Dir passiert? Nur gut, dass ich in der Nähe war und Dir etwas von meiner Hühnersuppe vorbeibringen wollte. Du siehst aber gar nicht gut aus. Kind, was hast Du denn? Eine Lebensmittelvergiftung? Vielleicht sollten wir zum Arzt?“ Bevor meine Mutter noch den Notarzt anrufen kann, sage ich nur: „Ich habe Gestern lediglich meine Trinkfestigkeit getestet und, wie Du sehen kannst, ist es nicht gut ausgegangen.“
Meine Mutter starrt mich nur an. Nach einer gefühlten Ewigkeit sagt sie schließlich: „Ich habe Dich für vernünftiger gehalten Lisa. Das ist nicht meine Erziehung.“ Und schon geht sie in meine Küche. Leicht eingeschüchtert folge ich ihr.
„Wir haben einen Fall verloren und ich bin schuld.“, sage ich leise.
„Das ist doch Unsinn. Dirk hat mich heute angerufen und erzählt, dass es Dir nicht gut geht. Allerdings hätte ich nicht damit gerechnet!“ Sie zeigt auf mich, redet aber gleich weiter: „Und er hat gesagt, dass Du nicht schuld an der Niederlage bist.“
Ich bin sprachlos. Was hat meine Mutter da gerade gesagt? Dirk? Seit wann duzen sich mein Chef und meine Mutter? Erneute Bestandsaufnahme. Was habe ich übersehen? Mist! Habe ich denn gar nichts mehr im Griff?
„Guck nicht so schockiert. Ich habe ihn vor einiger Zeit angerufen und zu Deiner Geburtstagsfeier eingeladen. Schließlich wird man nicht alle Tage 30. Und Du arbeitest seit fast 10 Jahren für die Kanzlei seines Vaters und seit 5 Jahren für Dirk. Außerdem ist er seit Jahren mit Stefan befreundet, wenn Du Dich erinnerst. Damit gehört er quasi zur Familie!“
Ich bin immer noch sprachlos. Memo an mich: Nie wieder Alkohol. Ja, das muss an meinem Zustand liegen. Ich kapiere gerade gar nichts mehr.
„Mom, ich bin etwas angeschlagen. Könnten wir dieses Gespräch ein andermal führen?“, frage ich sie vorsichtig. Ich kenne meine Mutter leider nur zu gut. Wenn sie etwas loswerden will, dann wird sie es los. Aber hoffen kann man ja.
„Für Deinen Zustand bist Du selbst verantwortlich. Aber ich werde gnädig sein und Dir jetzt etwas Anständiges zum Essen machen, und zwar meine Hühnersuppe. Du hast, wie ich Dich kenne, sowieso nichts Essbares im Haus. Und dann gehen wir erst einmal einkaufen. Wie ich richtig vermute, hast Du darauf mal wieder großzügig verzichtet. In Deinem Kühlschrank ist gähnende Leere, wofür hast Du den überhaupt?“
„Es gibt hier einen sehr guten Lieferservice.“, entgegne ich und überhöre den Vorwurf. So kampflos gebe ich nicht auf.
Oh, oh, das war nicht gut. Meine Mutter schweigt und schaut mich an. Diesen Blick kenne ich. Als kleines Mädchen wusste ich sofort, dass ich was ausgefressen habe, wenn sie mich so angeschaut hat. Das heißt: zurückrudern, um zu überleben.
„Du hast ja Recht. Ich bin einfach nicht dazu gekommen. Eigentlich wollte ich heute einkaufen gehen. Ich fühle mich nur nicht so gut.“, versuche ich, zu schlichten.
Sie schweigt immer noch.
„Also gut, wir gehen einkaufen. Gib mir nur noch etwas Zeit, um mich zu sammeln.“, brabble ich vor mich hin.
„Das ist mein Mädchen. So, jetzt ab ins Bad und mach Dich ausgehfertig. Ich mache Dir inzwischen die Suppe warm.“
Und schon flüchte ich ins Bad.
Oh mein Gott, wann bin ich wieder zu der Fünfjährigen geworden, die sich vor ihrer eigenen Mutter fürchtet? Man, heute geht es mir wirklich schlecht.
Kapitel 3
„Was machst Du denn hier im Büro an einem Samstagvormittag, Bruderherz? Du weißt doch noch, wie man Leben schreibt?? Komm schon, das ist nicht gesund!“ Meine Schwester Loreley marschiert in mein Büro und schaut mich besorgt an.
„Ich denke gerade über den Fall Schuster nach. Wir haben die erste Verhandlung Gestern vergeigt und Lisa macht sich schwere Vorwürfe. Dabei kann sie nichts dafür.“, entgegne ich nur.
„Schuster, lass mich mal kurz nachdenken. Ah ich weiß! Da habe ich Gestern in meinem Meeting etwas mitbekommen. Das hätte doch jedem passieren können. Ihr könnt doch nicht in den Mandanten hineinsehen und wenn er euch nicht alles offenlegt, tja, dann passieren dumme Dinge. Und Lisa macht sich echt Vorwürfe?“, fragt Loreley.
„Du hättest sie Gestern sehen sollen. Ich habe sie aus dieser komischen Bar rausgeholt, wo sie ab und zu nach der Arbeit hingeht. Sie war völlig hinüber.“ Bei der Erinnerung an gestern Nacht muss ich lachen. Lisa war nicht nur völlig hinüber, sondern auch und vor allem absolut bezaubernd. Sie weiß nicht, dass sie diese Wirkung auf mich hat und zum Teufel, sie sollte es auch nie erfahren. Aber es fällt mir immer schwerer, dieser Frau zu widerstehen. Sie ist klug, schön und absolut umwerfend, sowohl von außen als auch von innen. Und das ist selten und unheimlich wertvoll.
„Du magst sie, was?“, holt mich meine Schwester aus meinen Gedanken.
„Wer mag Lisa nicht? Sie ist ein toller Mensch und eine ausgezeichnete Assistentin.“, sage ich, obwohl ich weiß, dass Loreley nicht dieses Mögen gemeint hat.
„Na, wenn Du meinst. Es würde die Sache wesentlich einfacher machen, wenn ihr endlich zusammenkommt. Dann hättest Du vielleicht auch wieder ein Leben und ihr würdet nicht so umeinander herumschleichen!“, wirft Loreley ein und geht.
Nein, einfach ist hier gar nichts. Lisa ist meine Angestellte. Sie war schon in der Kanzlei als mein Vater noch praktiziert hat und als ich vor fünf Jahren übernommen habe, wurde sie meine Assistentin. Gott, ich muss nur an sie denken und schon wird meine Hose zu eng. Verflucht, ich muss mich konzentrieren. In drei Wochen stehe ich ihrer gesamten Familie wieder gegenüber - auf ihrer Geburtstagsfeier. Da kann ich keine Härte-Fälle gebrauchen.
Das letzte Mal, als ich bei den Adams war, ist eine Ewigkeit her und hatte mit Lisa nichts zu tun. Eigentlich bin ich mit ihrem Bruder Stefan seit einer Ewigkeit befreundet. Ich kann mich dennoch genau daran erinnern, als ich sie das erste Mal gesehen habe. Sie hat irgendetwas nachzukochen versucht und sah einfach nur süß aus. Sie war damals noch ein Kind, ich glaube zwölf. Der Kontakt zu Stefan ist nie abgebrochen und hält bis heute, er ist mir ein guter Freund. Da ich aber selten bei Stefan zu Hause war, habe ich Lisa aus den Augen verloren. Erst als ich nach dem Studium und etlichen Tätigkeiten in anderen Kanzleien in das Anwaltsbüro meines Vaters eingestiegen bin, habe ich sie wiedergesehen. Ich wusste sofort, wer da vor mir steht. Diese grünen Augen hätte ich überall wiedererkannt. Natürlich ist sie auch kein Kind mehr. Und wie sie kein Kind mehr ist. Aber verdammt, ich schweife wieder ab.
Der Fall Schuster. Eigentlich nicht kompliziert. Und doch eine einzige