Dr. Patchwork und die Insekten. Gordon Goh

Dr. Patchwork und die Insekten - Gordon Goh


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Und das, obwohl alle unter der gleichen Kuppel sitzen. Auf der Erde haben sich diese Menschenidioten deswegen Grenzen gesetzt, um sich noch weiter zu separieren. Jeder saß nur noch in seinem eigenen Kackland fest und konnte ohne Visum noch nicht mal das Land verlassen. Jedes Land wollte immer schön unter sich bleiben. Sie begründeten das mit Fantasien wie Nationalstolz und Landeigentum. „Das ist unser Land!“. Deswegen haben sich diese Schwachköpfe Massenvernichtungswaffen um die Ohren geworfen. Landeigentum, Nationen, Patente, Religion. Der Mensch hat ständig gepredigt „Das ist unser Land!“ „Das sind unsere Tiere!“ „Das ist mein Eigentum!“ „Diese Pflanzen gehören nicht in diese Stadt!“. Aber jetzt, wo niemand mehr auf der Erde lebt außer der Erde selbst und die Grenzen von niemandem wahrgenommen werden und die Tiere und Pflanzen einfach hin und her springen zwischen den Grenzen, frage ich dich jetzt, Ivy. In wie fern interessiert es das Universum, was die Menschen als ihr Eigentum betrachten? Ich will dir damit folgendes sagen. So etwas Abstraktes, wie nationale Grenzen oder Eigentum existiert nur in ihren beschränkten menschlichen Gehirnen. Und genau diese beschränkte Denkweise ist die Blockade ihrer geistigen Entwicklung. Landeigentum und Nationen sind Fantasien, an denen sie so stark festhalten, dass sie sich deswegen gegenseitig bekriegen. Der Mensch scheint das einzige Lebewesen zu sein, dass sich selbst Grenzen setzt, nur um seine eigene Unfähigkeit zu fördern. Das ist so erbärmlich. Wenn du mich fragst, hatte Ilmatar jeden Grund uns fertig zu machen und uns unsere Heimat zu nehmen. Dummheit muss bestraft werden. Der Mensch ist eine Plage, die dringend beseitigt werden muss.«

      Ivy schreckt auf, als sie den letzten Satz gehört hat. Adam versucht sie mit einem zusätzlichem Kommentar zu beruhigen und fügt hinzu »Oder zumindest die dumme menschliche Denkweise.«.

      Adam hebt den Nudeltopf auf und redet weiter »Dir ist schon klar, dass du und deine Kinder als Sklaven enden werden, wenn mein Vater das mit dir durchzieht. Du bist zu so viel mehr fähig. Wirf das nicht einfach weg, Ivy! Du unterschätzt dich bloß.«.

      Ivy senkt den Kopf und erwidert »Das ist aber auch meine Entscheidung.«.

      Adam hebt erschrocken den Kopf und sagt dazu »Willst du etwa wirklich ne Familie gründen? Vergiss nicht! So eine Entscheidung ist endgültig. So was probiert man nicht einfach aus. Das entscheidet man und muss mit den Konsequenzen leben.«.

      »Würdest du den Respekt vor mir verlieren?«

      Adam schweigt und wendet sich mit gesenktem Kopf den Nudeln zu.

      »Sag was, Adam!« fordert Ivy auf.

      »Ich würde meinen Respekt vor dir verlieren, wenn du deine Entscheidung bereust, weil ich dann sehe, wie naiv und dumm du handelst, aber nicht wenn du deine eigene Entscheidung triffst. Aber wehe es ist nicht deine

      Ivy zieht mit glänzenden Augen ein Lächeln der Zufriedenheit. Dabei schweigt sie und geht mit leisen Schritten auf das Keyboard zu, streift mit ihren Fingerspitzen sanft über die Kanten des Instruments und fragt »Wollten wir nicht spielen?«.

      Adam schleudert mit gelassener und geschmeidiger Wurftechnik den leeren Topf durch das halbe Wohnzimmer und verfehlt nur knapp das Waschbecken der Kochnische, in der er landen sollte. Stattdessen knallt der Topf gegen die Kante des Waschbeckens und hinterlässt dort eine dicke Delle, bevor er auf den Boden knallt und dort eine Soßensauerei und eine zersprungene Bodenkachel hinterlässt. Während Ivy zuerst das verschätzte Kunststück ansieht, blickt sie im selben Moment zurück zu Adam mit zornigem Blick und schreit »ADAM!!!«, denn sie hat die Küche erst gestern aufgeräumt und geputzt.

      Aber Adam lächelt Ivy nur süß an und antwortet »Ich dachte schon, du fragst nie.«.

      Adam geht auf das Keyboard zu und klimpert gleich eine hübsche Melodie auf die Tasten. Die Tasten sind übrigens Touchscreen-Oberflächen und das Gerät steht auf einem Gestell mit kleinen Rädern. Ivy schließt sich der Melodie an und spielt ebenfalls etwas Passendes zur Anfangsmelodie. Beide, Adam und Ivy, haben mehrere verschiedene Sequenzen komponiert und geübt, die sie verwenden, um sie in einem Stück spontan zu rekombinieren und ein völlig neues Lied zu spielen. Eigentlich ist es eher wie eine Unterhaltung, die die beiden führen, völlig ohne Worte. Wenn die beiden in ihrer Geheimsprache kommunizieren, ist es als leben beide in einer Welt ohne Flüche und ohne Vorurteile. In ihrer Unterhaltung streiten sich beide um die kaputte Kochnische und Adam versucht sich zu entschuldigen. Aber wenn man zuhört, merkt man nichts davon. Man hört nur Musik (Burton et al. 2004). Adam und Ivy haben einen Weg gefunden, aus einem Streit Harmonie werden zu lassen. Denn genau das ist es, was der Rest ihrer Gesellschaft nicht hat: Harmonie. Und kurzerhand später verwandelt sich dieser Streit in einen Strudel aus positiven Gedanken, die in Klänge, Töne und Rhythmen transmutieren. In diesem Moment ist alles gut und alles ist schön. Ihre Frequenzen harmonieren miteinander und umarmen sich, werden zu einem Lied, einem Orchester, einem Konzert. Ihre Klänge verschlingen sich, ihre Rhythmen zelebrieren. Es ist, als vollführen beide Künstler einen musikalischen Geschlechtsakt. Und tatsächlich bewirkt das Spiel sogar Erregung und Stimulanz. Ihr Blutdruck erhöht sich, ihre Herzrhythmen passen sich dem musikalischen Hintergrund an, als wollen sie damit verschmelzen und genau das tun sie auch kurz bevor beide zum Höhepunkt kommen. Aber nur Ivy erreicht ihren Höhepunkt und spielt bereits das hohe G. Adam verkneift es sich und spielt wieder tiefere Oktaven, um noch einen Refrain hinzubekommen. Ivy spielt noch die hohen Töne, lässt sich aber von Adam dann doch noch zu einer weiteren Melodie verleiten. Ihre Hände kreuzen sich auf der Tastenoberfläche. Bei diesem Durcheinander sollte man meinen, dass es nun zu chaotischen Tönen kommen sollte, aber Ivy und Adam machen das hier nicht zum ersten Mal. Bei ihrem ersten Mal waren sie total ungeschickt und wussten gar nicht, wo oben und wo unten ist. Und Adam hat ständig die falschen Töne getroffen, so dass es nie zu einem hohen G kam. Aber nun lässt er sie immer und immer wieder das G spielen. Manchmal bis zu acht Mal am Stück. Ivy versucht inzwischen Adam dazu zu verleiten, die höheren Oktaven zu spielen, während sich ihre Arme immer weiter überkreuzen und verknoten. Sie zieht Adam immer weiter nach oben und Adam lässt sich ein kleines Stück weiter zu den hohen Oktaven treiben. Nach einem ausgiebigem Vorspiel und einem halbstündigen Spiel erreichen nun beide das hohe G, um ihr Endstück zu vollbringen, und lassen ihre Töne in einem Strom gleißenden Schalls über ihre Ohren ergießen. Adam stimuliert zum großen Ende mit Zeige- und Mittelfinger die zwei höchsten Töne und klimpert mit den Fingern hin und her, um aus Ivy die besten Töne heraus zu fingern und zu kitzeln. Sie kann es nicht zurückhalten und spielt die höchsten und besten Töne. Während aus Adam nun auch die letzten Tropfen Musik tropfen, werden seine Rhythmen langsamer und seine Klänge tiefer, während Ivy immer noch ruckartig mit den Fingern zuckt, um Adams pulsierende Rhythmen zu genießen, die sie an den empfindlichsten Stellen ihres Inneren spürt und die Adam erbarmungslos in sie hineinpochen lässt. Seine letzten Amplituden sind heftig, aber dennoch geschmeidig und Ivy genießt jede einzelne Zehntelsekunde davon. Dann hören beide schlagartig auf. Das Spiel ist vorbei und beide haben nach 34 Minuten keine Kraft mehr in ihren Fingern, um weiter zu machen. Ihre Herzen schlagen immer noch und zwar vollkommen synchron zu ihrer gespielten Melodie und zu einander. Adam entfernt sich vom Keyboard und Ivy folgt ihm zur Couch, wo sich beide erschöpft hinsetzen. Ivy greift sich Adams Hand und er nach seiner Zigarettenschachtel in seiner Hosentasche. Er holt sich einen Glimmstängel raus und zündet sie sich an, während Ivy schwer atmend seine Hand festhält und drückt. Sie kann immer noch Adams Melodie in sich spüren, wie sie sich in ihren Bauch zwängt.

      Adam nimmt erst einen kräftigen Zug von seiner Zigarette und sagt dann mit erweiterten Pupillen zu Ivy blickend »Puuuh!!! Nicht schlecht! Das soll uns erst mal einer nachmachen.«.

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      Abb. 10: Musikalische Sprache trotzt den Barrieren jeder Logik.

       2

      Zur gleichen Zeit sind Maria, ihr Team und die Überlebenden des Matrixangriffes zur Kuppel zurückgekehrt. Der Sergeant und Privat Winchester besuchen die Familien ihrer gefallenen Kollegen und sagen ihnen, dass sie nicht mehr zurückkehren werden. Noah ist nach Hause gegangen, um seine verletzte Schulter selbst zu behandeln. Sie ist schlimm, aber der Doktor ist stur wie ein Esel. Währenddessen begleitet Maria Luke Colt zum Quartier


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