Das Leben des Giacomo Casanova und seine frivolen erotischen Abenteuer - Teil 1. Giacomo Casanova

Das Leben des Giacomo Casanova und seine frivolen erotischen Abenteuer - Teil 1 - Giacomo Casanova


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nur nachahmen wollen. Grade das allerschönste, was sie geben, ist nicht echt.

      Dieses junge Mädchen, das keine verfeinerte Bildung genossen hatte, aber von Natur außerordentlich klug war, wollte den Vorteil nicht außeracht lassen, für rein und ohne Falsch zu gelten; sie wusste, wie sehr ihr das zustattenkommen musste, und darum rechnete sie darauf. Aber sie hatte mir bereits einen zu hohen Begriff von ihrer Gewandtheit gegeben.

      „Ei, meine liebe Bettina“, sagte ich zu ihr, „Ihre Erzählung hat mich gerührt, aber wie kann ich denn Ihre Krämpfe und die Wahnsinnssymptome für natürlich halten, die Sie bei den Teufelsbeschwörungen gar so sehr grade immer im rechten Augenblick hervorbrachten, obgleich Sie sehr vernünftigerweise sagten, dass Sie in dieser Hinsicht selber Ihre Zweifel hätten?“

      Sie sah mich fest an und schwieg mehrere Minuten. Dann schlug sie die Augen nieder und fing wieder an zu weinen, indem sie nur von Zeit zu Zeit sagte: „O, ich Arme! o, ich Unglückliche!“ Die Situation wurde mir allmählich sehr peinlich, und ich fragte sie, was ich für sie tun könnte. Sie antwortete mir traurig, wenn mein Herz es mir nicht sagte, so wüsste ich nicht, was sie von mir verlangen könnte. „Ich glaubte“, fügte sie hinzu, „meine verlorenen Anrechte auf Ihr Herz wiedergewinnen zu können; aber ich sehe, Sie machen sich nichts mehr aus mir. Misshandeln Sie mich nur immerzu! Nehmen Sie für erheuchelt die Qualen, die ich wirklich ausstehe, an denen Sie schuld sind, die Sie immer noch größer machen! Zu spät werden Sie dies bereuen, und in Ihrer Reue werden Sie nicht glücklich sein!“

      Sie tat, als wollte sie gehen; aber ich bekam Angst, sie könnte sich etwas antun; darum rief ich sie zurück und sagte ihr, es gäbe für sie nur ein einziges Mittel, meine zärtliche Liebe zurückzugewinnen: sie müsse einen ganzen Monat frei von Krämpfen sein, und es dürfe nicht wieder vorkommen, dass der schöne Pater Mancia geholt werden müsse.

      „Dies alles“, sagte sie mir, „hängt nicht von mir ab, aber was wollen Sie damit sagen, dass Sie den Jakobinermönch schön nennen? Nehmen Sie etwa an ... ?“ – „O nein, o nein! Ich nehme gar nichts an! Denn um etwas anzunehmen, müsste ich eifersüchtig sein; aber ich muss Ihnen sagen: Der Vorzug, den Ihre Teufel den Beschwörungen des schönen Mönches vor jenen des hässlichen Kapuziners geben, führt leicht zu Glossen, die nicht zu Ihrer Ehre ausfallen. Übrigens machen Sie, was Sie wollen.“

      Hierauf ging sie, und eine Viertelstunde darauf kamen alle nach Hause. Nach dem Abendessen sagte mir die Magd, ohne dass ich sie fragte, Bettina habe sich mit einem sehr starken Fieberschauer niedergelegt, nachdem sie ihr Bett in der Küche neben dem ihrer Mutter habe aufstellen lassen. Das Fieber konnte echt sein; aber ich zweifelte daran. Ich war überzeugt, sie würde niemals sich entschließen gesund zu sein; denn sie hätte mir dadurch ein zu starkes Argument geliefert, um die angebliche Unschuld ihres Verkehrs mit Cordiani ebenfalls für erlogen zu halten. Ich sah es daher ebenfalls nur als eine List an, dass sie ihr Bett neben dem ihrer Mutter hatte aufstellen lassen.

      * * *

      Die Pocken

       Die Pocken

      Am andern Tage kam der Arzt Olivo und fand sie in heftigem Fieber; er sagte dem Doktor, das Fieber werde sie wahrscheinlich sehr aufgeregt machen, und sie werde tolle Reden führen; daran werde aber kein Teufel schuld sein, sondern eben das Fieber. Wirklich delirierte Bettina den ganzen Tag, der Doktor aber verließ sich auf den Ausspruch des Arztes und schickte nicht nach dem Jakobiner, soviel seine Mutter auch redete. Das Fieber dauerte fort und wurde immer stärker, und am vierten Tage brachen die Pocken aus. Cordiani und die beiden Feltrini, die die Krankheit noch nicht gehabt hatten, wurden sofort aus dem Hause geschafft; mit mir war es anders, und ich blieb daher allein zurück.

      Das arme Mädchen war dermaßen von den Pestbeulen bedeckt, dass am sechsten Tage an ihrem ganzen Leibe kein Stückchen Haut mehr zu sehen war. Ihre Augen waren ganz zugeschwollen, und man gab die Hoffnung auf, sie am Leben zu erhalten, als man bemerkte, dass Mund und Schlund so voll von Beulen waren, dass nur noch ein paar Tropfen Honig in die Speiseröhre eingeflößt werden konnten. Abgesehen vom Atmen lag sie völlig bewegungslos da. Ihre Mutter wich nicht von ihrem Bett, und man fand mich bewunderungswürdig, als ich mir meinen Tisch und meine Schulbücher an dieses Bett bringen ließ. Das arme Kind sah fürchterlich aus: Ihr Kopf hatte um ein Drittel an Umfang zugenommen, von ihrer Nase war nichts mehr zu sehen, und man befürchtete, sie würde auf alle Fälle ihre Augen verlieren, selbst wenn sie mit dem Leben davonkäme. Am unangenehmsten war mir der Geruch ihrer Ausdünstung, aber standhaft ertrug ich auch diesen.

      Am neunten Tage kam der Gemeindepfarrer, erteilte ihr die Absolution und versah sie mit der heiligen Ölung; dann sagte er, er lasse sie in Gottes Hand. Bei dieser an sich so traurigen Szene musste ich über die Reden der Mutter und des Doktors lachen. Die gute Frau wollte wissen, ob der Teufel, von dem sie besessen wäre, sie jetzt noch zu Tollheiten antreiben könnte, und was aus dem Teufel würde, wenn Bettina stürbe. Denn sie hielt ihn, so sagte sie, nicht für so dumm, dass er in einem so ekelerregenden Körper bleiben würde; vor allem aber wünschte sie zu wissen, ob der Teufel sich der Seele ihrer armen Tochter bemächtigen könnte. Der Doktor gab als ubiquistischer Theologe auf alle diese Fragen Antworten, in denen keine Spur von gesundem Menschenverstand war, so dass dadurch die Verlegenheit der armen Mutter nur noch größer wurde.

      Am zehnten und elften Tage stand es mit Bettina anscheinend so schlecht, dass wir jeden Augenblick erwarteten, sie zu verlieren. Die Krankheit war auf ihrem Höhepunkt; die Arme verbreitete einen so furchtbaren Geruch, dass niemand es mehr bei ihr aushalten konnte. Nur ich ging nicht von ihrer Seite, denn ihr Zustand machte mich untröstlich. Das menschliche Herz ist ein Abgrund; denn – sollte man es glauben? – in diesem entseuchen Zustand flößte Bettina mir die ganze Zärtlichkeit ein, die ich nach ihrer Heilung ihr bewies.

      Am dreizehnten Tage hörte das Fieber auf, und Bettina wurde von einem unerträglichen Jucken gequält, das sich durch keine Arznei so wirksam hätte lindern lassen wie durch die Worte, die ich jeden Augenblick wiederholte: „Bettina! Denken Sie dran, dass Sie jetzt gesund werden, aber wenn Sie's wagen, sich zu kratzen, so bleiben Sie so hässlich, dass kein Mensch Sie mehr liebhaben wird.“

      Welcher Arzt aus der ganzen Welt weiß ein stärkeres Verhinderungsmittel gegen das Jucken für ein junges Mädchen, welches weiß, dass es schön gewesen ist und sich in Gefahr sieht, durch eigene Schuld hässlich zu werden, wenn es sich kratzt?

      Endlich öffnete sie zum ersten Mal wieder ihre schönen Augen; man legte sie in ein frisches Bett und trug sie in ihre Kammer; doch musste sie noch bis Ostern das Bett hüten. Sie impfte mir einige Pocken ein, von denen drei auf meinem Gesicht unverwischbare Spuren zurückgelassen haben. Aber sie machten mir Ehre bei Bettina, denn sie waren ein Zeichen meiner treuen Pflege, und sie erkannte jetzt an, dass ich ihre ausschließliche Zärtlichkeit verdiene. Darum liebte sie mich von nun an ohne jede Verstellung, und ich liebte sie ebenso zärtlich, ohne jedoch eine Blume zu pflücken, die das Schicksal im Bunde mit dem Vorurteil für die Ehe aufbewahrte. Aber für was für eine jämmerliche Ehe!

      Zwei Jahre später heiratete Bettina einen Schuster, namens Pigozzo, einen gemeinen Schuft, der sie arm und unglücklich machte, so dass ihr Bruder, der Doktor, sie von ihm fortnehmen und für sie sorgen musste. Als der gute Doktor fünfzehn Jahre darauf zum Erzpriester der Kirche von San Giorgio di Piano gewählt wurde, nahm er sie mit.

      Dort traf ich, als ich vor achtzehn Jahren ihn besuchte, Bettina als alte und todkranke Frau. Sie verschied vor meinen Augen im Jahre 1776, vierundzwanzig Stunden nach meiner Ankunft in ihrem Hause. Ich werde von diesem Todesfall noch sprechen, wenn ich so weit bin.

      * * *

      Meine Abreise von Padua

       Meine Abreise von Padua

      Etwa um diese Zeit kam meine Mutter von St. Petersburg zurück, wo die Kaiserin Anna Iwanowna die italienische Komödie nicht unterhaltend genug fand. Die ganze Truppe war wieder in Italien, und meine Mutter hatte die Reise in Gesellschaft des Harlekins Carlino Bertinazzi gemacht, der 1783 in Paris starb.


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