Elementa. Daniela Kappel
Händen, aber einem Stein im Magen auf den Heimweg.
„Bist du dir absolut sicher, Konrad?“, fragte Alarik nun schon zum zweiten Mal mit erregter Stimme und blickte sein Gegenüber mit zusammengekniffenen Augen an. Schweißperlen traten auf seine Stirn und der Atem ging ihm schnell vor Aufregung. Sollte Konrad wirklich recht haben, wäre das seine große Chance.
„Ohne Zweifel!“, betonte dieser erneut und knetete fiebrig seine schmutzigen Hände. „Ich weiß doch, was ich gesehen habe! Oder vertraust du nicht in meine Fähigkeiten? Es war zwar nur ein blauer Schimmer, aber ich bin mir hundertprozentig sicher, dass ich es gesehen habe. Dieses Mädchen hat beide Elemente, Luft und Wasser, in sich vereint! Mag sein, dass sie die Affinität zum Wasser geheim hält, um nicht aufzufallen, oder aber es ist ihr gar nicht erst bewusst, dass sie diese Macht hat! Allerdings könnte ich mir keinen Grund denken, warum das so sein sollte. Aber egal“, betonte Konrad. „Ich bin mir sicher! Und nur das zählt!“, schloss er und reckte triumphierend sein Kinn in die Höhe.
Alarik war sich sehr wohl bewusst, dass Konrad einer der besten Auraleser war, zumal diese Gabe äußerst selten auftrat. „Und du weißt, wo sie sich aufhält?“, wollte Alarik wissen.
„Ja! Ich habe sie bis zu ihrer Wohnung verfolgt und dort noch eine Weile beobachtet. Kurze Zeit später kam ein Mann dazu, ich schätze, es ist ihr Vater. Hier ist die Adresse.“ Konrad reichte ihm ein abgerissenes Stück Papier, auf dem in krakeliger Handschrift ein Straßenname samt Hausnummer zu lesen war.
„Nun gut, dann geh dich erst einmal duschen, im Bad liegen frische Sachen für dich bereit, und dann zu Silvia in die Küche. Sie wird dir etwas zum Essen machen und dir deinen Lohn aushändigen.“
Angewidert von dem intensiven Geruch nach Schweiß und Tabak, der von Konrad ausging, drehte sich Alarik weg und widmete sich seinem Computer, um den Hauseigentümer ausfindig zu machen, welcher unter der eben erhaltenen Anschrift aufschien.
Konrad hatte den Raum bereits vor einigen Minuten verlassen, als Alarik Gepolter und Stimmengewirr aus dem unteren Stockwerk vernahm. Eilig sperrte er den Computer, um nachzusehen, wer oder was diesen Tumult verursachte. Als er auf halbem Weg nach unten war, machte er die gereizten Stimmen seiner Söhne aus und auch die seiner Frau, während sie versuchte, zwischen den beiden zu schlichten.
„Musstest du dich einmischen, Derek? Ich hätte bei ihr landen können! Sie hat mir schließlich den ganzen Abend schöne Augen gemacht!“, warf Vincent, sein Jüngster, seinem Bruder wutentbrannt vor.
Alarik nahm gerade die letzten zwei Stufen der Treppe auf einmal, als Derek, der eine blutende Nase hatte, in schallendes Gelächter ausbrach. „Sie dir schöne Augen gemacht? Schielst du? Die hat sich nur für mich interessiert, wie man ja auch unschwer daran erkennen kann, dass sie mich geküsst hat und nicht deine Wenigkeit! Hättest du mir nicht die Tour vermasselt, hätte ich sie sicher noch flachgelegt!“, prahlte er.
Vincent wollte sich gerade wieder auf seinen älteren Bruder stürzen, zweifellos um auch das andere Nasenloch zum Bluten zu bringen, doch Alarik hatte genug gehört.
„Vincent, hör auf!“, dröhnte er deshalb mit seiner tiefen Stimme.
Vincent, der gerade zum Schlag ausgeholt hatte, hielt mitten in der Bewegung inne und starrte seinen Vater aus zornfunkelnden Augen an.
„Derek, geh in dein Zimmer“, befahl sein Vater, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen.
„Hallo, Vater! Ja, mein Abend war toll! Danke der Nachfrage! Ja, auch sonst geht es mir gut“, leierte Derek und zog sich dabei die Stiefel aus.
„Lass den Blödsinn und tu, was ich dir gesagt habe!“, erwiderte Alarik und schaute seinem Sohn nun doch ins Gesicht. Mit einem ausdruckslosen Blick wartete er darauf, dass Derek sich in Bewegung setzte, um seinem Befehl nachzukommen, was dieser auch mit einem Kopfschütteln tat.
„Gute Nacht, Mama“, murmelte er noch, bevor er sich an seinem Vater vorbeischob und die Stiegen nach oben trampelte.
„Gute Nacht, mein Schatz!“, verabschiedete ihn seine Mutter und blickte Derek nach, bis er außer Sicht war.
„So, und nun zu dir, junger Mann!“, begann Alarik die übliche Predigt. „Du weißt, du hast gewisse Privilegien, die ich dir sofort wieder entziehe, wenn du die von mir auferlegten Grenzen auch nur gedenkst zu überschreiten! Keine Mädchen!“, donnerte Alarik und die Augäpfel traten ihm dabei leicht aus den Höhlen.
„Privilegien? Das ist ein schlechter Scherz!“, bluffte Vincent, doch brachte er nicht den Mumm auf, seinen Vater dabei anzusehen. „Gerade, dass ich kein Gefangener in meinem Zuhause bin! Ich darf ausgehen, aber ich darf keinen Spaß haben! Was soll das dann bringen? Frische Luft schnappen?“ Er blinzelte nach oben, um die Reaktion seines Vaters abzuschätzen, und was er sah, stimmte ihn nicht sehr optimistisch. Alarik war hochrot im Gesicht und presste die Lippen fest aufeinander, als müsse er die Worte zurückhalten, die ihm auf der Zunge brannten.
Silvia setzte gerade zu einer Verteidigung ihres Sohnes an, als sie schroff von ihrem Mann abgewürgt wurde: „Vincent, ich habe mit dir zu sprechen! Du willst dich mit Weibern vergnügen? Du wirst bald die Gelegenheit bekommen, deinen Trieben freien Lauf zu lassen!“ Ein erwartungsvolles Funkeln hatte sich in seine Augen gestohlen und auch die Röte seiner Haut ließ bei seinen Worten sichtlich nach.
Silvia atmete erschrocken ein. „Soll das bedeuten, ihr habt eine gefunden? Eine Frau mit einer gegengleichen Anomalie?“, keuchte sie und schüttelte benommen den Kopf.
Ein breites Grinsen formte sich auf Alariks Mund. „Ja, mein Goldstück, genau das heißt es. Unser Sohn wird bald seiner Pflicht nachkommen und unser Blut wird es sein, das die Prophezeiung erfüllt!“
Vincent schluckte schwer. Er wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Seit seiner Geburt, besser gesagt, seit er als Baby dem Auraleser gezeigt wurde und feststand, dass er in sich die Elemente Feuer und Erde vereinte, war sein Leben festgelegt worden. Er wurde nur zu dem einen Zweck aufgezogen: Einmal, sollte sich ein passendes Gegenstück finden, die Blutlinie seiner Familie weiterzugeben.
Er konnte es nicht fassen, dass dieser Tag nun wirklich gekommen war. Sein Vater tat zwar immer so, als würde es jederzeit passieren, aber er wusste und auch seine Mutter betonte immer wieder, wie unwahrscheinlich es war, dass zwei passende Anomalien zur selben Zeit auftraten. Bisher war es jedenfalls noch nie vorgekommen. Er hatte sich darauf eingestellt, seine Tage unter dem Drill seines Vaters zu fristen, und träumte davon, ihm irgendwann die Stirn zu bieten und sich davonzumachen, um sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Doch nun war diese Möglichkeit undenkbar geworden. Nun musste er, wie sein Vater schon gesagt hatte, seine Pflicht erfüllen und darauf vertrauen, dass sich sein Leben dann vielleicht ändern würde. Das Leben aller Menschen. Er hoffte nur, dass sie nicht alt und hässlich war, diese andere Anomalie.
2
Daria versuchte verzweifelt, die verbeulte Konservendose zu öffnen, um an die darin befindliche Tomatensoße zu gelangen. Ja, die Konserve war um die Hälfte verbilligt, weil kein anderer sich solch einen Kampf liefern wollte. Als sie kurz davor war, die Blechbüchse aus dem Fenster zu werfen, hörte sie ein feines Zischen und Tomatensoße spritzte ihr ins Gesicht.
Voller Wut umklammerte sie die Dose und ermahnte sich ruhig zu bleiben, denn sie spürte bereits, wie sich die Luft im Raum langsam zu drehen begann. Ihr Vater wäre sicherlich nicht erfreut, wenn er hereinkäme und direkt in einen Minitornado gezogen würde. Also zählte sie in Gedanken von zehn langsam rückwärts und bearbeitete die widerspenstige Konserve weiter, bis das Loch groß genug war, um den Inhalt in den kleinen und ebenso zerbeulten Kochtopf zu kippen.
Als das endlich geschafft war, kam ihr Vater zur Tür herein. „Kalt geworden“, murmelte er statt einer Begrüßung, gab ihr aber im Vorbeigehen einen flüchtigen Kuss auf den Kopf. „Riecht lecker, Liebes!“, merkte er an und nahm an dem kleinen, runden Tisch Platz, der bereits gedeckt war.
„Mhm“, war Darias Antwort darauf. Nudeln mit Tomatensoße war das