Wir kamen mit der Mayflower. S.C. Bauer

Wir kamen mit der Mayflower - S.C. Bauer


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be­kom­me mit mei­ner Mut­ter das an­de­re Zim­mer. Es ist nicht be­heizt und von den Wän­den läuft Was­ser. Die Stroh­sä­cke, auf denen wir schla­fen, schim­meln.

      Das Zim­mer ist voll­ge­räumt mit unse­rer Ha­be für den täg­li­chen Ge­brauch.

      Mei­ne Mut­ter be­steht da­rauf, die klei­ne Holz­kis­te mit­zu­neh­men, in der sie ihre ge­trock­ne­ten Kräu­ter und Wur­zeln auf­be­wahrt und der stets ein eigen­tüm­li­cher Ge­ruch ent­strömt.

      »Sie wer­den dich noch be­vor wir ab­le­gen we­gen Hexe­rei ver­haf­ten«, wet­tert mein Va­ter auf­ge­bracht, als er die Kis­te be­merkt.

      Doch mei­ne Mut­ter hält sie eigen­sin­nig um­klam­mert. »Ich ge­he nicht, oh­ne mei­ne Arz­nei­en«, er­klärt sie be­stimmt und mein Va­ter gibt zäh­ne­knir­schend nach. Mei­ne Mut­ter kennt sich gut aus mit Heil­mit­teln und mei­nem Va­ter ist nicht ganz wohl da­bei. Wir ha­ben vie­le Frau­en bren­nen ge­se­hen, die we­gen sol­cher Küns­te ver­urteilt wur­den.

      Wir zie­hen uns tro­cke­ne Sa­chen an und ge­hen nach unten in den Gast­raum. Es gibt Ham­mel­ein­topf, der einen star­ken Bei­ge­schmack hat. Mei­ne Mut­ter rümpft die Na­se: »Das Fleisch ist ver­dor­ben.« Ich kann nur we­ni­ge Bis­sen da­von es­sen.

      Am nächs­ten Mor­gen scheint die Son­ne und es ist herr­lich warm. In al­ler Frü­he be­glei­ten wir, mei­nen Va­ter zum Dock. Er will uns die May­flo­wer zei­gen, das Se­gel­schiff, das uns in die neue Hei­mat bringt.

      Unser Fracht­gut ist be­reits an Bord. Mein Va­ter hat über 100 Paar Schu­he und ein Dut­zend Stie­fel mit­ge­bracht. Da­zu zahl­rei­che Mö­bel, Tru­hen, ge­pols­ter­te Ses­sel und Kis­ten vol­ler Wä­sche, Werk­zeu­ge, Sä­cke vol­ler Saat­gut und noch et­li­ches mehr. Unse­re Tie­re, die Zie­gen, Schwei­ne und Hüh­ner und na­tür­lich Pe­ters gro­ße Hün­din Bir­die, kom­men auch noch mit.

      Die May­flo­wer ist ein gro­ßes, wuch­ti­ges Se­gel­schiff, mit einem schna­bel­arti­gen Vor­der­teil, und ho­hen Auf­bau­ten an Heck und Bug. Ich zäh­le drei ge­wal­ti­ge Mas­ten ver­teilt auf dem Deck und einen klei­ne­ren hin­ten am Heck, an denen die Se­gel jetzt ein­ge­holt und fest­ge­zurrt sind. Sie wer­den sich wohl mäch­tig bau­schen, so­bald sie ge­hisst sind und der Wind sich in ih­nen fängt.

      Ob­wohl das Schiff be­ein­dru­ckend ist, bin ich ein we­nig ent­täuscht. Die May­flo­wer wirkt alt und ab­ge­nutzt.

      Pe­ter sieht mei­nen skep­ti­schen Blick. »Was ist los?«, fragt er mich.

      »Ich fin­de, das Schiff, sieht ein we­nig schä­big aus«, flüs­te­re ich ihm zu.

      Er lacht. »Lass dich nicht vom be­schei­de­nen Aus­se­hen der May­flo­wer täu­schen. Sie ist sehr zu­ver­läs­sig und hat sich auf vie­len Rei­sen kreuz und quer über die Mee­re, bes­tens be­währt«, er­klärt er mir.

      Ein kräf­ti­ger blon­der Mann, mit wet­ter­ge­gerb­tem Ge­sicht, der un­ge­fähr im Al­ter mei­nes Va­ters ist, be­grüßt uns freund­lich. Er stellt sich als Chris­to­pher Jo­nes vor und ist einer der vier Eigen­tü­mer des Schif­fes und Ka­pi­tän der May­flo­wer. Die Mer­chant Com­pa­ny hat ihn mit Schiff und Be­sat­zung für die Rei­se an­ge­heu­ert.

      »Mei­ne May­flo­wer ist ein gu­tes Mäd­chen. Wir ha­ben eben eine La­dung von 180 Fäs­sern bes­ten Wei­nes aus Por­tu­gal her­ge­bracht. Mei­ne Sü­ße lag 12 Fuß tief im Was­ser und sie war den­noch pfeil­schnell«, er­zählt Mr. Jo­nes stolz.

      Wir dür­fen an Bord ge­hen und er zeigt uns die Decks.

      »Ka­pi­tän Jo­nes, wo wer­den wir schla­fen?«, fragt mei­ne Mut­ter. Es ist eine ty­pisch weib­li­che Fra­ge und die Män­ner tau­schen nach­sich­ti­ge Bli­cke.

      Ka­pi­tän Jo­nes führt uns auf das Zwi­schen­deck, wo auch die Ka­no­nen ver­staut sind. Ich se­he fast ein Dut­zend mas­si­ger Ar­til­le­rie­ge­schüt­ze, und mein Va­ter weist ei­tel da­rauf hin, dass vier da­von unse­rer Com­pa­ny ge­hö­ren und uns in der Neu­en Welt zur Ver­fü­gung ste­hen wer­den.

      »Hier Ma­dam, wird eu­er Schlaf­platz sein«, er­klärt Ka­pi­tän Jo­nes und mei­ne Mut­ter und ich schau­en ihn er­schro­cken an. Schon jetzt ist es sehr be­engt dort, ob­wohl noch kei­ne Pas­sa­gie­re an Bord sind. Die Män­ner ste­hen in leicht ge­bück­ter Hal­tung und wä­re ich nicht so klein, wür­de auch ich nicht auf­recht ste­hen kön­nen. Die Luft riecht muf­fig und dringt nur durch eine schma­le Lu­ke he­rein, die auf das Ober­deck führt. Dort­hin ge­langt man über eine wa­cke­li­ge Strick­lei­ter.

      Ich fra­ge mich, wie wir hier zwei Mo­na­te le­ben sol­len, wa­ge aber nicht mich laut zu äu­ßern. Mei­ne Mut­ter at­met tief durch und presst die Lip­pen auf­ei­nan­der, aber sie sagt kein Wort da­zu.

      »In zwei Ta­gen bre­chen wir auf«, er­klärt Ka­pi­tän Jo­nes.

      Wir ver­las­sen das Schiff und ge­hen zu dem Gast­hof zu­rück. Dort kommt eben die Fa­mi­lie Mar­tin an. Mr. Mar­tin hat noch mehr Ge­päck da­bei als wir. Sei­ne Frau Ma­ry ist wort­karg, in ihren Au­gen liegt der glei­che über­heb­li­che Aus­druck, wie bei ihrem Mann. Sie ha­ben Mrs. Mar­tins Sohn aus ers­ter Ehe, So­lo­mon Pro­wer und einen Die­ner, John Long­mo­re, bei sich, die bei­de im Al­ter mei­nes Cou­sins Pe­ter Brow­ne sind.

      Es schickt sich nicht für mich, mit ih­nen zu re­den, und so unter­hal­ten sich die Män­ner eine Wei­le, wäh­rend wir Frau­en da­ne­ben ste­hen und zu­hö­ren. Pe­ter ver­liert je­doch bald die Lust an den Ge­sprä­chen und macht einen Spa­zier­gang mit sei­ner Mas­tiff-Hün­din. Ich den­ke, dass auch er nicht sehr an­ge­tan ist von der Fa­mi­lie Mar­tin.

      Mein Va­ter hört sich ge­dul­dig die wort­rei­chen Kla­gen von Mr. Mar­tin über Ro­bert Cush­man, den Agen­ten der Lei­de­ner Grup­pe, an.

      »Die­ser arm­se­li­ge, be­ten­de Wicht, der von Ge­schäf­ten kei­ne Ah­nung hat, wagt es tat­säch­lich, von mir Re­chen­schaft we­gen der Buch­füh­rung zu ver­lan­gen! An­geb­lich ver­misst er eine Spen­de von 700 Pfund in den Auf­zeich­nun­gen der Ge­sell­schaft und nun will er von mir wis­sen, wo das Geld ge­blie­ben ist«, be­schwert er sich em­pört.

      Mein Va­ter be­eilt sich, den er­bos­ten Mr. Mar­tin zu be­schwich­ti­gen: »Je­der weiß, dass ihr ein Eh­ren­mann seid, Mr. Mar­tin.«

      Ich ha­be da so mei­ne Zwei­fel, hal­te aber na­tür­lich mei­nen Mund.

      Mei­ne Mut­ter und Ma­ry Mar­tin wech­seln kein Wort mit­ei­nan­der und ver­mei­den es, sich an­zu­se­hen. Ich den­ke, sie wer­den kei­ne be­son­ders gu­ten Freun­din­nen. Ich hof­fe, dass unse­re Schlaf­plät­ze auf der May­flo­wer, weit von­ei­nan­der ent­fernt lie­gen. Doch ich be­zweif­le, dass es in der En­ge mög­lich sein wird, den Mar­tins aus dem Weg zu ge­hen.

      Mr. Wes­ton ist ge­kom­men, um sich von uns zu ver­ab­schie­den und uns eine gu­te Rei­se zu wün­schen. Ich weiß, dass er ver­stimmt ist, weil wir den ge­än­der­ten Ver­trag mit den Kauf­leu­ten nicht unter­schrie­ben ha­ben. Mr. Wes­ton macht so­gleich deut­lich, dass er haupt­säch­lich am wirt­schaft­li­chen Er­folg der Unter­neh­mung in­te­res­siert ist. »Nehmt das Land und arbei­tet flei­ßig, dass wir bald unser Geld zu­rück­ha­ben und nicht be­reu­en müs­sen, in euch in­ves­tiert zu ha­ben.« Mein Va­ter sieht ihn be­frem­det an, aber Mr. Mar­tin stimmt me­ckernd in sein über­heb­li­ches La­chen ein.

      Pe­ter


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