Wolken, Land und Wasser. Michael Schenk

Wolken, Land und Wasser - Michael Schenk


Скачать книгу
es selber sehen“, schlug der Axtmeister vor. „Ich habe alle beschädigten Fluggeräte zum rechten Schwingenfeld bringen lassen. So sind sie an einem Ort und man kann ihre Teile bequemer untereinander austauschen.“ Er seufzte vernehmlich. „Das mag einige von ihnen flugfähig erhalten. Andere hingegen taugen dann nur noch als Ersatzteile.“

      Sie verließen den Amtsraum und traten in die Stadt hinaus.

      Vor ihnen lag der offene Versammlungsplatz am Bug der Stadt. Er diente nicht nur dem Zusammentreffen der Bewohner, sondern auch ihrer Erholung. Hier gab es die meisten der wenigen Bäume und Zierpflanzen, Sitzgruppen und Spielplätze für die kleinen Hüpflinge und sogar einen kleinen Brunnen, der im ewigen Kreislauf sein Wasser spie. Der Rand des Platzes war von den kleinen Geschäften und Ständen gesäumt, in denen derzeit jedoch kaum eine Ware angeboten wurde.

      Hinter dem Platz begannen die Arbeitsstätten der Stadt. Dort wurde produziert, was man selbst herstellen konnte. Hier lagen auch die beiden Pflanzenfarmen, die der Grundversorgung dienten. In der Mitte der Stadt standen die Maschinen und der große Lichtsammelturm, dahinter schlossen sich die Wohngebäude an. Bis auf den Lichtsammler wurde alles von den stützenden Säulen und Ankern des Netzes überragt, unter dem die oberen Heißluftballons mit zusätzlichen Ketten und Tauen gesichert waren.

      Wie üblich war der Versammlungsplatz belebt. Männliche und weibliche Zwerge strebten ihrer Arbeit entgegen, andere betreuten Gruppen kleiner Hüpflinge oder versammelten diese, um sie in jenen Dingen zu unterweisen, die ein Angehöriger der Wolkenclans wissen und beherrschen musste.

      Neben dem bescheidenen Amtshaus des Stadtherrn, direkt in der Mitte des Bugs, stand das Steuerhaus. Ein kompliziertes und sehr komplexes System von Zugseilen, Ketten und Kristallleitungen sorgte dafür, dass die Stadt von dort aus gesteuert werden konnte. Rund um die Uhr versahen hier zehn Zwerge ihren Dienst.

      Die Gruppe der Meister erwiderte die höflichen Grüße, mit denen sie bedacht wurde und schlenderte betont gemächlich über den Platz. Es war wichtig, Ruhe und Gelassenheit auszuströmen und den Stadtbewohnern auf diese Weise ein Gefühl der Normalität und Sicherheit zu vermitteln. Obwohl alles in Barbrot Himmelsherr danach drängte, möglichst rasch nach dem Wohlergehen der Flugschwingen zu sehen, nahm er sich die Zeit, für einen Moment am Ballspiel einiger Hüpflinge teilzunehmen.

      Außerhalb des Platzes und zwischen den Gebäuden herrschte ein verwirrendes Spiel aus Licht und Schatten. Die Ballons über der Stadt verdeckten die Sonne und ließen ihr Licht nur in den Lücken hindurch, dort, wo sich auch die Kristallschüsseln der Lichtsammler befanden. Gelegentlich bewegte sich die Stadt im Wind und dann wanderte das Licht. Nur über dem Platz selbst war der Himmel frei, damit Pflanzen und Stadtbewohner die Sonne dort uneingeschränkt genießen konnten.

      Sie gingen an einer Schmiede vorbei, in der Werkzeuge und auch Schmuck hergestellt wurden. Zwei Männer und zwei Frauen saßen hier beim Würfelspiel. In den Regalen und auf den Werkbänken war kaum ein Stück Metall oder Gold zu sehen.

      „Wahrhaftig, wir müssen dringend Handel treiben“, murmelte der Stadtherr. „So schlecht stand es noch nie um den Clan der Hanevaa.“

      „Warte, bis du meine Schwingen siehst“, rieb Hartschlag noch ein wenig Salz in die seelische Wunde des Stadtoberhauptes.

      Kurz darauf war es so weit.

      Zu beiden Seiten der Stadt lagen die beiden Schwingenfelder. Auf ihnen ruhten die Luftschiffe und die Flügelschwingen in ihren Verankerungen. Im Gegensatz zu den Auftriebsballons, deren Hüllen weich waren und die sich erst unter heißer Luft ausdehnten, bestanden die Rümpfe der Luftschiffe aus starrem Material. Die großen Transportfahrzeuge erinnerten an Ruderboote, die an überdimensionale Zigarren hingen. Sie konnten bis zu achtzig Zwerge oder die entsprechende Last an Waren tragen.

      Die Flügelschwingen waren vollkommen anders. Der lang gestreckte Rumpf bestand aus einem hölzernen Rahmen, den man mit Stoff bespannte. Vorne befand sich eine ebenfalls hölzerne Luftschraube, die mit Hilfe einer Umsetzung über Pedale von den Beinmuskeln des Piloten angetrieben wurde. Seine Kraft bestimmte die Geschwindigkeit der Flügelschwinge. Hinter dem Piloten war ein großer Tank eingebaut, der ein Gas enthielt, welches leichter als Luft war. Es wurde mit Hilfe von Schwefelsäure und Eisenfeilspänen erzeugt und war sehr effektiv. Dennoch verzichtete man darauf, es für die Auftriebballons der Stadt zu verwenden, da es brennbar war. Bei den Fliegern der Schwingen hielt man das Risiko jedoch für vertretbar, da ein tragender Heißluftballon die Beweglichkeit der Schwinge zu stark behindert hätte. Hinter dem Tank war ein zweiter Sitz angebracht, in dem ein Beobachter Platz nehmen konnte.

      Die Bezeichnung Schwinge rührte von den beiden Tragflächen her, die sich auf Höhe des Piloten befanden. Sie dienten allerdings weniger dem Auftrieb als vielmehr der Höhensteuerung, denn der Pilot konnte ihren Anstellwinkel mit zwei Steuerhölzern verändern. Es gab kein Seitenruder und die Bewegung nach rechts oder links wurde durch die Gewichtsverlagerung der Flieger hervorgerufen.

      Die beiden Schwingen waren ebenfalls aus Holz und Stoff gefertigt. Damit sie bei raschen Flugbewegungen nicht unter der Belastung zerbrachen, waren sie mittels metallener Drähte mit einem kleinen Mast verbunden, der hinter dem Piloten aufragte.

      Die Flügelschwingen waren mit einem kleineren Sonnengeschütz bewaffnet, dessen kristallener Energiespeicher, rechts neben dem Piloten, außen am Rumpf montiert war. Es war starr befestigt und der Pilot musste mit der gesamten Schwinge zielen, um Aussicht auf einen Treffer zu haben. Ihre Erfolge waren jedoch unbestreitbar und so genossen die mutigen Schwingenflieger hohes Ansehen im Clan.

      Jede Flügelschwinge stand auf zwei stabilen Kufen. Da ihr Auftriebskörper immer mit der erforderlichen Menge Gas gefüllt war, verhinderten Ankerseile, dass sie sich von ihren Startblöcken erhoben.

      Eldont'haneeva verfügte über vier Transportluftschiffe und vierundzwanzig Flügelschwingen, die normalerweise zu gleichen Teilen auf die Schwingenfelder verteilt waren. Grimmbart Hartschlag hatte jedoch befohlen, alle beschädigten Schwingen zum rechten Feld zu bringen, so dass dort ein Luftschiff und acht der leichteren Fluggeräte lagen, an denen die Besatzungen und Wartungshandwerker arbeiteten. In den Blicken, die man den Meistern zuwarf, lag mancher stumme Vorwurf verborgen.

      Barbrot Himmelsherr spürte, dass man ihn für die missliche Lage der Stadt verantwortlich machte. Immerhin war es der Stadtmeister, der den Kurs der Wolkenstadt bestimmte. Fast ein Jahr war man keinem Volk begegnet, mit dem man hätte Handel treiben können. Die Welt war groß. Es gab viele Kontinente und unzählige Inseln und dennoch schien es fast, als existiere nichts außer der eigenen Stadt. Der Anblick des neuen Kontinents erfüllte alle Stadtbewohner mit neuer Hoffnung.

      Möglicherweise hätte man sich längst selbst aus der misslichen Lage befreien können. Das Volk der Zwerge verstand sich auf das Schürfen von Erz und es gab Inseln, auf denen wildes Getreide wuchs. Doch obwohl der Anblick von Land und die Aussicht auf einen Handel das Herz eines jeden Zwerges mit Freude erfüllte, empfanden sie zugleich große Furcht, festen Boden zu betreten. Vielleicht lag dies in jenen alten Sagen begründet, die davon berichteten, die Zwerge hätten einst in Bergen gelebt und seien von einem entsetzlichen Feind beinahe vernichtet worden, bevor sie sich in die Sicherheit der Wolken begaben.

      Selbst zum Bau einer neuen Wolkenstadt wurde kein Land betreten. Alle zehn Jahre versammelten sich die Clanstädte an einem bestimmten Ort. Dort wechselten Heiratswillige die Clans, um das Blut frisch zu halten. Dort tauschte man Güter und das Wissen über neue Inseln und Kontinente und aktualisierte die Karten. Dort baute man in gemeinsamer Anstrengung die Teile einer neuen Wolkenstadt, auf denen ein neuer Clan seine Heimat fand. Es war ein Ort, an dem das Wolkenvolk auch immer wieder mit jenen Zwergen zusammentraf, die in den schwimmenden Floßstädten lebten.

      Ja, es gab viele Zwerge und doch war ihre Zahl gering, wenn man sie mit denen der zahllos erscheinenden Rudel, Horden, Stämme und Länder verglich, die auf Inseln und Kontinenten existierten und deren Leben oft von Krieg bestimmt war. Nein, keinen Zwerg verlangte es danach, den Fuß an Land zu setzen, wenn dies nicht unbedingt erforderlich war oder einen guten Handel verhieß. Diese instinktive Angst durfte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zwerge furchtlose Kämpfer waren, die ihr Heim und ihr Volk bis zum letzten Blutstropfen


Скачать книгу