Wolken, Land und Wasser. Michael Schenk

Wolken, Land und Wasser - Michael Schenk


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Teil dieser Energie gelangte über dünne Kabel in die Häuser, beheizte sie und betrieb Kochstellen und andere Geräte. Der Sonnenkollektor war groß genug, um ausreichend Energie für jene Zeit zu speichern, in der man das Sonnenlicht nicht direkt nutzen konnte, da schlechtes Wetter oder Nacht herrschten.

      Über die Gebäude auf der Plattform war ein gewaltiges Netz gespannt, welches von unzähligen kräftigen Tauen und einer Vielzahl von hohen Säulen gehalten wurde. Dieses Netz hielt rund dreihundert riesige Heißluftballons. Zusätzliche Ballons waren unterhalb der Stadt angebracht und sorgten für weiteren Auftrieb. Justierbare Kristallschüsseln oder Kristallleitungen sorgten dafür, dass die Luft in ihrem Inneren ausreichend erhitzt wurde. Die Zufuhr an Lichtenergie war entscheidend dafür, ob die Stadt sank oder sich weiter in die Luft erhob.

      An den oberen und unteren Ecken der Plattform waren massige Konstruktionen angebracht, mit deren Hilfe die großen Propeller angetrieben und gesteuert wurden, um die Flugrichtung der Stadt zu bestimmen.

      Im Allgemeinen hielt sich eine Wolkenstadt in einer Flughöhe von zwei bis maximal drei Tausendlängen auf. Längst hatte sich das Volk der Zwerge den Bedingungen angepasst und war den etwas geringeren Luftdruck gewöhnt. So hatten sich ihre Lungen und Brustkörbe ein wenig vergrößert. Sie betraten den festen Boden einer Landmasse ohnehin nur ungern und selten, denn der Aufenthalt in den Wolken schützte vor gefährlichen Tieren und anderen Feinden. Die Bewohner der Wolkenstadt waren Händler, Entdecker und friedliche Wesen, auch wenn sie sich durchaus zu verteidigen wussten.

      Die Fähigkeit der Kristalle, Lichtenergie zu speichern, wurde vom Wolkenvolk auch als Waffe genutzt. Die grellen Todesblitze ihrer Sonnenwaffen waren beim Feind ebenso gefürchtet wie die scharfen Schneiden ihrer Kampfäxte.

      Luftschiffe mit starrer Hülle transportierten Waren. Kleine Flügelschwingen streiften eifrig um die Wolkenstadt, um sie vor ihrem wohl einzigen Feind zu schützen: den großen Scharfschnäbeln, die stets in Scharen auftraten und welche nicht nur die Hüllen eines Ballons zerfetzen, sondern auch die dünnen Wände der Plattform oder Häuser beschädigen konnten.

      In den zwei- bis dreistöckigen Gebäuden der Stadt lebten nicht nur ihre rund 3.000 Bewohner. Dort waren auch jene Werkzeuge und Maschinen untergebracht, die das Wolkenvolk benötigte. Sorgfältig gehegte Beete, auf denen man Pilze und andere Nutzpflanzen zog, gehörten zur Lebensgrundlage. Das meiste Trinkwasser wurde bei Regen in Behältern gesammelt, welche den größten Anteil am Gewicht der Stadt ausmachten, denn die Zwerge waren ein durstiges und reinliches Volk. Gab es nicht ausreichend Regen, so machten sich die großen Luftschiffe auf den Weg, um das notwendige Wasser zu holen.

      Barbrot Himmelsherr trat an jenen Teil der Brüstung, an der das doppelte Langauge angebracht war. Die schwenkbare Konstruktion bestand aus zwei Teleskopen, die einen bestimmten Abstand zueinander aufwiesen und exakt justiert werden konnten. Blickte man durch ihre Okulare und stellte die Objektive scharf, so konnte man mit ihnen die Entfernung zu jenem Objekt bestimmen, welches man gerade betrachtete.

      Der Stadtmeister begnügte sich im Augenblick jedoch mit einem kurzen Blick auf die Landmasse am fernen Horizont. Die Vergrößerung zeigte einen langen Küstenstreifen, dichten Bewuchs und hohe Berge. Möglicherweise war dies nicht nur eine große Insel, sondern ein Kontinent. Obwohl die Wolkenstädte schon so lange durch den Himmel flogen, war längst nicht jedes Stück Land bekannt. Es gab immer wieder Unbekanntes zu entdecken. Jede Wolkenstadt war dann bestrebt, das Neue zu erkunden und in seine Karten einzutragen. Diese Karten bildeten ein wertvolles Handelsgut, denn sie waren begehrt bei jenen, die von den Zwergen als „Bodenbedecker“ bezeichnet wurden.

      Barbrot vernahm ein lautes Pochen an der Sturmtür und wandte sich halb um. „Du bist mir willkommen. Tritt ein.“

      Augenblicke später trat Benara Klughand an seine Seite. Die Handelsmeisterin trug einen grünen Overall, eine Weste mit üppiger Zierstickerei und, als Zeichen ihres Amtes, eine rote Schärpe mit zwei Quasten. Ihre für das Zwergenvolk so typischen roten Haare schimmerten im Sonnenlicht, während sich das von Barbrot, auf Grund des hohen Alters beinahe schwarz gefärbt hatte.

      „Sei gegrüßt, Stadtmeister“, sagte sie ungewöhnlich förmlich, doch dann strich sie sanft über die Enden seiner beiden Bartzöpfe, die der Stolz jedes Zwergenmannes waren. Sie verriet so die Zuneigung, die sie beide füreinander empfanden. „Man sagt, wir näherten uns Land.“

      „Man hat recht“, gab er lächelnd zu und deutete auf das doppelte Langauge. „Sieh selbst. Direkt nach Norden und unter dem Horizont.“

      Als Zwergin trug sie ihre langen Haare zu einem einzelnen Zopf geflochten, dessen Ende über ihre rechte Schulter nach vorne hing. Gemäß der Tradition der Zwerge signalisierte dies, dass sie nicht gebunden war. Eine Frau des Wolkenvolkes, die sich in einer Partnerschaft befand, legte ihn hingegen über ihre linke.

      Barbrot lächelte sanft, als sie sich zum Langauge beugte. „Bei der Höhe des Himmels und der Tiefe des Wassers“, murmelte sie, „das sieht nach viel Land aus. Ein Kontinent?“

      „Ich werde Flügelschwingen aussenden, so dass wir es sehr bald wissen.“ Er strich ebenso sanft über den Ansatz ihres Zopfes. Die wenigen Augenblicke der Vertrautheit und Zärtlichkeit waren ihnen kostbar, denn ein Zwerg im Range eines Meisters durfte sich offiziell nicht binden. Er sollte sich ganz auf seine Aufgabe konzentrieren und dem Wohl des Volkes dienen. Sie beide empfanden diese Regel als ungerecht, doch es war nun einmal eine alte Tradition des Wolkenvolkes, so sehr sie beide sich auch eine ganze Schar von Hüpflingen gewünscht hätten und so sehr sie der Anblick von Familien auch heimlich schmerzte.

      „Ich hoffe, es leben zivilisierte Wesen auf ihm, mit denen wir Handel treiben können.“ Benara richtete sich wieder auf. „Wir müssen Handel treiben, alter Freund. Es sind zu viele Dinge, derer wir im Augenblick bedürfen.“

      „Ich weiß.“ Er öffnete die Sturmtür und sie beide verließen den Balkon. Im Amtsraum trat der Stadtmeister an ein Regal und holte die Weltkarte hervor. Sie bestand aus feinem Leder und war bunt bemalt. Man konnte erkennen, wie oft sie schon ausgebessert und ergänzt worden war. Er entrollte sie auf dem Tisch und tippte mit dem Finger auf eine Stelle, an der nichts außer der freien See verzeichnet war. „Wenn mich meine Kenntnisse der Sternenpositionen nicht trügen, dann müssten wir uns jetzt hier befinden. Viele tausend Längen vom nächsten bekannten Kontinent entfernt. Ohne Frage haben wir ein neues Land entdeckt.“

      „Wenn es nicht bereits von einer anderen Wolkenstadt entdeckt wurde“, schränkte sie ein. „Immerhin scheint es auch keinem der Völker bekannt zu sein, mit denen wir bislang Handel getrieben haben. Du wirst also die Ehre haben, es benennen zu dürfen.“

      Er lächelte erneut. „Sofern es nicht bereits benannt ist, da es dort Bewohner gibt.“

      „Ich hoffe es. Du solltest die anderen Meister zur Beratung rufen. Dieses neue Land ist von Bedeutung für uns alle.“

      Er nickte. „Du hast recht, Handelsmeisterin. Ich werde sie rufen.“

      Er trat an einen kleinen Kasten neben der vorderen Tür, die zum Stadtinneren führte und betätigte zweimal einen Knopf. Auf dem Dach des Gebäudes war zweimal das schrille Heulen einer Dampfpfeife zu hören.

      Kurz darauf versammelten sich die übrigen Meister der Wolkenstadt im Amtsraum.

      Axtmeister Grimmbart Hartschlag befehligte die Flieger und Axtschläger von Eldont'haneeva. Kämpfer, die gleichermaßen geschickt im Umgang mit Äxten und Sonnenwaffen waren oder zu jenen wagemutigen Zwergen gehörten, die sich den grazilen Konstruktionen ihrer Fluggeräte anvertrauten. Auf dem Brustteil seines tiefroten Overalls waren zwei gekreuzte schwarze Kampfäxte zu sehen. Auch er trug die rote Schärpe mit zwei Quasten und auch seine dunklen Haare verrieten das zunehmende Alter.

      Handmeisterin Kora Eisenschmied bevorzugte an ihrem Overall die vielen grellen Farben, wie sie bei allen Zwergen beliebt waren. Die Stadt zeigte das stumpfe Silbergrau von Metall und es gab nur sehr wenige bunte Fassaden, die wichtigen Funktionsgebäuden vorenthalten waren. Nicht ohne Grund, denn Farbe besaß Gewicht und in einer Wolkenstadt sparte man an diesem, wo immer es möglich war. Da es zudem nur wenige schmückende Pflanzen gab, drückten


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