Wolken, Land und Wasser. Michael Schenk
die Lippen. „Es könnte tatsächlich nicht schaden, in den Bergen nach Wegen zu suchen, Antarim. Der Axtmeister des Wolkenvolkes hat recht. Möglicherweise suchen sich die Walven schon längst einen neuen Pfad über die Berge, um uns dort anzugreifen, wo wir nicht mit ihnen rechnen. Zumindest können wir diese Möglichkeit nicht ausschließen. Ja, ich stimme Euch zu, Stadtmeister Himmelsherr. Des Weiteren will ich wissen, was sich jenseits des Walls tut, doch das erwähnte ich schon. Wenn ich Eure Worte recht verstanden habe, dann ist der Flug entlang der Grenze unproblematisch, da Eure Schwingen rasch auf befreundetem Boden landen können. Nur das Vordringen, weit nach jenseits der Grenzmauer, ist wirklich gefährlich.“
„So ist es, Hochlord der Landmark. Wobei ich nicht verschweigen darf, dass auch der Flug über die Berge große Gefahren in sich birgt. Dort gibt es aufsteigende und abfallende Winde, die nahezu unberechenbar sind. Doch keine Sorge, Eldont'haneeva verfügt über die besten und erfahrensten Schwingenflieger aller Wolkenstädte.“
Gerade als Nedeam instinktiv nach der Zahl der fliegenden Städte fragen wollte, kam ihm Antarim mit einer Zwischenbemerkung zuvor. „Wenigstens sind die Küsten vor diesen Barbaren sicher. Sie scheinen, Wüstenbewohner, die sie nun einmal sind, das Meer wie eine Seuche zu meiden. Vom Wasser aus droht keine Gefahr. Wenigstens nicht durch die Walven.“
„Sicher würde Euch doch das Wasservolk vor jeglicher Bedrohung warnen, nicht wahr?“, erkundigte sich Himmelsherr hintergründig.
„Wir treiben freundschaftlichen Handel und das seit Gründung unserer Mark“, antwortete Nedeam. „Ja, sie würden uns darauf hinweisen, wenn vom Wasser aus Gefahr droht. Doch bei aller Freundschaft … Wir können nicht im Wasser kämpfen und sie nicht an Land.“
„Ja, die Lebensräume sind sehr unterschiedlich“, räumte Grimmbart verständnisvoll ein.
„Nun, Barbrot Himmelsherr, zurück zu der Frage, wie wir die Fähigkeiten Eurer Schwingen zum größten Vorteil der Landmark einsetzen“, erinnerte Nedeam.
Barbrot nickte und ließ sich den Zeigestab aushändigen. „Also, ich schlage Euch Folgendes vor …“
9. Vorübergehende Verpflichtungen
Eldont'haneeva, Wolkenstadt des Zwergenclans der Hanevaa
Die Stimmung in der Wolkenstadt hatte sich in den vergangenen Wochen sichtlich gewandelt. Nun war wieder der für die Zwerge so typische Frohsinn eingekehrt, mit dem sie die Probleme des Alltags meisterten. Der erfolgreiche Handel mit der Landmark brachte jene Waren, die das Weiterleben ermöglichten und es auch lebenswert machten. Man war überzeugt, dass Stadtmeister Himmelsherr und Handelsmeisterin Klughand ein gutes Geschäft abgeschlossen hatten und die wenigsten sorgten sich um die Gegenleistungen.
Die eingehandelten Waren wurden im Verlauf der Tage erst nacheinander zur Stadt hinauf transportiert. Auch wenn es eigentlich genug Auftriebsreserve durch die Ballons gab, so waren doch zu viele ihrer Hüllen mürbe. Niemand wollte riskieren, dass sie im letzten Moment noch, aufgrund der Überlastung, einrissen. So galt die erste Sorge diesen Ballons. Obwohl man viele Ballen Stoff erstanden hatte, wurde sehr genau überlegt, welche Hülle man austauschen musste und welche man doch noch ausbessern konnte.
Den Nähern und Färbern der Stadt wurden viele zusätzliche Hände zugewiesen, denn damit sich der Stoff für die Ballonhüllen eignete, musste er zuvor behandelt werden. Er durfte die heiße Luft nicht durchlassen und den Temperaturen widerstehen. Einst war jede Stoffbahn mühselig von Hand mit einer Spezialtinktur angestrichen worden, inzwischen tunkte man sie in große Fässer und ließ sie dann an der Luft trocknen.
Handmeisterin Kora Eisenschmied beriet sich mit den jeweiligen Handwerkern, was bei jedem einzelnen der Ballons zu tun sei. So war sie auch an diesem Tag, unmittelbar bei Sonnenaufgang, mit Schmied, Seiler und Näher unterwegs, um die Arbeit des neuen Tages festzulegen.
Die Zwergin nahm sich einen Moment Zeit, den Sonnenaufgang zu genießen. Die Stadt schwebte noch immer in der Nähe der Hafenstadt Llaranea, sollte sich aber in den kommenden Wochen entlang der Westküste bewegen. Mit der ersten Morgenröte breitete sich das zunehmende Strahlen der Sonne aus. Einige Wolken am Himmel leuchteten in wundervollen Schattierungen, während das Land unten noch in Dunkelheit lag. Dann begann das Licht langsam über den Boden zu wandern und riss die Fülle seiner Farben und die Vielfalt seines Lebens aus der Finsternis.
Kora Eisenschmied strich mit der Hand nachdenklich über die Brüstung, die sich um die Stadt herum zog und wandte sich dann ihren Begleitern zu. „Nun, da wir das Licht des Tages genießen können, wollen wir sehen, welcher Ballon in diesem Bereich am dringendsten unserer Hände bedarf.“
„Ich bin gestern zu einigen hinaufgestiegen“, meldete sich der Seiler zu Wort. „Bei dem Ballon direkt über uns ist die Hülle so verschlissen, dass wir sie vollständig austauschen sollten. Die beiden Ballone rechts und links sehen nicht viel besser aus. Bei Ballon Nummer 117 reicht es wohl aus, wenn wir die Hülle flicken. Doch das sollte sich unser Näher genauer ansehen. Er weiß am besten, wie Naht und Flicken zu setzen sind.“
Kora sah den Näher abschätzend an. „Wie viel Stoff haben wir noch?“
Der Zwerg nannte die Zahl der Ballen und fuhr dann fort. „Ein Teil davon ist noch unten im Landreich. Trotz der großen Menge, die wir einhandeln konnten, wird es nicht ausreichen, alle Schäden an den Hüllen so auszubessern, dass ich für Jahre für sie garantieren kann. Zumal ein Teil des Stoffes für Luftschiffe und Flügelschwingen genutzt werden muss.“
„Ja, trotz des guten Handels müssen wir sparsam mit dem Tuch verfahren“, stimmte der Schmied zu. „Denn wenn unsere Stadt dieses Land verlässt, müssen wir Reserven besitzen, bis wir einen weiteren Handel abschließen können.“
„Wir werden wohl eine Weile hier verbleiben.“ Kora legte den Kopf in den Nacken und musterte die Ballone über sich. Auch einige der Taue waren verschlissen. Das Netz, welche sie alle überspannte und sicherte, war in keinem wesentlich besseren Zustand. „Himmelsherr leiht den Bodenbedeckern die Augen unserer Schwingen und wenn die Landmenschen zufrieden sind, dann hofft er auf einen weiteren Handel, mit dem wir gute Reserven für die weitere Reise erzielen.“
Eine größere Gruppe Arbeiter kam heran. Die Zwerge beiderlei Geschlechts waren erfahrene Kletterer und stiegen selbst bei Sturm bis zum Netz hinauf, wenn die Stadt bedroht war. Ihre Tätigkeit war hoch geachtet und forderte die meisten Verluste im Wolkenvolk.
Kora Eisenschmied nannte der Gruppe die Nummern der Ballone, die wohl ausgetauscht werden mussten, doch zuerst würden sie, der Seiler, der Schmied und der Näher selbst hinaufsteigen, um sich ein eigenes Bild zu verschaffen.
Jeder Auftriebsballon war mit starken Tauen und Seilen an der Stadtplattform befestigt und wurde zusätzlich durch das überspannende Netz gehalten. Die Ankerpunkte lagen ungefähr im Zentrum unterhalb des Ballons, so dass die Seile in schrägem Winkel nach oben gespannt waren. Am Ballon 115 war der Schaden am Tauwerk offensichtlich. Zwei Taue waren gerissen, bei einem dritten hatten sich bereits einige der gedrehten Fasern gelöst.
Kora und ihre Begleiter legten die Halteleinen an, zogen Handschlaufen über ihre Handgelenke und traten dann an die Seile. Dort legten sie die Schlaufen an, sicherten sich und begannen mit dem gefährlichen Aufstieg. Der Schwerkraft gehorchend, drehten sich ihre Körper und so hingen sie in gewisser Weise unter den Seilen, während sie sich langsam nach oben bewegten.
Während die anderen von unten zusahen, konzentrierten sich die Kletterer ganz auf den Aufstieg. Hin und wieder legten sie einen kurzen Halt ein und betrachteten aufmerksam Tauwerk und Hülle des Ballons.
Der Seiler hatte nicht übertrieben. Schon von unten betrachtet, bot Ballon 115 einen mitgenommenen Anblick. Kora Eisenschmied wusste aus Erfahrung, dass der Anblick der Oberseite noch weitaus erschreckender sein würde, da diese Wind und Wetter noch stärker ausgesetzt worden war. Die Handmeisterin war erleichtert, als sie das kleinere Netz des Ballons packen konnte, welches der Hülle zusätzlichen Halt gab. Sie klammerte sich fest und warf einen Blick auf das große Netz, welches alles überspannte. „Seiler?“