Joayna. Victoria M. Castle

Joayna - Victoria M. Castle


Скачать книгу
in ihr schien sie davon abzuhalten, als würde dort oben eine Realität warten, derer sie sich noch nicht bereit war zu stellen.

      Schnell verwarf sie diesen Gedanken wieder und suchte nach anderen Alternativen für den heutigen Tag.

      Kurz ging sie den Tagesablauf von Shadow durch.

      Für gewöhnlich machte er sich früh auf in die „Krone“. Er gehörte zu den Vertrauten des Königs, kümmerte sich um die Ländereien, das Volk, behielt den Überblick über die Bewohner des Tales und dass jeder seine Regeln einhielt. Wenn er nicht gerade auf der Jagd nach irgendwelchen Armeen war.

      Bei dem Gedanken daran huschte Lindsay ein schiefes Grinsen über die Lippen.

      So friedfertig sie Shadow auch kennengelernt hatte, musste er es doch in sich haben. Zumindest schien er Erfolg zu versprechen, wenn er schon für Außeneinsätze fortgeschickt wurde.

      Doch seitdem sie hier wohnte, war dies erst zwei Mal passiert.

      Einen Moment schüttelte Lindsay den Kopf, um jede Chance der Erinnerung an diese Tage zu verdrängen, und entschied sich dazu, zurück in sein Haus zu kehren.

      Er würde nicht dort sein.

      Also würde sie die Chance nutzen und im Innenhof ein paar Übungen durchführen.

      Probedurchläufe für Kämpfe, zu denen sie nie gerufen wurde.

      Sie wusste nicht, wieso sie diese vollführte, wieso sie sich im Training bis an ihre Grenzen brachte, wusste sie doch, dass allein der Drachentrupp für alle militärischen Angelegenheiten in Tiéfwâas zuständig war.

      Abgesehen davon hatte sie schließlich das Tal noch nie verlassen seit ihrer Ankunft.

      Dennoch war das Training etwas, das sie beruhigte.

      In den meisten Fällen trainierte sie allein und versetzte sich dabei in einen tranceähnlichen Zustand, der sie innerlich zu entspannen schien.

      Und Entspannung konnte sie wahrlich gebrauchen, wenn sie auch in Tiéfwaâs kein anstrengendes Leben führte, so zwang eine innere Unruhe sie Tag für Tag in die Knie.

      Shadows Haus war recht zentral im Elfental gelegen, sodass er schnell handeln konnte, wenn seine Hilfe in der „Krone“ gefragt war.

      Nur wenige Straßen vom Marktplatz entfernt hauste er in einer riesengroßen Eiche, die so voller Leben zu stecken schien, dass es Lindsay im ersten Moment beinahe schon verboten vorgekommen war, inmitten des Stammes eine Tür zu schlagen.

      Doch dem Baum schien dies nie etwas ausgemacht zu haben, wirkte er noch immer voller Lebenskraft.

      Die Eiche war ungewöhnlich hoch und breit, hatte sie doch auch, soweit sie sich erinnern konnte, so etwas noch nie gesehen. Direkt in den Baumstand hatte man eine Tür platziert, selbst ein Fenster fand daneben Platz. Alle Türen und Fenster im gesamten Haus waren so mit dem Baum verschmolzen, dass es so natürlich aussah, als wäre der Baum von ganz allein so gewachsen und für einen winzigen Augenblick hatte Lindsay dies sogar in Erwägung gezogen, wenn der Gedanke daran nicht vollkommen absurd gewesen wäre.

      Um den dicken Stamm gewoben erkannte man fingerbreite Wurzeln, die sich vom Boden herauf bis nach oben zu den Ästen wanden, welche das Dach des Hauses bildeten. Diese Wurzeln waren mit einer solchen Naturmagie versehen, dass man stets einen Fluss weißer, purer Energie darin erkennen konnte, als würde der Baum aus der Erde all seine Energie schöpfen und das gesamte Haus damit segnen.

      Es war faszinierend gewesen, diesem Fluss einen Moment zuzusehen, und beinahe hatte es auf Lindsay eine beruhigende und fast schon hypnotisierende Wirkung. Die Elfen standen der Natur so unfassbar nahe, dass die Natur auf diese Art und Weise ihre Dankbarkeit zeigte.

       Als Lindsay am Haus von Shadow ankam, griff sie nach dem wurzelartigen Knauf daran und öffnete einfach die Tür, war diese doch nicht abgeschlossen gewesen.

      Das war sie nie.

      Hier im Tal gab es keine Diebe, keine Einbrüche, also hielt man es nicht für nötig, all sein Hab und Gut vor Fremden zu schützen.

      So ungewöhnlich Lindsay dieses Verhalten auch vorgekommen war, umso mehr hatte sie sich daran gewöhnen müssen.

      Sie erinnerte sich zwar nicht daran, jemals mit Dieben in Berührung gekommen zu sein, doch regte sich in ihr in dieser Hinsicht eine unerklärliche Vorsicht, welche sie nur mit Mühe abzuschütteln versuchte.

      Mit schnellen, beinahe schon unruhigen Schritten ging Lindsay durch das Haus, ehe sie an der hinteren Wurzeltür ankam und wieder hinaus ins Freie gelangte.

      Im Innenhof seines Hauses war der Boden voller Moos bedeckt, samtig weich unter den Füßen wie an so vielen Stellen in Tiéfwâas.

      In der Mitte des Hofes stand ein weiterer großer Baum mit breiten Ästen, die bis hinüber über das Dach des Hauses reichten und mit diesem zu verschmelzen schien, als sei das Dach des Hauses auch aus eben diesem Baum gemacht.

      Solch einen Baum besaßen die meisten Häuser der Elfen, wenn sie nicht sogar in einem der Bäume gebaut worden waren oder ähnlich wie Shadows Haus eine solche Größe besaßen, dass sie zwei Bäume in Anspruch nahmen. Und wieder wirkte es so, als schöpfte das Haus selbst all seine Energie aus der Erde, aus der Natur und wirkte dadurch so lebendig, dass Lindsay an so manchen einsamen Tagen in Shadows Abwesenheit schon vermutet hatte, das Haus hätte seinen eigenen Charakter, schlüge Türen zu, wenn sie zu laut auftrat oder ließ das Holz im Inneren der Wände knarren, wenn sie im Bett lag und die Unruhe sie wieder einmal gepackt hatte, als wollte es sie trösten.

      Lindsay zog ein kleines, schwarzes, seidenes Band aus ihrer schwarzen, ledernen Hosentasche und Band sich damit die langen blonden Haare zu einem einfachen Pferdeschwanz zusammen.

      Sie entschied sich dazu, zur Aufwärmung ein paar leichte Übungen zu machen, wie sie es so oft tat.

      Langsam hob sie die Hände nach oben, ließ ihre ausgestreckten Arme in einer fließenden Bewegung in die Waagerechte geradeaus gleiten, ehe sie mit einem geruhsamen Bogen beide Arme zu ihrer linken Seite führte, die Handflächen dabei langsam nach außen drehte und die Augen schloss.

      In ihrem Inneren hörte sie ein leises Ticken in sich aufkommen, wie eine Uhr, die ihr den Takt anschlug und langsam begann.

      Im richtigen Takt ließ sie ihre Arme in einer fließenden Bewegung über ihren Kopf gleiten und streckte sich dabei so sehr, dass sie den Blick langsam gen Himmel richtete, als versuchte sie, in den Ästen über ihr etwas zu erreichen.

      In ihren Handflächen begann es zu kribbeln, als sie das Holz über sich erkannte und sie holte tief Luft. Dann spürte sie eine innere Wärme in sich aufkommen.

      Langsam drehte Lindsay sich um ihre eigene Achse, senkte leicht den Blick, verfolgte mit diesem ihre Hände, die in einer fließenden Bewegung geruhsam um ihren Körper fuhren.

      Erneut schloss sie die Augen, führte ihre rechte Handfläche langsam über ihre linke entlang zu ihrem Arm, ohne diesen direkt zu berühren. Glitt den Arm Stück für Stück entlang, ehe sie an ihrem Brustkorb ankam und das Ticken in ihr wurde lauter, schneller.

      Ihre Bewegungen passten sich dem Rhythmus an und die Wärme in ihr stieg immer mehr an.

      Als das Ticken immer deutlicher und lauter in ihr wurde, öffnete sie mit einem Mal die Augen und führte ihre Hände ruckartig geradeaus, als hätte sie die Energie, die sich in ihr aufgestaut hatte, von sich stoßen wollen.

      Doch an ihren Fingerspitzen hörte sie nur ein leises Zischen, welches sie aus dem Rhythmus brachte und sie sofort aufhören ließ.

      Fast schon enttäuscht ließ Lindsay ihre Arme sinken, wenn sie auch nicht genau den Grund ihrer Enttäuschung kannte.

      Irgendetwas fehlte ihr.

      Sie fühlte sich unvollständig, als würde etwas in ihr die Kraft zurückhalten, die in ihr ruhte und nach draußen zu gelangen versuchte.

      Lindsay seufzte leicht, als sie einen kleinen Moment


Скачать книгу