Lebt wohl, Familienmonster. Heidi Dahlsen

Lebt wohl, Familienmonster - Heidi Dahlsen


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      Warnung! Versündigt euch bloß nicht gegen mich

      Meiner Mutter bin ich heute noch sehr dankbar, dass sie mich so oft mit erhobenem Zeigefinger warnte: „Versündige dich nicht!”

      Dieser Satz ist mir hundertprozentig in Fleisch und Blut übergegangen. Wenn mir nur ein sündiger Gedanke ansatzweise in den Sinn kommt, schießt diese Warnung sofort dazwischen und ich zucke zusammen.

      Im Laufe meines Lebens lernte ich die verschiedensten Menschen kennen. Viele waren nett zu mir, manche wurden sogar gute Freunde. Einige jedoch versündigten sich gegen mich. Die haben als Kind sicher nicht eingebläut bekommen, dass man das einfach nicht tun sollte.

      Klar, ich bin auch nur ein Mensch und mache Fehler. Ich bin aber bisher glimpflich davongekommen.

      Nach dem Motto: „Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort” – habe ich mich mal gestoßen oder bin in einen Hundehaufen getreten. Angenehm war das nicht, jedoch auszuhalten.

      „Mit großen Sünden lässt er sich Zeit” – da weiß ich zum Glück nicht, was eventuell noch auf mich zukommt.

      Auch ich lache gern über andere Menschen, denn das ist viel besser, als selbst ausgelacht zu werden. Mein Gelächter hält sich allerdings in Grenzen, als wäre mir eine Bremse angeboren. Ich kann einfach nicht frei heraus gehässig sein. Die Warnung: „Versündige dich nicht!”, ist all­gegenwärtig.

      Meine heutige Familie sieht das anders.

      Eigentlich heißt es ja: „Hunger macht böse.”

      Da ich dank meiner Eltern gelernt habe, vortrefflich zu kochen, wissen meine Lieben, die von mir zubereiteten Speisen zu schätzen und wollen keine Mahlzeit auslassen.

      Trotzdem machen sich alle oft einen Spaß auf meine Kosten, finden immer Gelegenheiten, wie sie meine Worte und mein Tun ins Lächerliche ziehen können.

      Dabei sind sie ganz raffiniert. Vor und während des Essens führen sie Gespräche in alle möglichen Richtungen, reden sogar freundlich mit mir – aber wehe, wenn die sich vollgefuttert haben. Dann lachen die mir mitten ins Gesicht. Nur gut, dass ich hart im Nehmen bin. Meine säuerliche Standardfrage lautet: „Na, ihr seid wohl mal wieder satt?”

      Zu ihrem Pech kann ich mir fast alles gut merken und schlage verbal zurück. Das kommt bei ihnen nicht gut an, und sie fragen mehr oder weniger verärgert: „Kannst du die alten Geschichten nicht einmal ruhen lassen?”

      „Nein, kann ich nicht”, antworte ich dann lächelnd.

      Meine erste große Liebe hat es hart getroffen.

      War ich damals glücklich, dass sich endlich ein Junge auch für mich interessierte, denn ich verhielt mich gegenüber dem männlichen Geschlecht sehr zurückhaltend.

      Nach dem Motto: „Nimm mich – hier bin ich”, konnte ich nicht vorgehen, denn mein Aussehen machte mir immer noch zu schaffen.

      Er hieß Claus, strotzte vor Selbstbewusstsein und hat mich regelrecht überrannt.

      Im Nachhinein denke ich: „Der war sicher selbst froh, endlich eine Dumme gefunden zu haben.”

      Aber, wenn man frisch verliebt ist, ist der Blick oft getrübt und beide Ohren sind fest verschlossen.

      Wir gingen ein Jahr miteinander. Er machte die Ansagen, worüber ich auch froh war, denn als geborene Angsthäsin und schüchternes Mädchen konnte ich eine zielsichere Führung gut gebrauchen.

      Man konnte auch sagen: „Er nahm mich ein mit Haut und Haaren, und ich wehrte mich nicht.”

      Seine Eltern hatten ein Mehrfamilienhaus, in dem unten die Großeltern und in der Mitte seine netten Eltern wohnten. Im Dachgeschoss hatten er und seine Schwester sich in einer gemeinsamen Wohnung eingerichtet. Das gefiel mir. Die ganze Familie unter einem Dach. Alle verstanden sich gut und nahmen mich sogar freundlich auf.

      Ich hätte Claus auch zeigen können, was ich als zukünftige Hausfrau schon alles drauf hatte – wenn die Schwester in der Zeit unserer Beziehung nicht gerade ihre soziale Phase ausgelebt hätte. Im Rahmen eines Schulprojektes sollte sie mit zwei Freundinnen straffällig gewordene Jugendliche betreuen.

      Das hätten sie ja gern machen können, aber nicht Tag und Nacht in dieser Wohnung. Es wurden Orgien bis zum frühen Morgen gefeiert. Sie hausten zu acht in zwei kleinen Zimmern, schliefen bis zum späten Nachmittag zwischen ihren schmutzigen Klamotten und Essensresten.

      Leider blieb so für Claus und mich keine Zweisamkeit.

      Mit seiner Mutter war ich gern zusammen. Sie war eine ganz liebe Frau. Wir machten gemeinsam Handarbeiten und probierten neue Rezepte aus. Endlich hatte mal jemand Zeit für mich und ging auf meine Interessen ein.

      Leider war Claus, warum auch immer, sehr unfreundlich zu seiner Mutter. Das Essen schmeckte ihm fast nie. Seine Wäsche war nicht sauber genug, und wenn es keinen Grund gab, stand sie ihm einfach nur im Weg. Sie weinte viel. Irgendwie kam mir das Verhalten von Claus aus eigener Erfahrung mit meinem Vater bekannt vor. Also nahm ich meinen Mut zusammen und sprach ihn darauf an.

      Er sagte: „Das geht dich gar nichts an, da hast du dich nicht einzumischen. Ich werde schon meine Gründe haben. Irgendjemand muss ja hier das Sagen haben.”

      Als wir unseren Urlaub bei seiner Tante in Berlin verbrachten, war ich dann dran. Er schleimte um seine Tante rum und raspelte reichlich Süßholz. Alles, was ich sagte oder tat, zog er ins Lächerliche. Dabei sah er mich auch noch mitleidig an. Wieder einmal kam ich mir wie die Dumme vor. Wohlgefühlt habe ich mich überhaupt nicht und war froh, als wir endlich wieder nach Hause fuhren.

      Bald danach wurde ich krank.

      Claus besuchte mich nur einmal und meinte: „Das mit uns hat ja nicht viel Sinn. Ich brauche eine Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht und nicht so eine wie dich. Du bremst mich ja nur. Wer weiß, wie lange deine Unpässlichkeit noch andauert und was für Krankheiten in dir stecken. ”

      Mir blieb nur noch, auf meine baldige Genesung zu hoffen. Irgendwann ging es mir besser.

      Meine Freundin holte mich zur Disco ab. Lust hatte ich keine – aber, das Leben geht ja weiter.

      Gleich am Eingang sah ich Claus stehen, eng umschlungen mit seiner neuen Freundin. In Gedanken wünschte ich ihm Glück.

      Jahre später traf ich zufällig seine Mutter, die mir erzählte, dass Claus sich sehr verändert hätte und jetzt froh sei, sie zu haben.

      Mit meiner Nachfolgerin bekam er kurz hintereinander drei Kinder. Der jüngste Sohn war geistig behindert. Etwas später stellte sich auch noch heraus, dass Claus einen Herzfehler hat, mit dem er nur noch bedingt berufstätig sein kann. Nun nahm er die Hilfe seiner Mutter großzügig in Anspruch.

      Auch für ihn kam die Wende.

      Seine Ehefrau entdeckte ihre grenzenlosen Möglichkeiten, verliebte sich in einen ausländischen Unternehmer und – ganz schnell war sie weit weg.

      Sie soll zu ihm nur noch gesagt haben: „Mit so einem kranken Mann wie dir und drei kleinen Kindern will ich mich nicht mehr belasten. Mir steht jetzt die Welt offen.” Und tschüss ...

      Meiner zweiten großen Liebe erging es nicht anders. Er hieß Georg und war sooo süß. Wenn er aufgeregt war, drehte er immer seine langen Locken um den Finger und guckte ganz verträumt.

      Er hielt es fast ein ganzes Jahr mit mir aus. Eigentlich war alles so, wie ich mir eine glückliche Beziehung vorstellte. Alles besprachen und machten wir gemeinsam.

      Bei ihm wurde mir mein geplantes Studium zum Verhängnis. Unser gemeinsamer Urlaub blieb mir noch lange Zeit in schlechter Erinnerung.

      Mit seinem Freund und dessen Freundin fuhren wir zum Zelten an einen See, mitten im Wald, weit weg von jeglicher Zivilisation.

      „Das wird erholsam und romantisch“, dachte ich. Das wurde es auch – aber nur für ihn, seinen Freund und dessen


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