3 Tage im Juli. Thomas Pfanner

3 Tage im Juli - Thomas Pfanner


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jetzt anfassen. In Bruchteilen von Sekunden fällt mir Old Shatterhand ein und ich schaffe es, ihn am Handgelenk zu packen. Die Finger bleiben mir erspart, aber das war noch nicht alles. Plötzlich steigt die Angst in mir auf, den Mann zu zerbrechen. Alle seine Gelenke knirschen und knacken wie alte Holztüren, die man nach Jahren wieder einmal öffnet. Trotzdem verfügt der Mann über Kraft, er hilft gut mit. Dann sitzt er auf der Bettkante und grinst mich von unten schelmisch an: »Rauchst du, mein Junge?«

      Nein, ich rauche nicht. Die drittschlimmste Angst: süchtig werden. Deshalb rauche ich nicht und ich trinke auch nicht. Ich hasse es, wegen einer Sucht die Kontrolle zu verlieren. Andererseits überwältigt mich manchmal der Wunsch nach eben diesem Kontrollverlust. Nicht denken zu müssen, eine wunderbare Vorstellung. Knirschende Geräusche reißen mich aus meinen Überlegungen. Der Mann steht auf und sagt ganz stolz.

      »Rauchen ist überhaupt nicht gefährlich. Ich bin neunzig und rauche, seit meinem fünfzehnten Lebensjahr. Jeden Tag, den Gott gibt, dreißig oder vierzig Stück. Das hält mich fit.«

      Ich hätte da noch eine andere Möglichkeit anzubieten. Den Geräuschen nach zu urteilen, wurde er durch das Rauchen fachgerecht eingepökelt. Gepökeltes hält sich länger. Außerdem inhalieren Zigarren-Raucher nicht.

      »Ich heiße Göschl.«

      Er streckt mir freundlich die Hand hin, die ich instinktiv ergreife.

      »Römer. Oliver Römer.«

      Er nickt und dann beginnt er mit etwas, was bei jedem anderen Menschen >Kniebeugen< genannt werden würde. Es hört sich an, als ob Kinder ganz langsam die alte Holztür auf- und zumachen. Herr Göschl schafft die Bewegungen auch nurmehr ansatzweise. Er streckt beide Arme nach vorne aus, geht ein wenig in die Knie und kommt ganz langsam wieder hoch. Dazu knirschen und knacken die Gelenke lautstark. Ich erwarte, dass jeden Augenblick ein Meniskus aus den ledrigen Hautlappen hervorbricht und durch den Raum fliegt. Doch Herr Göschl bleibt ganz. Sein Gesicht verfärbt sich rötlich und er schnauft auch wie eine dieser historischen Dampfloks, wenn sie ermattet in den Bahnhof einlaufen. Aber zu meinem größeren Erstaunen schafft er den Bewegungsablauf zwanzig Mal. Dann setzt er sich auf einen Stuhl, der neben dem Bett auf ihn wartet, und zieht aus der einzigen Schublade des stählernen Beistellschrankes eine imposant große Kiste. Sie ist noch halb voll. Er bietet mir auch einen seiner Nebelwerfer an, was ich dankend ablehne. Herr Göschl gibt Feuer, pafft ein paar Wolken über das Bett, grunzt zufrieden und erst danach greift er zur Fernbedienung und zappt sich durch ein paar Kanäle. Er hat sich nicht gewaschen, was der Auftrag von Erhard auch nicht beinhaltete. Die härtesten unter uns waschen sich nie.

      Der andere Mann hat seine rituellen Waschungen beendet, was mich dazu ermutigt, ihm spontan meine Hilfe anzubieten. Ungnädig gestattet er mir, die Waschschüssel abzuräumen. An ihrem Rand hat sich bereits ein dicker Streifen gebildet, genau an der Wasserlinie, die Zusammensetzung ist mir unbekannt. Jedenfalls läßt sich der Streifen mit hartem Wasserstrahl zumindest teilweise wegwaschen. Ihn anzufassen, womöglich mit den Fingern abzuribbeln, dafür halte ich es noch für zu früh. Das soll mir erst mal einer zeigen.

      Kaum fertig, erscheint Erhard wieder und übermittelt mir eine Botschaft: »Gehe mal nach oben. Die Elke will dich kennenlernen.«

      Diese Aufforderung ist für mich in jeder Hinsicht mysteriös. Wer ist Elke und wo ist oben? Aber wie schon zuvor bringe ich es nicht über mich, genau zu fragen. Ich hasse es, zu fragen. In jedem Supermarkt suche ich mir den Wolf, anstatt eine Verkäuferin zu fragen. So bin ich eben und daher mache ich mich unverzüglich auf den Weg. Auch wenn ich nicht weiß, auf welchen Weg, und was mich da erwartet.

      Nun ja, in Wirklichkeit ist es natürlich recht einfach. Ich habe schließlich nacheinander eine paramilitärische und eine militärische Ausbildung genossen. Ich finde ohne Landkarte einen bestimmten zwanzig Kilometer entfernten Punkt in der Pampa, da wird so ein relativ kleines Gebäude nicht übermäßig kompliziert sein.

      Und richtig, ich erreiche das Erdgeschoß und folge dem Qualm und dem Lärm. Zwei Frauen quatschen lautstark mit eingestreuten Lachern. Zu meiner milden Überraschung dringt der Lärm nicht aus dem mir bereits bekannten Zimmer neben der Glastür, sondern aus dem Raum gegenüber. Die Tür ist einen Spalt breit offen und Qualm dringt in schweren Schwaden heraus. Nachdem ich gerade aus dem Zimmer mit den beiden Todesrauchern komme, versetzt mich der Anblick nicht mehr in Unruhe. Mit Feuerlöschern kenne ich mich aus, ich bezweifele allerdings, angesichts allgegenwärtiger Rauchschwaden einen echten Brand rechtzeitig erkennen zu können. Jedenfalls trete ich relativ entschlossen durch die Tür und tauche in einen ähnlich dicken Nebel ein wie vorhin im Untergeschoß. Die hier arbeitenden Leute haben ihre Sinne offenbar perfekt an die neue Umweltbedingung angepaßt. Ich sehe noch nichts, werde aber bereits erkannt.

      »Hey, bist du der Praktikant?«

      Ich nicke nur, dann fällt mir ein, dass ich ja unsichtbar sein müßte und krächzte ein >Ja< hinterher, und nehme die Gelegenheit wahr, mich weiter in den Raum zu schieben. Ich möchte schließlich auch meinen Gesprächspartner sehen können. Ob das eine Freude ist, bezweifele ich auf der Stelle. Die sprechende Gestalt schält sich aus dem Nebel wie ein Eisbrecher und genau das ist sie, in mehrfacher Hinsicht. Eine Frau steht da hinter einem kalkweißen Schreibtisch, größer als ich, breiter als ich und ganz sicher schwerer als ich. Wenn ich einen Zwilling hätte, den ich nicht habe, dann wären wir zusammen nicht so schwer wie sie. Der Oberkörper ein Koloss, mit Säulenbeinen unten dran, aber mit einem normal proportionierten und damit wesentlich zu klein wirkenden Kopf oben drauf. Der wird allerdings von der grellen Schminke ziemlich verunstaltet, und bei näherem Hinsehen stelle ich bei ihr Haarausfall fest, was durch die amateurhaft fleckig-rot gefärbten Haare noch deutlicher auffällt. Unglaublicherweise trägt sie einen weißen Kittel, solche Größen habe ich nie zuvor gesehen. Ich habe aber auch nicht danach gesucht. Wer sucht schon etwas, von dessen Existenz er nichts ahnt? Der Koloß umrundet breit grinsend den Schreibtisch, walzt auf mich zu wie ein Leopard-Panzer und gönnt mir einen Händedruck, bei dem ich gerade noch rechtzeitig genug Widerstand aufbringe, um meine Knochen vor dem zerquetschen zu retten. Dann höre ich ihre helle, merkwürdig euphorische Stimme:

      »Hallöchen, ich bin Elke. Wenns was zu entscheiden gibt, halt dich an mich.« Dann entläßt sie meine Hand in die Freiheit, dreht sich um und walzt wieder zurück und läßt sich schwer auf ihren Sessel plumpsen, der das gar nicht lustig findet. Klar, denke ich militärisch korrekt, überschwere Panzer dürfen nicht auf der freien Prärie herumstehen, sondern müssen immer in gut gesicherten Stellungen untergebracht sein. Nicht, dass ich etwas gegen dicke Frauen hätte. Im Gegenteil vermeide ich es nach Kräften, mit ultradünnen und klapprigen Mädels in näheren Kontakt zu treten. Ich bin ein Mann und kein Fakir. Wieder so eine Sache, bei der alle anderen Männer gänzlich anderer Ansicht zu sein scheinen. Jedenfalls habe ich gerne was in der Hand, der Genuß ist dann größer. Bei Elke müßte ich jedoch ablehnen. Wenn die mit dem Becken zuckt, zerbröseln meine Hüftgelenke, von den dazwischen liegenden Teilen ganz zu schweigen. Leider entbehren meine Überlegungen jedweder Bodenhaftung. In Wahrheit bin ich so ausgehungert, dass ich es blindlinks riskieren würde. Nachdem ich wieder einmal glücklich einen Ring sinnlosen denkens abgeschlossen habe, gewahre ich auch die andere Person, die sich in diesem Nebel befindet. Es ist Monika, die ziemlich große Pflegerin. Sie rafft jetzt ein paar Sachen zusammen und wendet sich zum gehen: »So, tschausi, ich muss noch ein paar Kerle verarzten.«

      Dabei sieht sie mich an, als müßte ich über einen Witz lachen. In der Kürze der Zeit vermag ich mir gerade noch ein schiefes Lächeln abzuringen, dann ist Monika auch schon draußen.

      Jetzt bin ich mit dem Koloß allein. Mut ziert auch den Mammelucken, da muss ich nun durch. Sie beugt sich nach vorn, merkwürdigerweise knirrscht der Tisch gar nicht: »Na, Olli, erzähle mal was. Deine Bewerbung war ja ziemlich dünn.«

      Sie sieht mich aufmunternd an. So fühlt man sich also in der Talk-Show, wenn man ohne Ahnung hineingerutscht ist. Die Kamera läuft, also erzähle jetzt verdammt noch mal was. Egal was, die Zuschauer warten. Schön und gut, aber ich bin erst Anfang zwanzig und habe noch nicht viel erlebt. Außer einer reichen Anzahl von Kathastrophen und Fehlschlägen natürlich, aber das werde ich ihr auch unter der Folter nicht erzählen. Glaube ich jedenfalls.

      »Nun,


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