3 Tage im Juli. Thomas Pfanner

3 Tage im Juli - Thomas Pfanner


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      Wieder so was, was nicht schlimm sein soll, für mich aber durchaus ein Problem darstellt. Ich habe es nicht damit, wildfremde Menschen zu umarmen und wildfremde Menschen, die mich mir Begeisterung in der Stimme umarmen wollen, machen mich extra mißtrauisch. Dennoch, Job ist Job, ich gehe hin, Frau Jonas greift erstaunlich kräftig zu, ein Schraubstock preßt sich an mich, ein feuchter Schmatz knallt mir ans Ohr, ein wenig Sabbel läuft mir zusammen mit einem Schauer herunter. Ich versuche, sie nicht anzufassen, spüre ich doch deutlich ihren großen Busen. Verdammt, warum macht es mir was aus, einen großen Busen zu spüren? Die Frau, die sich vor kurzem noch meine Freundin nannte, hat auch keinen großen Busen, hat mich noch nie gestört. Nur ist das nicht das Problem. Ich stelle plötzlich fest, dass es für mich keinen Unterschied macht, wie alt die Trägerin eines großen Busens ist.

      Das auch noch! Heute ist wirklich der große Tag der unvermuteten Probleme. Natürlich, ich habe mit Problemen gerechnet, irgendwie. Ich rechne immer mit Problemen. Das rührt daher, dass im Gegenzug alle Probleme irgendwann auch wirklich zu mir kommen. Meistens mehrmals. Und nun darf ich erkennen, dass immer noch Probleme durch die Welt wandern, die sich ihren Antrittsbesuch bei mir noch aufgehoben haben. Mithin vermag ich es trotz aller Anstrengungen nicht zu bewerkstelligen, mich sachgerecht auf ein Problem vorzubereiten, von dem ich noch nichts ahne. Das ist wirklich übel. Ich lag also wieder einmal daneben. Ich habe mit dieser Frau und ihrem arglosen breiten Grinsen nicht gerechnet. Das ist definitiv das falsche Problem. Ich habe mich anhaltend mit dem finalen Problem auseinandergesetzt, nicht mit einer endlosen Kette von Grauenhaftigkeiten, die mich stückweise fertig machen. Der große Vernichter wäre mir jetzt lieber, einmal bumm und Schluß. Wieviel Nägel hat ein Sarg? Die hätten mich gar nicht erst für diesen Job anzustellen brauchen. Ein Blinder bei Neumond im U-Bahnschacht erkennt doch, dass ich völlig unfähig bin. Aber nein, man unterwirft mich einer Reihe bizarrer Prüfungen und tut so, als müßte man das Offensichtliche erst noch mühevoll herausdestillieren. Soll ich mir selbst den Strick nehmen, weil die Anderen zu fein dafür sind?

      Frau Jonas jedenfalls ist alt und deshalb kennt sie wohl die Männer. Sie sieht mich an, scheint alles zu sehen, was sie nicht sehen soll, und sie grinst mich an wie eines dieser Luder aus der Werbung, die beim Joghurt-naschen ansatzlos rollig werden. Ich sehe an ihr herunter, die Augen gehen mir über. Sie trägt ja nur ein Nachthemd, ein relativ durchsichtiges noch dazu. Offenbar wertet sie meinen Blick als eine Art Signal, jedenfalls knurrt sie so etwas wie ein Kommando und reißt sich das Nachthemd runter. Ein unverstellter Blick auf den zuvor nur gespüren Busen blockiert meine ohnehin nur ansatzweise vorhandene Denkfähigkeit. Ja, genau so hat er sich angefühlt. Mir ist alles nur noch peinlich. Wie soll ich damit jetzt umgehen? Das ist eine Oma. Eine Oma mit einem Busen, der überhaupt keine Falten aufweist. Da hilft nur der Blick zurück in das faltige Gesicht, wenn auch nur kurz, das Leuchten in ihren Augen trifft mich noch stärker als die nackten Tatsachen. Selbst bei einer jungen Frau hätte mich die Entwicklung vollständig überrumpelt, zumal ich nicht sonderlich an Zuschauern interessiert bin. Der Umstand, nichts zu tun, durch mein warten quasi die Zeit in ihrem Lauf zu behindern, macht alles nur noch peinlicher.

      Ich höre Erhard neben mir breit grinsen. Er hat seinen Gönner-Tag, offensichtlich soll ich ihm heut auch ein wenig Freude bereiten. Er geht zum Waschbecken, macht den Lappen feucht, kommt zurück, in der ganzen Zeit ist der Rest des Bildes eingefroren, ich stehe hier und sehe den Busen, sehe das erwartungsfrohe Strahlen der alten Frau, und bedenke den Umstand, dass mich bislang keine meiner Freundinnen derart offenkundig erfreut erwartet hat. Diese Erkenntnis hilft mir ebensowenig aus der Klemme wie alle anderen Überlegungen zuvor. Erhard drückt mir den feuchten Lappen in die Hand und meint in echter Gönner-Laune:

      »Na los, mach ihr die Freude. Bei irgendeiner musst du ja mal anfangen.«

      Sicher, sicher, aber nicht heute, nicht bei ihr und ganz sicher nicht unter den feixenden Blicken dieses Widerlings. Nur: So feige wie ich im normalen Leben bin, fürs weglaufen bin noch viel mehr zu feige. Pest oder Cholera. Ich weiß nicht, was Frauen wollen und schon mal gar nicht, was Omas wollen. Ganz besonders schwierig wird es aber, wenn ich es, wie in diesem Fall, weiß, aber nicht weiß, wie ich hier mit Anstand raus komme. Andererseits: ich habe doch schon immer daneben gelegen, wenn es um die geheimen Wünsche der Frauen ging.

      Nie werde ich die beispielhafte Begegnung mit der einzigen vollbusigen Frau meines bisherigen elenden Lebens vergessen. Eine Mitstudentin aus den goldenen Tagen, sie lud mich zum abendlichen Workshop ein. Mineralogie, Kristallklassen bestimmen. Ich erschien mit einem Arm unverdaulicher Fachbücher. Sie öffnete mit einem Lächeln und einem brutal häßlichen grellblauen durchsichtigen Etwas. Mir fiel die Kinnlade herunter und fragte eine Spur zu sachlich: »Was soll das denn?«

      Die Tür ging unverzüglich wieder zu und ich musste noch weitere sechs Monate auf Sex warten, dann allerdings mit einer anderen Frau. Seit damals zermartere ich mir das Hirn nach einer passenden Antwort, wie ich diese Situation hätte bewältigen können. Die Frau damals hat mich nie so angegrinst wie Frau Jonas. Mag sein, dass ich einfach zu unflexibel bin. Unter Druck fällt mir nichts ein.

      Frau Jonas ist über sechzig. Sie verfügt über die entsprechenden Kenntnisse im Umgang mit schüchternen Jungs. Sie nimmt sich meiner an, greift entschlossen und fest meine Hand und führt sie dahin, wo ich nicht hin will. Kreisende Bewegungen, sie sagt kein Wort, grunzt nur, strahlt und strahlt. So fest wollen die Frauen das? Ich dachte immer, es gibt nur männliche Lüstlinge und auch die hören im Alter irgendwann auf. Sicher erhalte ich demnächst einen Preis, weil ich zum tausendsten Mal falsch vermutet habe. Ich weiß nicht, was mich mehr schockiert, dass diese alte Frau scharf darauf ist, von einem Jüngling die Brust massiert zu bekommen, oder, das ich es tief in mir doch als Glück empfinde, endlich einmal ein solches Format greifbar nahe zu haben. Mein Gesicht eifert derweil im Ausdruck einem bekannten Action-Star nach: nur keinen Muskel bewegen. Erhard schaut belustigt aus der Wäsche, doch ihm entgeht nichts. Keine Anzeichen von gar nichts, sonst wird es der Kerl sicher weiter erzählen. Ich kenne ihn zwar nicht, doch warum sollte er schweigen? Ich weiß nicht, wie lange es dauert, bin wohl in einer Zeitfalle gefangen, jedenfalls zeigt Erhard schließlich doch Erbarmen. Er nähert sich, löst meine Hand aus dem Schraubstock, zieht Frau Jonas ohne Worte wieder an und wendet sich der anderen Frau im Zimmer zu.

      Ich schäme mich, immer noch den nassen Lappen in der Hand. Nicht genug, dass es mir eventuell gefallen haben könnte, ich konnte überhaupt nicht aufhören. Dieser alte Pfleger hat mich von der alten Frau regelrecht losmachen müssen. In diesem Land glaubt niemand eine Geschichte, in der die Frau den Mann zwingt. Nun werde ich wohl auch hier unten durch sein. So schnell geht das. Betreten stehe ich herum, kein Wort wird gewechselt, nur diese Jonas strahlt mich immer noch unverfroren an. Mehr bekomme ich nicht mit. Endlos lange dauert es, bis Erhard die andere Frau versorgt hat und geht. Ich nichts wie hinterher. Draußen stellt er sich an die Wand und ... lacht los. Nicht besonders laut, aber herzlich. Bin ich jetzt gefeuert?

      »Oh, Mann, dein Gesicht war ja der Hammer. Hast nicht damit gerechnet, was? Niemand rechnet damit, ist wirklich der Brüller. Ne geile Alte, das ist der Hit, bringt euch junge Leute todsicher aus der Fassung. Mach dir nichts draus, die Jonas kann nicht dafür. Ist ein bißchen zurückgeblieben, nicht besonders schlau, weißt du? Kann noch nicht mal reden, aber geil war sie schon immer. Ist seit zehn Jahren hier und seitdem kriegt sie jeden neuen Jüngling dran. Mach dir nichts draus, hast dich tapfer gehalten.«

      Mit einem Klaps auf die Schulter geht er weiter. Ich hasse ihn und bin doch erleichtert. So eine Art Äquatortaufe also, na bravo.

      Diese Frau Jonas kann also nicht dafür, dass sie mich anbaggert? Sie baggert sowieso jeden an? Dann ist ja alles wieder im Lot. Welche normale Frau würde mich auch dergestalt offen und ohne Bedenken annehmen? Das ich da nicht früher drauf gekommen bin. Langsam wird mir bewußt, dass ich wirklich nicht im Feriencamp stecke, sondern in einem Pflegeheim. Ich lerne gerade, dass man nicht unbedingt am Körper krank sein muss, um hier wohnen zu müssen. Habe ich gerade >wohnen< gesagt?

      Ich wechsele zum nächsten Thema und bedenke kurz den Zusammenhang: Wenn man debil ist, ist man gleichzeitig geil. Trifft das auf alle zu? Wieder bleibt viel zu wenig Zeit zum nachdenken. Obwohl der Pfleger sich nicht wirklich schnell bewegt, steht doch unausgesprochen ein ständiger Druck im Raum, sich nicht zu lange in einem Zimmer aufzuhalten,


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