3 Tage im Juli. Thomas Pfanner

3 Tage im Juli - Thomas Pfanner


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nicht so, die Viecher sind hin, tun keinem mehr was. Was willst du denn, sie in Beton eingießen? Mach schon, wir haben nicht ewig Zeit.«

      Für mich wäre es OK gewesen, das mit dem Beton, doch den Mülleimer nehme ich auch, Hauptsache weg von meinen Händen. Hoffentlich gibt es Putzfrauen, ich will das nicht noch mal anfassen. Hoffentlich verfügt der Mülleimer über glatte Wände. Erhard macht weiter, ungerührt vom Ekel seines Praktikanten, ungerührt vom Geschrei der Frau, sogar ungerührt vom großen Gekrabbel, schüttet er als nächstes eine rote Flüssigkeit hinterher, quetscht einen großen Strang zäher dunkelbrauner Paste aus einer riesigen Tube, drückt diesen mit der Tubenöffnung tiefer in die Wunde, klatscht einen kleinen Stapel Kompressen darüber und klebt diese mit Pflasterstreifen fest. Windel drüber, auf den Rücken gelegt, fertig.

      Ich bin auch fertig. Habe ich das eben wirklich gesehen? Der Pfleger verliert keine Zeit, wäscht die zweite Frau im Zimmer, flucht darüber, dass sie ihre Windel bis zum Rand vollgekotet hat. Das habe ich gar nicht gerochen. Auch hier helfe ich, doch Kot macht mir nun nichts mehr aus. Das ist ja schon normal, ich bin abgelenkt und was sollte mich noch erschüttern? Da wird eine Frau bei lebendigem Leib aufgefressen und alles, was der Profi macht, ist eine neue Verpackung anzufertigen, ein paar Würmer weg zu waschen, ein paar Schmerzen zu verteilen, an Wurm und Mensch gleichermaßen, da sie nun einmal eine Gemeinschaft zu bilden scheinen, und die Sache zu vergessen. Ich denke angelegentlich schon darüber nach, wie ich die nächsten Tage überstehe. Jeden Tag diese Wunde versorgen, nach drei Tagen, wenn es mich bis dahin nicht zerrissen hat, vielleicht allein mit dieser Wunde ohne Erhard. Und im Anschluß bis zur Rente diese Wunde versorgen, ist ja dann wohl mein Beruf, also jeden Tag Würmer gucken, jeden Tag alte Leute schreien hören. Bei was soll ich hier eigentlich helfen? Nun könnte ich leicht sagen, ich bin der Loser, ich gehöre hierhin, nur: gehört die alte Frau hier hinein?

      Erhard beendet seine Arbeit an der zweiten Frau. Diese hat sich nicht gewehrt und auch nicht geschrien. Ich habe den Eindruck, sie kämpfte darum, rechtzeitig wach zu werden. Wie aus tiefer Trance wurde sie ganz langsam immer wacher, ruderte mit den Armen, verdrehte die Augen, kämpfte darum, etwas sagen zu können. Irgendwie glaube ich, Erhard wußte das und hat sich extra beeilt, um wegzukommen, bevor ihr das gelingt. Tatsächlich rafft er hastig die Sachen zusammen und winkt mich eilig nach draußen. In der Tür stehend höre ich ein verwaschenes >Herr Viertel<, der Rest wird von der zuschlagenden Tür verschluckt. Erhard kann offenbar seine Prüfblicke nicht mehr sein lassen, denn er hat meinen erneut irritierten Gesichtsausdruck bemerkt.

      »Die Gaccia quatscht nur dummes Zeug. Das kann ich am frühen Morgen nicht brauchen. Deshalb beeile ich mich da drin. Wirst schon sehen, die alten Leut sind nicht nur pflegebedürftig, die sind auch richtig nervig.«

      Nun durfte ich also auch am Rande erfahren, welche Frau in diesem Zimmer welchen Namen trägt. Ansonsten helfen mir die Ausführungen des Pflegers nicht. Bis gestern hatte ich eine ganz andere Vorstellung von Altenheimen. Liebenswerte alte Leute sitzen vor Fernsehern und da die müden Knochen knirschen, muss man ihnen gelegentlich helfen. Sie betüdeln, mit ihnen reden, sich die ganzen alten Geschichten anhören, das Essen bringen und das Bett aufschlagen. So wie bei meinen Großeltern eben. Eine ziemlich geschönte Vorstellung, zugegeben. Würde ich an diese Geschichte glauben, hätte ich mir heute morgen nicht vor Angst in die Hose machen wollen. Das es aber dermaßen schlimm werden würde, habe ich denn doch nicht erwartet. Und ich habe erst zwei Zimmer mit vier Senioren gesehen. Beinhaltet die Reihenfolge der besuchten Zimmer eine Dramaturgie? Wir es von Zimmer zu Zimmer immer schlimmer? Jetzt reime ich schon.

      Erhard kehrt wieder mit frischem Material aus dem Kabuff zurück und ergeben trotte ich hinter ihm her. Meine Befürchtung wird gleich an der Wahrheit gemessen werden. Er geht vor und schon flucht er. Was ist jetzt wieder für eine Katastrophe im Anmarsch? Ach nein, er ärgert sich nur darüber, dass die Vorhänge zugezogen sind und da das Licht aus irgendeinem Grund nicht funktioniert, muss er sich im halbdunkel ans Fenster tasten. Ich vergaß, der Mann ärgert sich nur über unwichtige Dinge. Wieder einmal gebe ich mich der Panik verfrüht hin. Da bleibt mir nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Noch ein Blick auf das Landratsamtschild. Es wird keinen Trost spenden, aber um mir die Namen merken zu könne, muss ich sie zuvor kennen. Auf dem Schild stehen wieder zwei Frauen, Frau Nenn und Frau Schulenburg, im Zimmer selbst stellt sich eine Neuerung ein. Beide Frauen liegen nicht mehr, die sitzen auf der Bettkante, einander abgewandt, eine schaut Fernsehen, die andere die Wand an. Und das alles im Dunkeln, selbst der Fernseher bietet nur ein reichlich dusteres Bild. Ich bin unsäglich erleichtert, hier erwarten mich keine Bettdecken mit schrecklichen Geheimnissen darunter. Noch eine Änderung, eventuell eine positive: die Frau, die Fernsehen schaut, ist nicht klapperdürr, sondern ziemlich dick. Endlich mal eine Oma, die so aussieht, wie man sich eine Oma vorstellt: Rund, rosig und gar nicht unfreundlich. Der Pfleger spricht sie denn auch zuerst an:

      »Na, Frau Nenn, alles klar?«

      Sie nickt nur, wendet den Blick nicht ab, Fernsehen ist wichtiger. Offenbar denkt auch Erhard so, er unternimmt erst gar nicht den Versuch, die Frau zu waschen, statt dessen gibt er mir die Anweisung, Frau Nenn die Schuhe anzuziehen. Das mache ich auch, das kann ich sogar und birgt nicht den kleinsten Horror. Alte ausgelatschte Schuhe, die sehr leicht auf die alten Füße passen, der Geruch beweist, dass beides zusammen gehört, die brüchigen Schnürsenkel verknote ich mit größter Vorsicht, dann richte ich mich wieder auf und versuche, mein erstes freundliches Wort mit einer alten Frau zu wechseln:

      »Jut.«

      Ich denke mir einfach, mit kölschem Platt am besten zu fahren, alte Leute reden praktisch immer breitestes kölsch, sie beherrschen kein hochdeutsch oder wollen es nicht beherrschen. Bei meinen Großeltern war das jedenfalls so, daher sage ich nicht >gut<, sondern spreche es platt aus. Lächle dabei mein bestes Lächeln. Frau Nenn findet das jedoch nicht komisch, sie blickt finster zu mir hoch: »Bin kein Jut, bin Deutscher.«

      Ich höre Erhard grinsen und Frau Nenn sieht mich noch eine Weile mißbilligend an und wendet sich endlich wieder dem Fernseher zu. In meinem Kopf drehen sich ein paar Rädchen. Ich berechne das vermutliche Geburtsdatum, schließe daraus auf ihr Alter anno 45 und staune nicht schlecht. Natürlich, vermutlich befanden sich alle alten Leute zu der Zeit im richtigen Alter. Ganz junge Mädchen oder ganz frische Mütter. Frau Nenn muss damals ungefähr so alt gewesen sein wie ich heute. Zehn Jahre rauf oder runter. Eher runter. Urplötzlich fällt mir ein geflügeltes Wort ein, das die alten Leute in meiner Umgebung öfters verwendeten. Immer, wenn es darum ging, dass jemand ganz furchtbar schuften musste, sagten sie: »Der arbeitet bis zur Vergasung.« Wie konnte ich das übersehen? Erst jetzt, bei den Stinkefüßen der Frau Nenn, kommt mir die Erleuchtung. Leider kann ich mich damit nicht weiter befassen, die Arbeit ruft. Genau genommen ruft Erhard. Die andere Frau, Schulenburg, wehrt sich gegen seinen Versuch, ihr das Nachthemd abzunehmen. Er will es vom Bett nehmen, augenscheinlich hat er gute Gründe für seinen Entschluß, doch Frau Schulenburg ist anderer Ansicht. Mit verbissenem Gesicht hält sie das Nachthemd fest, sagt kein Wort, preßt die Lippen zusammen, starrt ihr Hemd an und gibt ihr Bestes. Erhard könnte natürlich mit einem heftigen Ruck die Lage bereinigen, was aber ziemlich sicher den Sturz der alten Frau zur Folge hätte. Dunkel ahne ich, dass ihm das im Zweifel egal sein dürfte, aber wenn man schon mal einen Praktikanten hat.

      Nur, wie stelle ich das an? Statt seiner selbst an dem Hemd zu zerren, kann es nicht sein. Unsicher und ratlos gehe ich von hinten an die Frau heran und lege ihr begütigend die Hand auf die Schulter. Die Berührung scheint für die alte Frau ebenso ungewöhnlich zu sein wie für mich, denn sie hält erstaunt inne und dreht sich zu mir um. Sie sieht mich erkennbar grübelnd an und bemerkt dabei gar nicht, dass Erhard die Gelegenheit nutzt und sich des Nachthemdes bemächtigt. Frau Schulenburg sieht mich weiter an, während der Pfleger im Schrank ein neues Hemd heraus holt und unter ihr Kopfkissen stopft. Sie wendet sich immer noch nicht ab, als ihr ein nasser Waschlappen ins Gesicht geklatscht wird und mit ein paar flüchtigen Schwenks ein wenig Frische verbreitet wird. Es irritiert sie nicht einmal, statt dessen fragt sie plötzlich mit feiner dünner Stimme, aus der verhaltener Tadel tropft: »Gustav, wo bist du gewesen?«

      Erhard grunzt unverständlich in seinen nicht vorhandenen Bart. Der nächste Test? Ich erkenne, dass ich immer noch die Hand an ihrer Schulter habe und ziehe sie hastig weg. Dazu erkläre ich mit brüchiger


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