3 Tage im Juli. Thomas Pfanner
wissend.
»Ich habe gehört, du warst bei den Jesuiten? Jedenfalls hat das dem Pastor gefallen. Er denkt, dass du dadurch die richtige Einstellung hast.«
Aha? Ich habe von keinem Pastor gehört. Ich habe auch bis vorhin nicht gewußt, dass dieses Altenheim von einem Pastor geleitet wird. Auf dem Wisch, den man mir schickte, stand nur drauf, dass ich mich heute hier einfinden solle, weil man mich einzustellen gedenke. Unterschrift unleserlich, in Klammern dadrunter >Leiter<. Wieviel Leiter hat der Laden eigentlich? Mir scheint der Augenblick gekommen, zu den Ausführungen der aktuell in diesem Raum befindlichen Leitung zu nicken. Das hat sie so erwartet.
»Das ist gut. Der Pastor denkt, was er denken will. Hier bei uns kommt es auf andere Dinge an. Wir halten hier viel auf Teamgeist. Wir müssen zusammenhalten und uns gegenseitig unterstützen, uns helfen. Sonst wird das hier schnell zu einer furchtbar freudlosen Tätigkeit. Verstehst Du?«
Nicht wirklich. Soll ich nackt auf dem Tisch tanzen, damit wieder Freude einkehrt in diese heiligen Hallen? Auf meiner Stirn steht das offenbar zu lesen, wenn auch in einer leicht redigierten Fassung.
»Du bist neu hier, aber du hast sicher schon raus, wie der Hase läuft. Es ist nun mal so, dass wir hier bei Katholens arbeiten. Unsere Bosse halten nicht viel von Fröhlichkeit, alles tödlich ernste Wichtigtuer. Nur halten wir es nicht aus ohne ein Mindestmaß an Scherzen und Lockerheit. Die Arbeit ist schon ohne diese Heinis schwer genug, ohne Lachen und Scherze wäre sie unerträglich.«
Du bist schon schwer genug. Da braucht es gar keine Arbeit mehr. Davon abgesehen eröffnet sich mir ein neues Stück der Wahrheit. Elke ist gar nicht der Oberboß, da stehen die Anderen noch drüber. Das hätte ich mir nach dem Vorangegangenen schon denken können, hätte ich denn darüber nachdenken wollen. Hier zeigt sich hingegen, dass sich die mehr oder weniger zahlreichen Leitungen untereinander nicht einig sind. Da gibt es Chefs, denen es nicht gefällt, wie hier gearbeitet wird. Möglicherweise. Hilft mir aber auch nicht weiter. Zeit, etwas zu sagen, was dem Koloß gefallen muss.
»Ich bin hier, um zu lernen. Alles andere interessiert mich nicht.«
Der Koloss grinst noch breiter. Grinsen scheint hier zur Dienstkleidung zu gehören.
»Fein. Dann verstehen wir uns. Dann kann ich dir die Details erklären. Also: Wir machen vormittags um 9.30 Uhr eine Pause. Die Brötchen muss man normal bezahlen, wenn man die Dienstanweisung beachtet, was wir aber nicht tun. Klappe halten gegenüber dem Pastor, klar? Mittags um 12.00 Uhr essen wir was warmes. Auch davon ahnt kein Boß etwas, weil wir offiziell nichts essen dürfen und auch nichts erhalten. Wir kommen trotzdem an Essbares heran. Was halt so übrig bleibt bei der Fütterung der Raubtiere.«
Sie lacht schallend und macht sich einen Kaffee. Erst jetzt sehe ich den in der Ecke auf einem Wandregal angebrachten Espresso-Automat. Mit beeindruckendem Lärm mahlt und kocht und rattert und gurgelt er vor sich hin, um am Ende eine lächerlich kleine Tasse mit tiefschwarzer Flüssigkeit zu füllen. Mit einem happ stürzt Elke die Brühe hinunter, wischt sich den Mund breitflächig ab, wobei die Schminke nur mühsam den Wellen folgt und spricht weiter: »Na ja, im Spätdienst läuft es ähnlich ab. Wichtig ist halt, dass du dir genau ansiehst, wie Erhard die Dinge da unten regelt. Das ist deine zukünftige Stamm-Station. Dort wirst du fortan immer eingeteilt. Wenn du in ein paar Tagen alles weißt, dann kann der Erhard endlich mal in Urlaub gehen und auch seine Überstunden abfeiern. Dann ist das dein Job. Natürlich musst du das auch hinkriegen, von der Arbeit her.«
Die Einschläge kommen wieder näher. Das Herz rutscht mir ziemlich tief in die Hose. Die lassen mich also tatsächlich mutterseelenallein vor mich hin brasseln. Einer gegen wieviel alte Leute? Die Aussicht, auch hier recht schnell der Loser zu sein, steht wieder sehr konkret und sehr groß vor meinem geistigen Auge.
»Da kommen auch öfters die Großköpfe vorbei, wegen der Frau Bartsch. Das ist unser Fundi. Hast du sie schon gesehen?«
Ich schüttele matt den Kopf. Was denn jetzt noch? Sitze ich zu allem Überfluß auch noch auf so einer Art Präsentierteller?
»Du wirst sie lieben«, sagt Elke mit schelmischem Augenaufschlag, »die alte Nervensäge ist so was von rechtsradikal, dass sie links wieder rauskommt. Und dabei noch turbo-katholisch. Alles zusammen wird erst so richtig verständlich, wenn du einen Blick in ihre Krankenakte geworfen hast. Nebenbei leben nämlich die Tauben in ihrem Hirn«, Elke beschreibt mit dem Zeigefinger kreisende Bewegungen an ihrer Schläfe, »vielleicht gehört das ja wirklich zusammen. Was ich sagen will: Du musst den Mund halten. Der Pastor und die anderen Vorstandsfuzzis fragen Neue gerne aus. Um uns alten Hasen dann einen reinzudrücken. Denen sind nämlich langjährige Mitarbeiter ein Gräuel, weißt du? Wegen dem mit den Jahren anwachsenden Kündigungsschutz und noch mehr, weil die alten Hasen mehr Informationen und Wissen von dem ganzen Laden haben, als so ein Super-Katholik in seinem ganzen Leben auch nur erahnen könnte. Deshalb feuern sie gerne mal den einen oder anderen guten Mitarbeiter, nur um klar zustellen, wer der Boß ist. Also mache dich beliebt und halte den Mund. Alles klar?«
Ja und nein. Ich sehe jetzt, dass es hier mit einiger Sicherheit mehr Häuptlinge gibt als Indianer. Von der Theorie aus betrachtet, und ich kann die Welt nur aus der Theorie betrachten, eine wesentliche Voraussetzung für Chaos und Untergang.
Außerdem legen die Indianer Wert darauf, sich die Häuptlinge vom Hals zu halten. Nun, davon verstehe ich etwas. Die christliche Variante der Diktatur habe ich neun Jahre lang genossen. Und überlebt. Meine größte Lebensleistung bisher.
»Ja, alles klar.«
»Fein, dann kannst du jetzt wieder runter gehen zu Erhard.«
Das mache ich gerne. Aus den Augenwinkeln sehe ich noch, wie sie zum Hörer greift und sich gemütlich zurücklehnt, dann genieße ich die frische Luft, die der Flur mir bietet. Wie kann ein einziger Mensch nur derart qualmen? Und dafür derart viel Zeit zur Verfügung haben?
Auf dem Weg nach unten bemerke ich etwas. Neugierig trete ich näher. An der Wand zwischen der Tür und den Treppenstufen hat man ein buntes Plakat angebracht, dessen Überschrift mich eingefangen hat: »Leitbild« steht dort geschrieben. Hastig lese ich den Text durch. Die Schlagworte schwirren durch meinen Kopf: >Der Mensch steht im Mittelpunkt< und >wir leben das Christentum<. Die Passage >unsere Mitarbeiter fühlen sich den christlichen Glaubensgrundsätzen verpflichtet, sie pflegen und betreuen die ihnen anvertrauten Senioren im Geiste Christi. Sie leben ein soziales und gottgefälliges Leben auch im privaten Bereich vor< empfinde ich eher als Drohung. Der Rest ist gelogen, in peinlicher schwadronierender und selbstgefälliger Diktion, eben unerträglich. An wen richtet sich dieses Machwerk?
Oh, um die Ecke am Ansatz des Treppenlaufs sehe ich ein weiteres Plakat. Unter Stress bin ich blind wie ein Maulwurf, heute morgen waren die Wände noch weiß. Tunnelblick. Vielleicht auch eine reine und sinnvolle Schutzmaßnahme, denn auch auf diesem Plakat lese ich Dinge, die mir Knoten in die Zehen treiben. Ein Spendenaufruf, der ziemlich plump den Christen in uns allen anspricht. Schlimm genug, dies wird jedoch durch fein verpackte Verleumdung des Staates getoppt. Die schreiben doch tatsächlich, dass der Staat nicht genügend Geld zahlt, damit eine menschenwürdige Pflege gewährleistet ist. Mit anderen Worten, der Staat sorgt für den Standard eines Knastes, wer es >menschlich< haben will, der muss den Kirchen spenden, damit die dann ein wenig für die armen geschundenen Heimbewohner unternehmen kann. Ziemlich fies. Nicht, weil die Kirchen unendliche Summen vom Staat bekommen, um ihre eigenen Leute, die Priester und Prälaten zu entlohnen. Ich halte diesen Aufruf für fies, weil dies eine kirchliche Einrichtung ist, die bereitwillig für Vater Staat eben jene Drecksarbeit erledigt, die sie zum Wohle des Spendenflusses anprangert. Und dann noch ausschließlich in Spendenaufrufen, im TV habe ich noch nie was von dieser Problematik gehört. Au weia, nun muss ich also nicht nur das Christentum leben, am Ende erwartet man von mir auch noch den zehnten Teil meiner Einnahmen als Spende.
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