Scarlett Taylor. Stefanie Purle
„Das sagtest du schon! Trotzdem muss es doch einen Weg geben, ihn aufzuspüren! Ich habe ihm versprochen, dass ich ihn da raushole, Elvira!“
Elvira lehnt sich im ledernen Sessel zurück und starrt an die Decke ihres geheimen Parapsychologen-Büros. „Wie schon gesagt, niemand kennt diesen Mario, es wird keine weiße Hexe namens Mario vermisst. Womöglich war er auch nur eine Illusion, genau wie dein Vater selbst.“
Ich kann es nicht mehr hören. Seit Wochen versuche ich, sie von der Dringlichkeit der Sache zu überzeugen, doch sie schickt mich lieber in Häuser mit Poltergeistaktivitäten, als eine entführte und versklavte Hexe zu suchen! Und nun versucht sie mir auch noch weiszumachen, dass es Mario nie gegeben hat!
„Und was ist mit Roberta?“, frage ich nun, woraufhin ich ein Augenrollen seitens Elvira ernte.
Sie lehnt sich wieder vor, legt die Unterarme auf den Schreibtisch und sieht mich ernst an, als wäre sie Psychologin und ich eine gestörte Patientin. „Auch wenn dein Ich aus der Zukunft es dir geschrieben hat, Roberta kann nicht am Leben sein! Wir haben alle gesehen, wie der schwarze König sie, und damit auch sich selbst, getötet hat. Wir haben Robertas Leiche verbrannt, du warst selbst dabei, als ihre Asche verstreut wurde!“
„Wenn du mir nicht helfen willst, dann mache ich es eben alleine. Irgendwie finde ich dafür auch noch Zeit, nachdem ich deine Fälle abgearbeitet habe und mich um die Sorgen und Nöte des magischen Volkes gekümmert habe!“, sage ich wütend und verlasse ihr Büro.
Sie ruft mir noch hinterher, ich solle nichts überstürzen, doch ich reagiere nicht. Ich werfe die Tür des Pseudo-Reisebüros hinter mir zu und stapfe zum Parkplatz.
Nicht nur, dass ich Chris´ und Biancas Bruder Arturo nicht aus der Wildnis befreien kann, weil ich als weiße Hexe keine Zeitreisezauber unternehmen kann, ich kann auch nicht beweisen, dass Roberta noch am Leben ist und dass es eine weiße Hexe namens Mario im Schloss meines Vaters gab, der ich Rettung versprochen habe. Doch am Allerschlimmsten ist die Tatsache, dass ich meine Mutter nicht aus dem Wachkoma befreien kann. Wäre mein Vater nicht schon längst tot, würde ich ihn dafür umbringen!
Ich steige in meinen schwarzen Panther, drehe den Zündschlüssel im Schloss und das Baby beginnt zu schnurren. Mit fauchendem Motor fahre ich vom Platz, drehe die Stereoanlage lauter und brause davon. So gerne ich auch in der Natur bin, mit meinen nackten Füßen auf der Erde stehe und den Wind einatme, aber diesen Wagen zu fahren, bereitet mir noch immer Freude, selbst als weiße Königin!
Knirschend komme ich auf der Kieseinfahrt vor Chris´ Haus zum Stehen und parke neben seinem Transporter. Als ich aussteige, fällt mein Blick auf einen der Baumwipfel neben dem Haus. Mein Schutztier Queenie, das schneeweiße Albino-Eichhörnchen, sitzt auf einem der obersten Äste und blickt zu mir herunter. Ich lächle ihr entgegen. Schon so oft habe ich sie gedanklich gefragt, ob die Schutztiere untereinander in Kontakt stehen und ob sie weiß, wo die Fledermaus meiner Tante Roberta ist. Aber Queenie antwortet mir nicht. Sie sendet mir auch keine Visionen oder Stimmen, so wie sie es getan hat, als sie mir ihren Namen verriet. Meistens blickt sie mich nur mit schiefem Kopf an, lugt in meine Hände, ob ich eine Nuss für sie dabeihabe, und flitzt dann wieder am Baumstamm empor.
Seufzend gehe ich ins Haus. Als ich die Tür hinter mir schließe, höre ich bereits die Stimme von Fletcher und das Lachen von Chris aus der Küche.
„Ich bin wieder da!“, rufe ich und hänge meinen Mantel auf.
Chris kommt herbei und küsst mich flüchtig. „Schön, dass du wieder Zuhause bist“, sagt er und lächelt. „Fletcher ist gerade auf einen Kaffee vorbeigekommen.“ Zuhause. Kaffee... Zwei Worte, die aus Chris´ Mund wie Balsam in meinen Ohren klingen. „Soll ich dir einen Vanilla Latte machen?“
Wieder seufze ich, aber diesmal, weil ich von seiner Fürsorge und Aufmerksamkeit einfach überwältigt bin. „Ja, gerne.“
„Hey Fletcher“, begrüße ich meinen ehemaligen Mentor, als ich um den Kamin herum in die Wohnküche trete.
„Eure Hoheit“, sagt Fletcher mit einem Grinsen und verbeugt sich.
Ich lache. „Du sollst mich doch nicht so nennen!“
Er kommt mit verschmitztem Lächeln wieder hoch und streicht sein blondes Haar aus dem Gesicht. „Ihr seid aber nun mal die königliche Hoheit, Eure Majestät!“
„Ach, Quatsch, hör auf“, sage ich etwas beschämt und mache eine abwegige Handbewegung. Es ist mir immer noch unangenehm, wenn sich jemand vor mir verbeugt, oder mir gratuliert, denn eigentlich habe ich nichts Großartiges geleistet, außer geboren zu werden. Naja, und ein paar Urdämonen getötet, aber selbst das war keine große Anstrengung.
„Fletcher, hast du dich umgehört?“, lenke ich ab und setze mich zu ihm an die Kücheninsel. Er weiß sofort, wovon ich spreche, da ich ihm seit Wochen damit auf die Nerven gehe.
„Ja, natürlich“, antwortet er, doch sein Gesichtsausdrück lässt bereits erahnen, dass er keinen Erfolg hatte. „Aber niemand kennt eine Hexe namens Mario, die vermisst wird. Es gibt natürlich männliche Hexen mit dem Namen Mario, aber keine davon gilt als vermisst.“
Ich schüttle mit dem Kopf und blicke hoffnungslos zu Chris. Normalerweise würde er mir jetzt Mut zusprechen, etwas sagen wie „Wir finden ihn schon“, aber auch er hat bald keine Hoffnung mehr.
Chris stellt mir einen wunderbar heißen Becher Vanilla Latte vor die Nase. „Und was, wenn Mario nicht sein echter Name war?“, fragt er und sieht von mir zu Fletcher.
„Dann wüsste ich erst recht nicht, wie wir seinen vollen Namen herausfinden sollten“, entgegnet Fletcher.
„Vielleicht hat der schwarze König ihn bloß einfach Mario genannt, und sein wahrer Name ist ganz anders“, grübelt Chris weiter.
Ich nicke. „Das könnte sein“, stimme ich ihm zu und wende mich an Fletcher. „Es gibt nicht zufällig eine Liste mit allen vermissten weißen Hexen, oder?“
Fletcher lehnt sich zurück und blickt uns aus großen Augen an. „Doch, es gibt so etwas in der Art. Elvira müsste eine Kopie der Vermisstenliste haben.“
Verärgert presse ich die Lippen zusammen. „Ich war gerade bei ihr! Warum ist sie nicht selbst auf diese Idee gekommen!“
„Die Liste ist beinahe endlos, Scarlett. Parapsychologen und Hexen auf der ganzen Welt führen und ergänzen sie. Als dein Vater noch an der Macht war, verschwanden immer wieder weiße Hexen. Manche wurden später tot aufgefunden, von anderen fehlt bis heute jede Spur.“
Chris stellt sich an meine Seite und legt eine Hand auf meine Schulter. „Theoretisch müssten wir doch bloß die vermissten Hexen aus der Gegend mit Marios Beschreibung vergleichen, oder? Du hast sein wahres Aussehen doch in der Vision gesehen, die er dir übermittelt hat. Somit könnten wir die Liste schon mal erheblich verkürzen.“
Ich nicke aufgeregt, doch Fletcher schüttelt mit dem Kopf.
„Wer sagt dir, dass er nicht vielleicht aus Spanien, Griechenland oder Mexiko kam? Schließlich hat er nie mit dir gesprochen!“
Entmutigt lasse ich für einen Moment die Schultern sacken. „Stimmt. Mein Vater hatte ihm die Zunge herausgeschnitten, ich habe nie ein Wort aus seinem Mund gehört“, stimme ich ihm zu, doch dann kommt mir ein anderer Gedanke. „Aber er hat Deutsch geschrieben! Also war er vielleicht doch eine deutsche Hexe!“
Fletcher zuckt die Achseln. Auch in seinen Augen sind meine Mühen von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Er sagte mir schon vor ein paar Wochen, dass es unmöglich sei, herauszufinden, wer Mario ist oder war, geschweige denn ihn zu finden, da der wahre Standort des Schlosses meines Vaters überall sein kann. Und für das Portal, durch das ich das letzte Mal zu seinem Schloss teleportiert wurde, funktioniert ohne Schlüssel ich. Ich habe es bereits versucht, sogar mehrmals, aber es war erfolglos.
„Ich muss aber herausfinden, wer Mario war, ich brauche seinen ganzen Namen, seinen Hintergrund. Erst dann kann ich einen Ortungszauber