Tarris. Peter Padberg
nicht plötzlich ein Wachsoldat in den Raum gestürmt wäre. „Ladies und Sers, habt Ihr nicht bemerkt, was am Horizont im Nordosten zu sehen ist?“ Alle waren mit Ihren Gesprächen sehr beschäftigt und sahen den Wachsoldaten an, als wenn er aus einer anderen Welt zu ihnen gestoßen sei. „Meine Damen, meine Herren! NAPODA BRENNT!“ Nun stoppten alle Diskussionen und Gespräche und alle sahen den Wachsoldaten an. Es dauerte jedoch nur Sekundenbruchteile, bis jeder einzelne im Versammlungsraum den Blick nach Nordosten wandte. Dort lag Napoda, das aufgrund der Entfernung nicht zu sehen war. Was jedoch jeder deutlich sehen konnte, war eine grau-schwarze, dicke Rauchsäule, die sich vor den blass-blau schimmernden Morgenhimmel legte. Sie stieg genau dort auf, wo Napoda liegen musste. Zola liefen bereits Tränen über die Wangen, als sie schrie „In Napoda gibt es keinen Magae – wir müssen helfen! Die Piraten greifen an!“ Jeder im Raum wurde nun endgültig aus seinen Gedanken und in die Realität gerissen. Gandaros nutzte die Gelegenheit. „Liebe Freunde, viele unserer anstehenden Diskussionen haben sich erübrigt. Die Piraten würden Napoda nicht angreifen, wenn sie keine ernsthafte Unterstützung hätten. Dies bedeutet für uns, dass wir im Sinne des Wohls von Tarris eingreifen müssen. Es steht außer Frage, dass die Unterstützung der Piraten tatsächlich durch den Nordosten erfolgt. Daher bitte ich jeden von Euch, Eure Kontakte zu den Völkern auf Tarris zu nutzen, um Verbündete zu finden, die uns in einer möglichen Auseinandersetzung zur Seite stehen. Ich selbst werde mich um den König von Napoda und um Napoda selbst kümmern – und ich hoffe, Ihr stimmt meiner Vorgehensweise zu. Bitte bemüht Euch; wir müssen notfalls in der Lage sein, kampfkräftige Armeen aufzustellen und – dies muss Euch bewusst sein – es ist wahrscheinlich, dass wir um unsere Freiheit kämpfen müssen! Tragt Sorge, dass die Träger der beiden Artefakte, wenn sie hier ankommen, schnell und intensiv ausgebildet werden. Hat jemand von Euch Einwände?“ Einigen der Mitglieder des Rates war anzusehen, dass sie nicht wirklich mit Gandaros Vorgehensweise und seinen „Befehlen“ einverstanden waren, aber alle gaben mit einem Nicken – wie es üblich war – Ihr Einverständnis. „Habt Ihr eine Idee, wie ich möglichst schnell nach Napoda komme?“ Zola gab die Antwort mit einer Frage. „Habt Ihr noch zwei abgerichtete Fledermäuse hier? Ich werde Gandaros begleiten“, wandte sie sich an Kilalurak.
Der Zwinger befand sich hoch in der nördlichen Innenwand des Tarutos, wo es immer sehr warm war und dadurch ideale Bedingungen für die Aufzucht der jungen Riesenfledermäuse bestanden. Hunderte der Raubtiere lebten hier und wurden von den Bewohnern des Tarutos gehegt und gepflegt. Die Fledermäuse hatten sich im Laufe der vielen Jahre an die Homuae gewöhnt und flogen zur Jagd an die Südküste; das Innere des Tarutos attackierten sie seit langer Zeit nicht mehr. Sie waren für die Magae, die sich auf Gedankenebene mit Ihnen verbinden konnten, treue, wenn auch sehr aggressive Reittiere geworden, die die schnellste Möglichkeit darstellten, auf Tarris zu reisen. Zola und Gandaros wählten zwei ausgewachsene, kräftige Exemplare, die sie schnell nach Napoda bringen würden.
Am frühen Nachmittag waren sie bereits auf dem Weg und sahen, wie die Wüste unter ihnen hinwegflog. Sie flogen in hohem Tempo und unterbrachen ihre Reise erst am frühen Abend, als sie an der einzigen Oase, die es auf dem Weg vom Tarutos nach Napoda gab, rasteten. Eine Quelle an einem großen, aus dem Wüstensand ragenden Felsen speiste einen kleinen See mit kristallklarem Wasser. Um den See herum war ein schmaler Uferstreifen dicht mit Palmen und Gräsern bewachsen und es gab drei Steinhütten, die vor langer Zeit für Reisende vom Rat der Erfahrenen angelegt worden waren. Abgesehen von einigen Vögeln war am heutigen Tage kein Lebewesen in der kleinen Oase zu entdecken. So machten es sich Zola und Gandaros in einer der Hütten zusammen mit ihren Reittieren bequem und gingen nach einem kurzen Abendessen schnell zu Bett.
Sie brachen auf, bevor Sol sich am Horizont gezeigt hatte und es war eisig kalt in der Luft, sodass die beiden Magae ihre Fähigkeiten einsetzten, um sich selbst zu wärmen. Das dicke Fell der Fledermäuse schien diese gut zu schützen. Zola und Gandaros fühlten durch die Gedankenverbindung, dass ihren Reittieren der Ausflug sehr viel Spaß bereitete. Mit ihrer Flügelspannweiter von fast 7 Homuae rasten sie knapp über dem Wüstensand dahin und umkurvten dabei die in der Dunkelheit kaum zu sehenden Sandberge artistisch. Die beiden Magae fühlten, wie sich die Fledermäuse an den von den Sandhügeln verursachten Reflektionen ihrer in hohen Tönen ausgestoßenen Schreie orientieren und so sicher ihren Weg fanden.
Wenige Flugstunden später erhob sich Sol im Osten vor ihnen über den Horizont. Der Immer noch dichte Rauch über Napoda wurde nun wieder deutlich sichtbar. Sol befand sich von ihrem Standpunkt aus gesehen hinter dem Rauch und nur wenige Lichtstrahlen drangen wie einzelne Speere durch ihn hindurch. Die Rauchwolke wirkte wie eine Bedrohung, die das Licht verschluckte. Schnell erwärmte Sol die Wüste und sie flogen wieder höher, ohne die vom Wüstensand abgestrahlt Wärme weiter zu benötigen. Auch wenn der Flug beeindruckend und ein echtes Erlebnis war, wurde er doch schnell eintönig. An der Wüste unter ihnen änderte sich nichts und der stetige Schlag der großen Flügel und das damit verbundenen Rauschen wirkten fast einschläfernd. So nutzen die beiden Magae die Zeit, um die Verbindung zu ihren Reittieren zu intensivieren und eine Art Freundschaft aufzubauen. Es war gut möglich, dass sie bald gemeinsam gegen die Piraten kämpfen würden und da würde ein blindes Verständnis zwischen Fledermaus und Magae eine entscheidende Komponente für den Erfolg werden. Die Riesenfledermäuse waren gefährliche Kämpfer. Ihr Raubtiergebiss hatte eine enorme Größe und war leicht in der Lage, den Kopf eines Homuae oder auch eines noch größeren Wesens mit einem Biss vom Rumpf zu trennen. Die lederartigen, grauschwarzen Flügel endeten in gewaltigen, mit langen gelben Klauen versehenen Greiforganen, die zwar nur vierfingrig, jedoch abgesehen von der Größe durchaus mit der Hand eines Homuae vergleichbar waren und geschickt eingesetzt werden konnten. Durch ihre Wendigkeit und Geschwindigkeit konnten die Riesenfledermäuse selbst einem kleinen Drachen gefährlich werden.
Am späten Vormittag waren das Meer und Napoda am Horizont zu erkennen. Napoda war eine große und wohlhabende Stadt und das Weiß ihrer Gebäude stand in einem wunderbaren Kontrast zu der tiefblauen Farbe des Meeres. Je näher sie der Stadt kamen, desto mehr wurde das Farbenspiel von Natur und Stadt durch Feuer, Qualm und Rauch gestört.
Auf dem Meer vor der Stadt befanden sich über 100 Piratenschiffe, die leicht an ihren ausnahmslos schwarzen Segeln zu erkennen waren. Fast ein Drittel dieser Flotte bestand aus großen Kriegsgaleeren, die außer der Takellage mit vielen Ruderbänken bestückt waren. Diese Schiffe waren trotz ihrer Größe wendig und verfügten wegen der vielen Ruderer, aber auch durch ihre schlanke Bauform, über eine gute Beschleunigung, die sie ständig für Rammstöße gegen die Schiffe der deutlich größeren Flotte aus Napoda einsetzen. Hinter den, den Angriff führenden Schiffen der Piraten befanden sich ungefähr 20 plump wirkendende, aber riesige Schiffe, die mit großen Katapulten bestückt waren. Ständig schossen sie Brandgeschosse auf Napoda und viele der küstennahen Gebäude brannten bereits und sorgten für den aufsteigenden Qualm, den sie bis zum Tarutos gesehen hatten. Zola und Gandaros überflogen das Kampfgeschehen auf dem Meer und konnten beobachten, wie mehrere der Kapitäne aus Napoda versuchten, einzelnen Galeeren zu umzingeln und in den Kampf zu zwingen. Sie versuchten, ihnen den Vorteil der Geschwindigkeit und der Rammstöße zu nehmen. Gerade war dies fünf Schiffen aus Napoda gelungen. Zwei der fünf Schiffe gingen jeweils längsseits und zerbrachen dabei die Ruder der Galeere. Sofort begann die Enterung und die napodianischen Soldaten überrannten den hinteren Teil der Galeere in Windeseile und hackten sich durch die Piraten. Die Soldaten trugen Rüstungen und metzelten die Piraten, die nur leichtes, gehärtetes Leder trugen, erbarmungslos nieder. Im geordneten Vorgehen waren die Soldaten mit ihren schweren Rüstungen den Piraten überlegen. Das Hinterdeck glänzte bereits vom Blut der Piraten. Im Kampf Mann gegen Mann war die leichte Rüstung der Piraten von Vorteil, da sie wendiger waren. Das Vorgehen der Soldaten stoppte plötzlich in der Mitte des Schiffes. Dort hatten sich einige Piraten um einen großen Krieger geschart und leisteten erbitterten Wiederstand. Der Zweihänder des Kriegers wurde mit großer Gewalt gegen die herandrängenden Soldaten geführt und teilte in einem waagerecht geführten Schlag einen Soldaten in Bauchhöhe trotz der Rüstung in zwei Hälften und verletzte den neben ihm stehenden Soldaten tödlich. Blut spritzte in einer Fontäne aus dem Torso. Gandaros spürte plötzlich eine zunehmende magische Aura auf dem Schiffe und nur sekundenbruchteile später fuhr eine gewaltige magische Entladung in die vorderste Reihe der angreifenden Soldaten. Der Gestank verbrannten Fleisches