Tarris. Peter Padberg

Tarris - Peter Padberg


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Unter einem mit großer Handwerkskunst geschliffenen Glas, das in der heutigen Zeit nur selten zu finden war, drehte sich ein Zeiger über einem kunstvoll gemalten, runden Ziffernblatt, der sich zusehends beruhigte. Es erinnerte an einige der wenigen noch vorhanden Chronographen, die angaben, wie weit der Tag oder die Nacht fortgeschritten waren. Solche Dinge hatten einen unermesslichen Wert, da sie noch aus der alten Zeit stammten! „Dies ist ein Kompass. Seine Zeiger zeigen immer in die gleiche Richtung. Sie zeigen zu den Polen von Tarris, nach Norden und nach Süden. Er funktioniert, weil die Zeiger magnetisch sind und die Pole unseres Planeten stark positiv und negativ magnetisch sind. Es ist ein zuverlässiger Wegweiser, solange Du Dich nicht in der Nähe anderer Magnete befindest!

      Ich werde in den nächsten zwei Jahren einige anspruchsvolle Aufgaben erfüllen müssen, so dass ich Dich im ersten Teil Deiner Ausbildung nicht begleiten kann. Ich hoffe jedoch zuversichtlich, dass ich rechtzeitig zu Deinem fünfzehnten Geburtstag zurück sein werde, um gemeinsam mit Dir zum Vulkan zu reisen. Sollte ich aufgehalten werden – was ich nicht hoffe – musst Du auf jeden Fall allerspätestens an Deinem fünfzehnten Geburtstag in Richtung Tarutos aufbrechen! Karameen wird Dir Instruktionen geben oder Dir helfen, den Weg zu finden. Im schlimmsten Fall wirst Du auch ohne Karameen auf Dich alleine gestellt aufbrechen müssen. Wenn dies so kommen sollte, kannst Du den Kompass nutzen, um den Weg zu finden. Um den Tarutos zu finden, gehst Du immer in Richtung Süden, bis Du nach ungefähr vierzig Umläufen den Rand der großen Wüste erreichst. Süden wird auf dem Kompass immer durch das dickere Ende der Nadel des Kompasses angezeigt! Wenn Du den Rand der Wüste erreicht hast, gehst Du immer geradeaus nach Südwesten, bis Du einen hohen Berg siehst. Dies ist der Tarutos, Du kannst ihn nicht verfehlen. Aber sei vorsichtig. Der Weg durch die Wüste ist beschwerlich und Du benötigst Wasservorräte für fünf Tage. Ansonsten besteht die große Gefahr, dass Du verdurstest! Hast Du dies verstanden und wirst Du dies nicht vergessen?

      Gandaros verabschiedete sich, ohne auf eine Antwort zu warten, und verließ die Plattform. Fanir sah lange auf den dunklen Schlund des Tunnels, nachdem Gandaros in ihm verschwunden war. Er wusste nicht, was er nun tun sollte. Zum einen war er begeistert von der Vorstellung, zum Vulkan aufzubrechen, zum anderen fühlte er sich einsam und verlassen - mit einer Aufgabe vor sich, von der er überhaupt nicht wusste, wie er sie wohl bewältigen könne.

      Napoda

      Der Süden war heiß und die Luft flimmerte – und Gandaros hatte bereits eine weite Reise hinter sich. Er war der Kaiserstraße in Richtung Süden gefolgt und dies war der einfache Teil seiner Reise gewesen. Die Kaiserstraße war gut befestigt und nicht zu steinig, so dass er schnell reiten konnte. Das Wetter war gut und er ritt fast immer unter einem klaren Winterhimmel. Es war der Winter zwischen den Jahren 3216 und 3217 n.d.A. Nachdem die Kaiserstraße die Berge um Hornstadt verlassen hatte, führte sie ausschließlich durch Ebenen und Hügellandschaften, bis sie die „Heißen Berge“ erreichte. Sie hatten ihren Namen erhalten, da sie direkt an der Wüste Tart lagen und ständig ein heißer Wind über sie wehte. Während sich in den Hügellandschaften Wälder und saftig grüne Wiesen befanden, wurde auf den Ebenen Ackerbau betrieben und nur wenig Vieh gehalten. Mit dem Anstieg zum Hord-Pass, der den Eintritt in die Wüste Tart darstellte, wurde es deutlich wärmer und auch die Vegetation nahm ab.

      Gandaros‘ Ziel war Napoda, wo er hoffte, König Geminiano davon zu überzeugen, die freien Völker in einem möglichen Kampf gegen den Nordosten zu unterstützen. Gandaros wusste, dass Geminianos Verstand durch einen schweren Sturz gelitten hatte und es schwierig war, ihn von irgendetwas zu überzeugen oder zu irgendetwas zu begeistern. Er war eher launisch und unberechenbar. Daher plante Gandaros entgegen seinen Gewohnheiten, ihn mit Hilfe seiner Magie zu beeinflussen. Dies entsprach nicht dem Kodex des Rates der Erfahrenen und so wählte er den beschwerlichen Umweg zum Vulkan Tarutos, um sich das Einverständnis für dieses verwerfliche Unterfangen von seinen Brüdern im Rat einzuholen. Napoda verfügte über ein sehr großes und schlagkräftiges Heer und ebenfalls über eine fast unüberwindbare Flotte, da es sich ständig im Krieg mit den Piratenfürsten und Sklavenhändlern an der Südküste von Tarris weiter im Osten befand. Sollte es tatsächlich zu Auseinandersetzungen mit den Nordlanden kommen, wäre Napoda ein überaus wichtiger Verbündeter.

      Gandaros stand auf dem Hord-Pass und blickt auf die Wüste hinab. Auch wenn der Himmel immer noch von keiner Wolke verdeckt wurde, überaus klar war und dadurch eine weite Sicht ermöglichte, konnte Gandaros nichts außer Sand vor sich erkennen. Die Wüste schien endlos und direkt über dem Sand flimmerte die Hitze. Er wusste jedoch, dass er bei schnellem Vorwärtskommen bereits nach einigen Tagen den Tarutos sehen würde. Gandaros plante, den direkten Weg zum Tarutos zu nehmen, der von hier aus gesehen südlich und einige wenige Grad östlich lag. Die meisten Reisenden wanderten oder ritten von den Heißen Bergen direkt nach Süden und schwenkten nach Osten ab, wenn sie den Tarutos erkennen konnten. Diese Stecke war zwar ein wenig weiter, jedoch vermied man auf ihr die Ruinen der „Toten Stadt“, von denen schon oft behauptet wurde, dass dort merkwürdige Dinge geschehen. Gandaros war bereits einige Male durch die Tote Stadt geritten, hatte allerdings keine merkwürdigen Dinge gefunden. Zudem gab es hinter der Toten Stadt einige Kakteenfelder, bei denen er seinen Wasservorrat aufstocken wollte. Gandaros hielt sich nicht lange auf dem Pass auf, sondern ritt bald schon die Serpentinen hinunter, füllte an einem Brunnen, der dort angelegt worden war, Wasser in die vielen Wasserschläuche, die er mit sich führte und ritt dann auf geradem Weg in die Wüste Tart.

      Am Ende des fünften Tages in der Wüste erreichte Gandaros die ersten Ausläufer der Toten Stadt. Er hatte deutlich länger gebraucht als geplant, da er sich fast einen ganzen Tag in seinem Zelt vor einem Sandsturm verkriechen musste. Er hatte sein Pferd, nachdem er es gezwungen hatte, sich in den Sand hinter einen kleinen Felsen zu legen, dort festgebunden und unter einer großen Decke versteckt, die er genau aus diesem Grund mitgenommen hatte. Glücklicher Weise konnte es sich nicht losreißen und hatte den Sturm unbeschadet überstanden.

      Einst war die Tote Stadt von vier Oasen umgeben und so hatte sich vor langer Zeit mitten in der Wüste ein Handelszentrum und ein Ort blühenden Lebens gebildet. Die Homuae waren „vor der Annäherung“ in der Lage gewesen, mechanische Pumpanlagen zu bauen, die ohne Hilfe arbeiteten und das Grundwasser aus tiefem Gestein unter der Wüste an die Oberfläche förderten. Wie alle diese automatischen Geräte stellten auch die Pumpen kurz nach den Explosionen in Sol ihren Betrieb ein und die Stadt starb einen schnellen Tod. Heute war die Stadt nur noch eine riesige Ruine aus hellen, gelblichen Steinen, obwohl es noch das ein oder andere Gebäude gab, das die Jahrtausende überdauert hatte und an die beeindruckende Baukunst der Homuae früherer Zeiten erinnerte.

      In einem dieser Gebäude, das sich im südlichen Teil der Stadt befand, wollte Gandaros übernachten. Er folgte einer breiten Straße, die dick mit Sand bedeckt war, die aber aufgrund der verfallenen Gebäude, die sie auf beiden Seiten begrenzte, immer noch als Straße erkennbar war. Gandaros ritt durch eine bedrückende und staubige Szenerie, bis er nach fast zwei Stunden das hohe Gebäude sah, das aus den Ruinen herausragte. Es war viele Stockwerke hoch und verfügte über eine große Eingangshalle, deren Vorderfront aus dickem Glas bestand. Das Glas war durch zahllose Sandstürme so zerkratzt, das es undurchsichtig geworden war und eher wie eine milchige Steinwand wirkte. Die große Tür befand sich nicht mehr an ihrem Platz und lag vermutlich unter der dicken Sandschicht, die den Boden bedeckte. Auch in der Halle gab es kein Stück sandfreien Boden. Gandaros band sein Pferd an einer Metallstange fest, die aus dem Sand herausragte und versorgte das Tier. Es war nur noch wenig Futter übrig und auch die Wasservorräte hatten stark abgenommen. Dann nahm er ein wenig seiner Holzvorräte und entzündet ein kleines Feuer. Es würde bald dunkel werden und der Wechsel vom Tag zur Nacht erfolgte hier im Süden von einen Moment zum anderen; auch würde die Temperatur schnell sinken, aber in diesem fast geschlossenen Raum würde das Feuer für ein wenig Wärme sorgen. Er aß ein wenig und legte sich schlafen.

      Gandaros dachte an die beschwerlichen Aufgaben, die auf Fanir und, Maurah zukommen würden und war gerade dabei, in einen traumlosen Schlaf zu fallen, als er hochschreckte. Er hatte Geräusche gehört und auch das Pferd hatte seine Ohren aufgestellt. Gandaros stand auf, schob Sand auf das Feuer und lauschte in die Nacht hinaus, konnte aber erst kein weiteres Geräusch hören. Als er sich gerade


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