Das Deutsch Haus. Helmut H. Schulz

Das Deutsch Haus - Helmut H. Schulz


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und von seinem Kauf zu berichten. Sie erwartete auch keine Auskunft, sondern sagte, dass sein Sohn geschrieben habe; dies war eine erfreuliche Nachricht. Sie gab ihm den Brief. Um beim Lesen ungestört zu sein, zog er sich in sein Quartier zurück. Sein Zimmer war ein schmaler einfenstriger Raum, auf der einen Seite mit Buchregalen, einem Schreibtisch, auf der anderen mit einem Klappbett versehen. Es war so eng, dass er sich zum Fenster durchschlängeln musste, wenn er es öffnen wollte. Außerdem besaß er einen Stuhl; er brauchte keinen zweiten, da ihn niemand besuchte. Von seinem Schreibtisch aus, eigentlich nur eine Arbeitsplatte, sah Hartmann über eine Gartenanlage und dem Spüldeich hinweg auf einen Teil der gegenüberliegenden Insel mit dem Leuchtturm Dornbusch und hatte in sternhellen Nächten die Bilder des Himmels vor sich, leider nicht die des sternenreicheren Südhorizont. Auf den Regalen vor seinen Büchern, Fachliteratur zumeist, standen die Fotos seiner Kinder in Wechselrahmen. Sie waren die wichtigsten Beziehungen zu seinem alten Leben, die Brücke zum Leben überhaupt; von Leonore, seiner herrlichen Tochter und frei streifenden Amazone, hatte er zwar seit Monaten keine Nachricht, was ihn aber nicht beunruhigte. Im Notfall würde sie sich mit einem Mayday melden, wenn das Lebensschiff zu sinken drohte. Sein Sohn Harald, der ihm näher stand, meldete sich regelmäßiger. Leonores letzter Brief, in London aufgegeben, zeigte ihre Abreise in die Mongolei an, wo sie nachgezüchtete Pferde einer untergegangenen Rasse auszuwildern hatte, eine Sache, die ihm sinnlos erschien, aber übrigens ganz nach seinem Geschmack war und als Versuch, die Uhr zurückzudrehen, seinen Respekt hatte. Nicht ohne Stolz sprach er sich selbst den größeren Anteil an diesem Erziehungserfolg zu, obschon seine Frau das Kind einst in ihrem Gut zur Ausbildung als Tierzüchterin untergebracht und zum Studium nach Leipzig geschickt hatte.

      Sohn Harald, Zögling einer sportlichen Förderschule, konnte in der Tat als ein Produkt seines Vaters und der Fürsorge des Staates für die nachwachsende Generation gelten, den Auszeichnung und Medaillen nach, die er als junger Leichtathlet auf Spartakiaden eingesammelt hatte. Heute dachte sein Vater mit wehmütigem Spott, welch eine Musterfamilie sie einst gewesen waren; Vater Korvettenkapitän und Lehrer der strebenden Jugend, Mutter, promovierte Agraringenieurin, zeitweilig Parteisekretär ihrer Grundorganisation, die Tochter Wildbiologin, der Sohn Fallschirmjäger und Elitesoldat, höher und noch höher hinauf, bis zum Fall. Nach Auflösung der Volksarmee, von der Bundeswehr nicht übernommen, womit er das Schicksal seines Vaters teilte, nach vergeblichen Bewerbungen als Sportlehrer hatte sich Harald zur Fremdenlegion abgesetzt, eine Entscheidung, die sein Vater sowohl mit Beifall als auch mit Verdrossenheit aufgenommen hatte. Jedenfalls aber wartete er immer dringend mit hangen und bangen auf Nachricht seines Sohnes, seit er wusste, dass sich Harald in einem Kriegsgebiet, in Afrika, aufhielt.

      Er zog den Brief aus dem Umschlag, drei eng beschriebene Seiten, erfreut über die Länge, was auf ausführliche Mitteilungen hoffen ließ. Zuerst aber betrachtete er verwundert das Bild einer lachenden jungen Frau in Militärbluse und Tropenhut; mit diesem eingelegten Foto verband sich die Nachricht von einem Verlöbnis. Als Schwiegervater wollte Hartmann an seiner künftigen Schwiegertochter Nathalie Georges, von Harald im Hospital kennengelernt, wie er schrieb, die Züge entdecken, die er an einer jungen Frau, an Jugend überhaupt schätzte. In Lebensgröße würde er diese Nathalie nur kennenlernen, wenn er selbst Europa in Richtung Afrika verließ. Er hätte nun immerhin einen Grund gehabt, auf die Reise zu gehen. Den Sohnesbrief las er gründlich. Als er mit der Lektüre durch war, machte ihn das Mitgeteilte eher bedenklich als glücklich.

      Zunächst hatte sich der junge Mann mit einer Malariainfektion ins Krankenhaus nach Brazzaville begeben, um dort das Ende des Bürgerkriegs abzuwarten, der in verschiedenen Ländern tobte. General Dallaire, bei seiner Friedensmission von den Vereinten Nationen im Stich gelassen, wollte retten, was zu retten war. Man müsse wissen, schrieb Harald, dass ein friedensstiftender Blauhelm bewaffnet in den Kampf geht, während ein friedenserhaltender nur einen Schreibblock mitbekomme; der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mische sich in keinen Bürgerkrieg. Der Vater möge nachschlagen; unter Kapitel 6 der Charta sei all dies geregelt. In der Praxis komme man aber leicht damit durcheinander. So habe denn Dallaire dem Völkermord an den Tutsi tatenlos und hilflos von seinem Hauptquartier in Kigali aus zusehen müssen und Telegramme nach New York gesendet, mit der Bitte, sein Mandat zu erweitern. Über diesen Völkermord rege sich die vereinte humanistische Welt hinreichend und heuchlerisch auf, aber ihrer aller General sei ein ehrenwerter Befehlsverweigerer, der seinen Posten auch dann nicht verlassen habe, als die Lage für ihn aussichtslos geworden war. Er könne seinen Alten aus dem finstersten Herzen Afrikas versichern, persönlich nur mit einer Malaria, aber auch mit reinen Händen herauszukommen. Seine Einheit werde nach Französisch Guayana verlegt, unter der allgemeinen Legionsdoktrin: Um nichts zu bitten und niemals zu danken. Der Brief schloss mit einer Liebeserklärung von der Hand seiner Schwiegertochter an den lieben Papa; so war denn offenbar die Heirat schon vollzogen und Hartmann hatte Grund stolz und verärgert zugleich zu sein.

      Das namenlose junge Weib, die Schielende aus dem Bus, seine zufällige Bekanntschaft, die ihn ausgelacht und später beim aussteigen Sympathie für ihn bekundet hatte, sie gesellte sich nun als vierte dazu. Weshalb aber verstimmte ihn die Nachricht von der Verlegung des Jungen nach Zentralamerika? Hier hätten die Alarmglocken schrillen sollen. Falls er eine Ausfahrt in den Kongo oder dort herum geplant, ins Herz Afrikas des Kameraden Joseph Conrad, war seine Verdrossenheit verständlich; mit Amerika verschwand das Reiseziel. Er zog die Schublade seines Schreibtisches auf; dass er nach etwas Bestimmten gesucht hatte, wurde ihm klar, als er seinen Reisepass in Händen hielt, sein Gesicht auf dem Foto begutachtet und die zweifelhafte Ähnlichkeit mit seinem heutigen Aussehen festgestellt hatte. Wofür aber hatte er den Reisepass gebraucht, da er gar nicht reisen durfte, unter besonders strengen Regeln lebte, dem nicht einmal Briefkontakte mit all und jedem gestattet waren? Wie auch immer, er beschloss, einen Reisepass zu beantragen und wendete sich als nächstes seinen Konten zu.

      Der Preis für das Boot, die zu erwartenden Kosten für die Reparatur würden durch keine Zuflüsse ausgeglichen werden. Seine Übergangsbezüge erlaubten ihm keine Rücklagen. Früher hätte man das, was er jetzt tat, das Kapital angreifen genannt, nämlich das von seinem Anteil an dem Hauserlös angelegte Gelddepot aufzulösen, und auf das geschwächte Girokonto zu überweisen und ihm verfügbar zu machen. Seine Gedanken schlugen mit der Frage, ob sich die Kosten für den Umbau lohnen würden, eine andere Richtung ein. Er suchte nach einem Buch in dem Regal, das ihn als Zeugnis an Selbstvertrauen nahestand, Joshua Slocums „Weltreise auf einem Boot“. Hartmann blätterte sich durch bis zu den technischen Angaben der „Spray“, einer Ketsch von sechsunddreißig Fuß über alles, wenig Schiff für einen Ozean an Ungewissheit. Slocum war ein alter Mann, als er das Boot gekauft und umgebaut hatte; das beruhigte. Was er wissen wollte, konnte Hartmann dem Buch immerhin entnehmen. Sein Boot übertraf die „Spray“ an Größe um einiges. Als es klopfte, stellte er das Buch wieder zurück ins Regal. Dieses Zeremoniell des Anklopfens hatte Frauke eingeführt, nachdem er einmal leise, von ihr unbemerkt ins Zimmer gekommen war, was bei ihr einen Herzanfall ausgelöst und die Forderung nach sich gezogen hatte, vor Eintritt anzuklopfen und die Erlaubnis hereinzukommen, gefälligst abzuwarten. Fortan hielt er die Regel ein, wenn er ihr Zimmer, das heißt, einst ihr gemeinsames Wohnzimmer aufsuchte. Festgelege Nutzzeiten des Bades waren gefolgt, bis sein Zuhause durch scharf gezogene Grenzen in Bereiche eingeteilt worden war. In ihrem Innenleben kannte er sich heute noch weniger aus als früher; vielleicht hatte er sie überhaupt nie verstanden, ebensowenig wie sie ihn. Aber damals sah man sich seltener; man konnte sich leichter aus dem Wege gehen. Übrigens sprach er sich von einer Schuld an ihren nervösen Störungen nicht ganz frei, konnte oder wollte daran aber auch nichts ändern.

      Sie nahm auf dem heruntergelassenen Bett Platz. Misstrauisch blickte er in das ihm vergrämte, fremd gewordene Gesicht seiner Frau; aber er überwand sich und fragte: „Ist etwas?“

      „Nichts besonders“, sagte sie. „Wie findest du es?“

      „Wie ich was finde?“

      „Den Einfall, dass sich dein Sohn irgendwo in der Wildnis verheiraten will. Unsere Zustimmung braucht er wohl nicht mehr, wie?“

      Wenn sie von Harald sprach, legte sie die Betonung auf dein, als ob sie den gemeinsamen Sohn verleugnen wollte. „Nun“, sagte er, „es ist doch wohl normal, dass er heiraten will und ganz gewiss ist es seine Sache, wen und wann und wo. Dass wir ihn in


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