Das Deutsch Haus. Helmut H. Schulz

Das Deutsch Haus - Helmut H. Schulz


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groß, aber recht gut passierbar. Wie sie in diesen Gewässern einst Marinemanöver durchgeführt hatten, erschien dem Mann heute seltsam und fern. Nahe der Bootswerft, an der Werftpier waren einige für alle freie Liegeplätze und eine Fischereifahrzeugen vorbehaltene Anlegestelle. An der langen Binnenseite des Viaduktes sollten Fähren ankern; allein der Hafen sah aus, als sei er von Nutzfahrzeugen aufgegeben.

      Mit gedrosseltem Standgas hatte der Steuermann die Hafeneinfahrt forciert und ließ sein Boot bei langsamer Fahrt nahezu einen Kreis beschreiben; es war die beste Art, in diesem Falle die einzige, Schub aus dem Fahrzeug zu nehmen und an einen freien Liegeplatz aufzukommen. Sorgfältig, obgleich im geschützten Hafen, belegte der Mann die beiden Polder achtern mit Festmachern; dann stieg er breitbeinig nach vorn und kletterte auf die Pier, um sein Boot auch vorn festzumachen. Es war Klock sieben geworden, die Sonne arbeitete sich durch den Frühdunst, wärmte jedoch schon kräftig. Und der Wind lebte etwas auf und bewegte die Blätter an den Bäumen der Uferpromenade; es würde ein schöner, vielleicht ein heißer, ein verheißungsvoller Sommertag werden. Dafür sprachen der Sonnenaufgang und die Morgenfrische. Hartmann war erst kurze Zeit im Besitz dieses Bootes; er hatte es am Vortage, einem Mittwoch, rasch entschlossen gekauft, ohne zu handeln und ohne eine genaue Vorstellung, was er mit diesem Boot anders anfangen wollte, als auf einem Bodden der wasserreichen Insel oder auf einer der Seewasserstraßen zu liegen und zu kreuzen, um Zeit totzuschlagen. Das Angebot, der niedrige Preis hatten seine Kauflust kaum geweckt und ihn veranlasst den Handel abzuschließen. Gewiss brauchte er sich vor keinem zu rechtfertigen und zu fragen oder um etwas zu bitten, war seine Sache ohnehin nicht. Ein reaktivierter Seeoffizier, der sich nach seiner Entlassung aus dem Dienst im Zivil wie verkleidet, seiner Würde beraubt und sehr überflüssig vorkam, blieb er schließlich doch was und wie er einmal gewesen war. Das Boot hatte bei den Fischkuttern im Hafen von Breege abseits der Marina unterhalb der neuen Häuser und dem Fährkai gelegen; es stand zum Verkauf laut handgeschriebener Anzeige, einem Pappschild und ein Junge und ein paar Fischer, die schweren Fäuste unter die Lätze ihrer Overalls gesteckt, standen bei ihren Kuttern auf dem Kai, beobachteten gelassen die schmökenden Räucheröfen auf den Pötten und hielten Klönschnack, während sich eine Frau damit beschäftigte kleine Dorsche und Flundern und ein paar Aale aus dem Frischfang auf Stangen zu spießen und zum Räuchern vorzubereiten.

      Grauer, sich kräuselnder Rauch entwich den mit duftendem Wachholder geheizten Blechkisten. Auf Hartmanns Frage nach dem Verkäufer des Bootes hatte sich der Junge als Eigner von der Gruppe Fischer gelöst und auf die weitere, wiewohl verfrühte Frage Hartmanns nach dem Preis, eine nicht sehr große Summe genannt. Unter den Blicken der Männer, die sich in keiner Weise eingemischt, aber still interessiert an der Sache gezeigt hatten, jumpte Hartmann in die Plicht, um sich auf dem Fahrzeug umzusehen.

      Es war eine solide Barkasse, dem Anschein nach ein großes ausgemustertes für die hohe See gebautes Rettungsboot. Die schlichte Ausstattung des geräumigen, später aufgesetzten Kajütaufbaus mittschiffs störte sein über das sachlich-fachliche hinausgehende Interesse; ihm stand das Bild pullender Männer vor Augen, in triefendem Ölzeug, bärtige Köpfe unter den Südwestern, in einem offenen, im Wellental versinkendem Boot, das achtern gerade einen Brecher übernahm. Er sah sich weiter um. Am Mittelschott in Nähe einer Mastspur – jemand hatte aus dem Rettungsboot offenbar einen Motorsegler machen wollen, den Versuch aber wieder aufgegeben - befand sich ein Schifferofen auf einem Steinfundament, dessen Abzugsrohr nach draußen führte. Feuerholz und ein paar Briketts lagen davor, auch eine Schachtel mit Streichhölzern, als hätte eben angeheizt werden sollen. Auf eine der beiden Brennstellen des Spirituskochers stand eine verrußte eingebeulte Kanne aus Aluminium mit den eingeprägten Großbuchbuchstaben NVA, Nationale Volksarmee. All dies gab Aufklärung genug; in dieser Gegend hatten Grenzbrigade und Marine einst alles versorgt und vielen genützt, legal und illegal; die Region war wirtschaftlich vielfach mit dem Militär verbunden gewesen, wovon etwa noch die Menge des zu Gartenpforten verarbeiteten Baustahls, einem in keinem Baugeschäft angebotenen Material, zeugte. An der Marine waren die Inselbewohner seit der Kaiserzeit gewöhnt; die Schiffe der Volksmarine hatten also nur eine ältere Tradition fortgesetzt.

      Bei der Breite des Bootes hatte, wer auch immer die Umbauten vorgenommen, Platz genug für einen Weg am Kajüttisch vorbei ins Vorschiff begehbar gemacht. In dem Raum zwischen Vorderkajüte und Salon gab es die auf kleinen Booten üblichen Einbauschränke. Back- und Steuerbord sowie am Querschott waren die Sitzbänke mit Kissen, Decken und einem Schlafsack belegt, den Hartmann unschwer als zur Offiziersausrüstung der NVA gehörend erkannte. Im Vorschiff waren zwei Kojen aus Kiefernbrettern eingezimmert; dort lagerte einiges an stockfleckigem altem Zeug, das muffig roch; im Bug zwischen Vorsteven und Schott befand sich noch Raum für einen Anker und die Kettenlast.

      Nun, die Geschichte dieses Bootes war Hartmann klar genug; es war gebaut, in Dienst gestellt, irgendwann als überflüssig ausgemustert, verkauft und immer wieder verkauft worden, von jedem neuen Eigentümer verändert, aber die Substanz des alten Bootes konnte nicht beschädigt werden. Von der eichenen Außenhaut, den dicken Bodenbrettern, auf die der Kajüttisch angebolzt war, bis zu den Backkisten im Cockpit und dem Diesel, den Hartmann zur Probe startete, weil der Zündschlüssel steckte, aber nicht warm laufen ließ, als der Motor, nach einem stotternden Anfang, bockend zuerst, in einen unregelmäßigen Takt gefallen war, stimmte hier noch alles. Diesem Boot fehlte die Eleganz einer Yacht, es war ein schlichtes Arbeitspferd, stark und ehrbar und verdiente allen Respekt der seefahrenden Zunft. Oben auf dem Kai hatte der Junge die Unterhaltung mit den Fischern abgebrochen; vermutend oder hoffend, dass es ernst werde mit dem Handel, stieg er in die Plicht, hockte sich auf eine Backkiste und grinste erwartungsvoll, eher verlegen, wie es Hartmann schien, der diesen Eigner unauffällig musterte, um ihn in eine seiner Kategorien einzuordnen: Eine junge faule alte Hafenratte und ein Strandräuber, wenn es sich ergab, zu nichts nutze und zu allem tauglich, so lautete der erste Befund des um etliche Jahre älteren Hartmann. In jedem Hafen gibt es für eine arbeitswillige Hand etwas zu tun. Immerhin zählte diese Sorte Jungmann, die er aus seiner Dienstzeit recht gut kannte, in seiner Liste zu den angenehmeren Zeitgenossen, auch wenn man bei manch einem auf der Hut sein musste. Nachdenklich, nicht ohne Sympathie sah Hartmann in das pfiffige und offene Gesicht des Burschen, der den prüfenden Blick aushielt. Auf Hartmanns Frage nach den Papieren, kramte er in einer Segeltuchtasche herum und erklärte: „Sehen ja selber, was mit dem ollen Kahn los ist, soll auch nicht viel kosten, ist eigentlich gar nicht mehr zu verkaufen. Aber ich geh hier weg, muss hier weg, wer weiß wohin. Wenn Sie wollen, dann werden wir uns sicher einig.“

      Hartmann blätterte in den Papieren, der Junge hatte jedenfalls seine Sachen in Ordnung, wie er sah. Er fand einen Kaufvertrag mit dem Datum des letzten Eigentumswechsels und einen jüngeren Prüfbericht der Motorenwerkstatt; der vorherige Eigner damals hatte 1992 ebenfalls weggewollt oder weggemusst, und sein Boot einem anderen überlassen, der nun auch die Insel verließ und das Fahrzeug an einen Nachfolger abgab. Hartmann blickte hinüber zu dem neu erbauten Gebäude, Brücken und Stege, mit allen Versorgungsleitungen ausgestattet; die reichen Yachteigner hatten sich hier eingenistet und das Leben von Grund auf verändert. Während er in den Annalen des Bootes las, entdeckte Hartmann, dass er im Begriff stand, dieses alte Ding zu kaufen; er verhandelte ja bereits.

      Wortkarg, nach seiner Gewohnheit, über eine Sache nicht lange nachzudenken, die irgendwo in seinem Inneren entschieden war, schrieb er einen Scheck, zeichnete den Kaufvertrag ab, den der Junge in der Kajüte nach seinem Diktat abgefasst hatte und übernahm die Raja-Tau – in seinen Ohren ein unmöglicher Name für ein Boot mit dem Heimathafen Breege – stehenden Fußes mit allem was drauf und drin, einer Schiffsuhr, die nicht ging, einem Ofen, der vielleicht nicht zog und Pott und Pfanne, auch Geschirr, einem Rest Kaffee in einer Papiertüte vom Konsum alten Angedenkens und einem Paket Zwieback nebst einer Buddel stärkenden Stoffes, den der Verkäufer großzügig und vom Glück bewegt gespendet hatte. Unter den Augen der Fischer, die ihre Fäuste unter der Arbeitskluft hervorgezogen hatten, um ihm einen Schlag Fisch, frisch und von Fett triefend aus dem Rauch in Zeitungspapier gewickelt, abzulassen, nachdem sie zu viert den Handel mit einem Schluck aus der Pulle abgeschlossen hatten, war er nun Eigner des Bootes. Hartmann, am Spätnachmittag einigermaßen verproviantiert, hatte von Breege abgelegt und sein Boot ins Fahrwasser des Jasmunder Boddens gebracht. Als er zurückblickte, sah er den Jungen wieder bei den Fischern stehen.

      Dies war die Geschichte


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