Das Deutsch Haus. Helmut H. Schulz

Das Deutsch Haus - Helmut H. Schulz


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Dummenjungenstreich; erledigt, nicht mehr rückgängig zu machen und sieben vorbei und acht verweht oder mit dem alten Gruß der Fahrensmänner: Mut voraus und eine klare Kimm.

      Seit Jahren hatte er wieder eigenen Kiel unter den Füßen. Während Hartmann, die eine Hand auf der Ruderpinne, mit der anderen die Düffeljacke zuknöpfend, sein Boot laufen ließ, befasste er sich mit den Ursachen für diese Anschaffung und mit den Folgen. Seiner fatalistischen Einstellung nach steckte hinter allem, was man tat, ein verborgener Sinn, so betrachtet war denn zum Beispiel der Kauf dieses Bootes mehr als ein zufälliger Entschluss er brauchte für alles einen Grund und anders hätte der Handel wohl auch nicht so schnell gedeihen können. Was außerhalb der Kontrolle durch Augenschein und Unterbewusstsein ablief, hatte für ihn stets tiefere und niemals im Vorhinein klare Gründe gehabt. Er wäre erstaunt gewesen, hätte ihn ein Menschenkenner als Fatalisten bezeichnet, mit Unsicherheiten rechnend, für die er gerüstet sein wollte, aber doch voller Erwartungen, was sein Schicksal mit ihm vorhatte. In diesem Falle gab es sogar einen Grund, nach einem Ausweg zu suchen, sich nach einer Zuflucht umzusehen. Jedenfalls sah er sich nicht als Angeklagter vor ein Gericht gestellt, wegen eines längst vergessenen tragischen Zwischenfalles, in den er seines Erachtens schuldlos verwickelt worden war. Handeln, etwas tun, um der erzwungenen Tatenlosigkeit zu entgehen; diese ungeheure, so massenhafte wie sinnlose Vergeudung von Lebenszeit, also von Leben selbst, für Freiheit ausgegeben, das war für ihn zum Stigma der politischen Wende schlechthin geworden, der Deformation alles Menschlichen, wie er ringsum beobachtet haben wollte. Wenn wir nur durch Arbeit wir selbst sein oder werden können, dann war es schlecht um die Zukunft des Volkes bestellt. Er wusste wie viel Kräfte das erzwungene Nichtstun verbraucht und schließlich lagen noch Jahre vor ihm, die nicht ohne Sinn hingehen durften, ohne Widerstand gegen dieses Gefühl der Ohnmacht.

      Am Mittwoch früh war er mit dem Bus von Dranske nach Juliusruh gefahren, hatte etliche Zeitungen gekauft und sie am Strand sitzend gelesen, aber nichts gefunden, was ihn unmittelbar betraf. In einem der Zentralafrikanischen Länder tobte ein Bürgerkrieg. Hartmann wusste einen Sohn als Soldat bei der Légion étranger in dieser Gegend, Kongo, Uganda, Zaire oder sonstwo in einem dieser kleinen neuen Staaten, die sich noch nicht gefunden hatten und denen vielleicht auch keine Zeit gelassen wurde, eine moderne Zivilisation aufzubauen. Einstweilen rotteten sie sich offenbar untereinander aus. Nicht dass Hartmann wirklich beunruhigt war, die Légion schien nicht an diesem Kriegen beteiligt, aber die Tatsache, dass sich sein Sohn in der Bürgerkriegsregion aufhielt, rückte Afrika näher. Übrigens wartete er immer dringend auf einen Brief Haralds. Nun, die Massaker gingen weiter, wie die Zeitungen schrieben. Gegen Mittag war er hinüber nach Breege gewandert, ohne Ziel eigentlich. Eine Weile konnte ihn das Treiben im Yachthafen und die ein- und auslaufenden Fähren nach Hiddensee beschäftigen, die offenbar in der Hauptsache Radfahrer auf das kleine Eiland hinüberbrachten, die Hiddensee allmählich ruinierten. Hier gab es etwas zu sehen, aber nichts zu erleben; bis er auf dieses Boot an der abseits liegenden Brücke gestoßen war.

      Dass ihm Achtung und Respekt von der kleinen Gruppe Fischer und dem Jungen entgegengebracht wurde, mochte er nicht einmal bemerkt haben; es stand ihm zu. Seiner Figur nach war er groß gewachsen und athletisch; sein Gesicht mit tief eingekerbten Wangenfalten sprach von frühen körperlichen Entbehrungen; offen packende, helle kaltklare Augen, alles hob ihn aus der Masse heraus, seine männlich gerade Haltung sicherte ihm überall Aufmerksamkeit. Er war im Training geblieben, trotz seines Alters gut in Form, ein schlanker Mann, was für einen höher Chargierten nicht eben häufig; ältere Offiziere neigen zur Verfettung. So kam es denn zu der Anschaffung.

      Sein Vertrauen in dieses Boot war übrigens technisch begründet. Eine alte Barkasse aus gediegener Mooreiche, über robuste stählerne Wrangen aufzubauen, das hatten die Alten gekonnt. Bauweise und Material deuteten auf ein anderes, ein vielleicht besseres Jahrhundert hin, in dem alles dauerhaft sein wollte, nicht auf Verschleiß gearbeitet. Seit vierzig Jahren war dergleichen sicher nicht mehr auf Kiel gelegt worden. Halb in den Niedergang hineingestellt, von allen Seiten zugänglich, stand ein Motor älterer Bauart, dessen hart rotierenden Welle unter der Gräting den Bootskörper vibrieren ließ, dies war für einen Ingenieur wie Hartmann ein wunderbares Gefühl der Sicherheit. Auf dem Kompass in einem transportablen Kasten neben dem Steuerstand schien die Blase unter dem Deckglas und der träge einschwingenden Nadel nach zu urteilen, kein Verlass mehr. Diesen Schaden zu beheben war eine Kleinigkeit und eine angenehme Fummelei. Die kräftige Pinne aus Eiche mit einem geschnitzten Fabelwesen am Griff im Ruderjoch, die Backkisten in der Plicht; Hartmann fühlte sich rasch heimisch auf diesem seinem Boot, seiner Rettungsinsel, sollte es denn zum Äußersten kommen.

      Vor der Nase der Südspitze der Halbinsel Bug vor Anker liegend, hatte Hartmann die letzten Fähren dieses Tages vorüberziehen sehen, von Hiddensee kommend, bis an die Reling vollgepackt mit Fahrrädern, ein paar Yachtensegler auf Heimatkurs nach Breege oder Schabrode, dann war endlich Stille eingetreten, die Stille vor der sommerlichen nordischen Nacht mit ihrer zauberhaften Helle. Er setzte Ankerlicht, eine alte petroleumgespeiste Schiffslaterne, die trotz ihrer Jahre noch Dienst tat, und er war daran gegangen, sich in der Kajüte einzurichten, Feuer für Grogwasser auf dem Schifferofen aufzusetzen, Räucherfisch mit Zwieback zu essen und mit Rum nachzuwachen. Das hatte sich gut angelassen und bis tief in die Nacht hinein gedauert. Auf der Bank im Salon ruhend, den Gestank des Dieselöls in der Nase, vermischt mit Fischgeruch, ein Aroma, das ihn nicht störte, im Gegenteil, ließ er sich in den Tag hinüberdämmern. Jedenfalls würde das Boot den alten Geruch nicht verlieren. Recht so dachte er im Einschlafen. Dann war die Glut in dem Ofen und in seiner Seele erloschen, die Nacht hatte ihre Schatten in den Salon gesenkt und Hartmann war mit einem kleinen Rausch hinübergegangen. In der Morgenfrische fröstelnd, von einem Rest Schnaps mehr benebelt als belebt, hatte er den Liegeplatz wieder verlassen, bei trübem Dunst und einer milchigen Sonnenscheibe. Auf seinem dümpelnden Boot gab es Kaffee, der jedes Aroma verloren hatte. Schmeckte das Zeug schon nicht nach Kaffee, so war es immerhin bitter genug, um ihn ganz aufzuwecken. Bei lose belegter Pinne lag das Boot trefflich auf dem Ruder; es steuerte sich gleichsam selbst, wie ein Ochse, der seinen Weg kennt. Immerhin hatte Hartmann auch die Unregelmäßigkeiten im Klang der Maschine gehört. Gründliche Durchsicht und Reparatur standen an und Ölwechsel war sicherlich dringend nötig. Aber ein ganzer Tag mit Arbeit oder zumindest Tätigkeit lag vor ihm; er war hungrig und fühlte sich frei wie lange nicht mehr. Und er hatte einen Entschluss gefasst; das Boot sollte vollständig überholt werden, und zwar vom Fachmann.

      ZWEITES KAPITEL

      Im Hafenbecken von Wiek lagen einige Fahrzeuge, ältere und neuere Sportboote, Fischerkähne und als Gastlieger eine Gaffelketsch mit schenkeldicken Holzmasten und braunen, von der Mannschaft faul und nachlässig aufgetuchten Segeln. Ein Schild auf dem Bollwerk lud dazu ein, mit diesem Schiff lustvolle See- und Überfahrten zu machen oder wenn anders beliebt, Törns auf den Boddengewässern. Die Staatsflagge am Heck, offenbar selten eingeholt, sozusagen als Dauereinrichtung gefahren und somit regelwidrig gesetzt, zeigte ein verblichenes Schwarz-Rot-Gold und vom Wind ausgefranste Kanten. An Bord war kein Mensch zu sehen.

      Allmählich drang die Sonne durch den Dunst. Tau schlug sich in Tröpfchen nieder, einen warmen sonnigen Tag ankündigend. Hartmann ließ die Kajüte offen, einmal weil das Schloss an der Schott klemmte, zum anderen, weil er nichts von Wert zurückzulassen hatte. Die Mütze festdrückend, fühlte er sich für einen Landgang fein genug und für einen Besuch in Luzies Schapp gerüstet. Klock neun öffnete die Rosenbusch den Kiosk, wenn es ihr Tag und wenn es sein Tag war. Ihre Stammkunden, vier oder fünf der ortsansässigen Suffköpfe, pflegten allerdings schon früher vor ihrer Tür herumzulungern, auf eine frühere Dröhnung hoffend. Mit ihren Fäusten bearbeiteten sie erfolglos das heruntergelassene Rollo hinter welchem sie Luzie rumoren hörten und schrieen ihre Not heraus; Deern, mook up… Erweichen ließ sich die Wirtin nie; sie war damit beschäftigt, ihre frühen Stammkunden mit Brötchen und Zeitungen zu versorgen. Oft genug hatte Hartmann, selbst ein guter Trinker, der maßhalten konnte, amüsiert die Ohnmacht dieser Säufer beobachtet und festgestellt, dass sich Abhängige in ruhige Mitmenschen verwandeln, sobald sie gekriegt haben, was sie brauchen. Tranken sie über ihr Quantum, dann kippten sie einfach um. Sie vertrugen kaum etwas und waren nicht zu retten. Irgendwie aber gehörten sie zum Hafenbetrieb. Für Hartmann sollte die


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