Ssabena - Wilde Wege zum Seelenheil. Imme Demos

Ssabena - Wilde Wege zum Seelenheil - Imme Demos


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Vor meinem inneren Auge hatte ich einen Überblick darüber, wie vor Jahrmillionen dieser Teil der Welt ausgesehen haben muss und wie er sich mit der Zeit verwandelte. Mir war, als hätte ich die Weltkugel von einem Raumschiff aus betrachtet, von viel höher, als Flugzeuge je fliegen, und als wäre ich durch die Geschichte der Erde gereist.

      In Elat haute mich die Hitze des Wüstenwindes schier um, für einen Europäer unvorstellbar, das muss man erlebt haben.

      Der winzige Flughafen liegt mitten im Ort. Von der Maschine aus geht man zu Fuß die paar Meter zum Flughafengebäude, das kleiner ist als jedes deutsche Bürohaus.

      Aus einer Telefonzelle rief ich Raffael an, er war zu Hause. „Komm mit dem Taxi zu eintausendfünf auf drei, das ist Orits Adresse, ich bin gleich da.“

      Was ist denn das für eine Adresse? Kein Straßenname? Nun gut, wir werden sehen.

      Ich setzte mich ins Taxi und nannte die Zahlen. Der Fahrer wunderte sich kein bisschen, fuhr sofort los. Nach fünf Minuten waren wir am Ziel. Am Gebäude stand 1005, an einer der Türen eine 3, Orits Eingang. Ich klingelte, sie öffnete.

      „Hallo, how are you, nice to see you, wie schön, dich wiederzusehen“, erfreut breitete sie ihre Arme aus, um mich herzlich zu drücken, „komm rein, trink erst mal was, in Elat musst du viel trinken. Jetzt im Sommer musst du vier bis fünf Liter Wasser am Tag trinken, sonst trocknest du aus. Trink immer, auch wenn du nicht durstig bist.“ Besorgt drückte sie mir ein Glas Wasser in die Hand. „Weißt du, wenn du feststellst, dass dir schwindelig wird oder übel, und das, weil du zu wenig getrunken hast, ist es meist schon zu spät. Dann ist ein Teil von dir bereits mit Flüssigkeit unterversorgt, da hilft dann nicht schnell viel trinken, das ist sogar gefährlich, nein, Schluck für Schluck musst du dich wieder auffüllen. Und du musst ins Krankenhaus an den Tropf. Es ist schon passiert, dass Leute hinterher einen Finger nicht mehr bewegen konnten oder meschugge geworden sind im Kopf. Das sind Folgen von der Austrocknung, also denk daran, immer trinken.“

      Erste Einweisung in die Lebensführung hier. Vielen Dank.

      Mit Orit, mütterlich und schwesterlich zugleich, fühlte ich mich wohl.

      Gerade hatte ich mein Glas ausgetrunken, klingelte es an der Tür. Zwei jugendliche Typen kamen herein, einer mit Gitarre über der Schulter, der andere klein und unscheinbar.

      „Das ist Isaak, er spielt bei uns Gitarre, das ist Radshif, er ist ein großartiger Schlagzeuger“, stellte Orit sie vor, „und das ist Marlisa aus Deutschland.“

      Die beiden grüßten mich nickend, gingen an mir vorbei ins Wohnzimmer und begannen wortlos ihre Instrumente aufzubauen.

      Ich wartete ab. Mein Keyboard sowie eine kleine Kiste mit Bühnenkleidung sollten in den nächsten Tagen im Hafen von Haifa eintreffen.

      Orit wies auf das Keyboard längs zur Wand: „Setz dich da ran, du kannst spielen, wenn du willst, es ist meins. Ich gebe dir gleich ein Mikrofon.“

      Erneut läutete die Türklingel. Zwei Männer traten ein. Raffael kam auf mich zu und reichte mir die Hand.

      „Hi Marlisa, du bist also hier. Montag haben wir einen Job im Hotel Neptun. Ich will, dass du da mitspielst. Also lass uns jetzt proben. Was hast du so drauf an Titeln?“

      Ich nannte einige.

      „Okay, Smooth Operator von Sade passt gut in unser Programm, damit fangen wir an. Das ist Aviel, er spielt den Bass.“

      Aviel reichte mir die Hand, blickte mich warm an. „Herzlich willkommen in unserer Band“, sagte er liebevoll lächelnd und stöpselte seinen Bass ein. „Welche Tonart?“

      „D-Moll“, antwortete ich.

      „Okay“, kam von Raffael, „let’s start. One - two - three - four.“

       Los gings. Ein kleines bisschen aufgeregt war ich schon bei diesem Debüt.

      Als der Song zu Ende war, blickte Raffael mich angenehm überrascht an. „Es gefällt mir, wie du singst, wirklich gut. Lass uns einen anderen Song machen, ich will hören, wie du die zweite Stimme drauf hast.“

      Raffael war zufrieden. Musik machen mit mir funktionierte mit Leichtigkeit.

      „Kannst du hebräisch?“

      Ich schüttelte den Kopf.

      „Das musst du lernen. Wir singen auch ein paar israelische Lieder, ich will, dass du da mitsingst. Orit wird dir helfen mit der Aussprache.“

      Konzentriert arbeiteten wir bis zum Abend. Wenn ich einen Titel nicht kannte, spielten sie ihn mir vor, ich schrieb die Harmonien auf und war sofort in der Lage mitzuspielen.

      Zwischen zwei Liedern kam Isaak auf mich zu, wollte hinter mir vorbei zur Toilette gehen. Da ich dicht an der Wand saß, war dort wenig Platz. Ich weiß nicht, warum er nicht außenrum ging. Mit ungemein süffisantem Lächeln grinste er breit: „Can you take your ass away, baby?“ Kannst du deinen Hintern da wegnehmen, Süße?

      Wie durfte ich das denn nun verstehen?

      Das war das einzig Private, was während der Probe gesprochen wurde.

      „Mit dir ist gutes Arbeiten“, lobte mich Raffael, „morgen proben wir ein paar andere Songs, und dann machen wir Pause bis Montag. Hast du was zum Anziehen für die Bühne? Stimm dich mit Orit ab, damit ihr zusammenpasst. Bye, see you tomorrow!“ Weg waren sie, nur Aviel blieb.

      „Hast du Hunger? Du musst hungrig sein! Komm, iss etwas!“, forderte Orit mich auf.

      Wir gingen in die Küche. Sie holte einige Sachen aus dem Kühlschrank und stellte sie auf den Tisch. Nichts davon kannte ich. Die Paste in dem großen Plastikbecher sah aus wie braune Mayonnaise, die kleinen, dunkel lila leuchtenden Dinger auf dem Teller waren wahrscheinlich sauer. Die runden, flachen Teile identifizierte ich sofort als Brot.

      „Eat, iss!“

      Ich wusste nicht so recht, wie ich vorgehen sollte. Auf dem Tisch lagen weder Messer noch Gabel noch Teller.

      Orit bemerkte mein Zaudern, sie lachte. „Ah, du kennst das nicht. Nimm eine Pita, so nennen wir dieses kleine Fladenbrot. Reiß ein Stück ab und ziehe es durch den Chumus, so.“ Sie machte es mir vor.

      Ich machte es ihr nach. „Mmh, lecker, woraus besteht Chumus?“

      „Das sind pürierte Kichererbsen mit etwas Knoblauch, Petersilie und Zitronensaft. Man serviert es eigentlich auf einem flachen Teller, gießt Olivenöl darüber und streut Chilipulver darauf, aber ich bin jetzt zu faul. Weißt du, mein Volk ist vierzig Jahre lang durch die Wüste gezogen, bevor es hier in Israel ankam. Da war es notwendig, ein schnelles Mahl zubereiten zu können, das man ohne viel Geschirr essen kann. Wo hätten wir denn das alles abwaschen sollen für die vielen Leute? In der Wüste überlegst du dir zweimal, wofür du das Wasser, das du hast, verwendest. Außerdem ist das Essen gesund. Das Brot macht dich satt, die Kichererbsen enthalten sehr viel Eisen und andere Mineralien und die Auberginen sind voller Vitamine und gut aufzubewahren, weil sie sauer eingelegt sind. Dies ist typisches Israeli-Essen wie bei euch Sauerkraut und Würstchen. Sprech ich das richtig aus? Sauerkraut und Würstchen?“

      Nun musste ich lachen. Nach ihrem zweijährigen Amerika-Aufenthalt sprach sie deutsch mit amerikanischem Akzent. „Ziemlich gut, nur rollen wir das r nicht so wie die Amis, sondern so“, ich machte es ihr vor.

      „Ah, so sprechen auch einige Israelis das r aus. Das kann ich auch. Eigentlich bin ich gar keine Israelin, ich bin Ägypterin. Sieh dir meine helle Haut an. Und den Schnitt meiner Augen. Daran erkennst du meine ägyptische Herkunft. Mein Nachname ist Moawad. Das ist ägyptisch. Die Israelis waren doch früher bei den Ägyptern viele Jahre als Sklaven, bevor Moses sie herausgeführt hat. Da passierte es schon mal, dass sich ein Ägypter in eine schöne, israelische Sklavin verliebte und mit ihr ein Kind zeugte. Einer meiner vielen Vorfahren war auf jeden Fall Ägypter, und ich bin stolz darauf.“

      „Ich bin eigentlich auch keine richtige Deutsche“, vertraute ich ihr an, „ich bin halbe Italienerin, mein Vater ist Sizilianer.“


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