Dorran. Isabel Tahiri

Dorran - Isabel Tahiri


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lassen? Nein, das kam für Simone nicht in Frage, sie musste eine andere Lösung finden. Wie immer sie es drehte und wendete, ihr fiel im Moment nichts ein. Also befolgte sie den Rat des Pfarrers und verschwand aus Dorf Wolkenstein. Aber sie ging nicht nach Bergtal, sondern versteckte sich in einem nahen Wäldchen, nachdem sie sich vorher noch ein paar Vorräte zugelegt hatte.

      Dorran erging es schlecht im Kerker, gleich am ersten Abend seiner Gefangenschaft kamen drei Wachen in seine Zelle. Er kam nicht mehr dazu eine Frage zu stellen, alles ging blitzschnell. Zwei der Männer packten ihn und hielten ihn fest, und einer zerriss sein Hemd, zog seine Hose ein Stück herunter und dann verlor sich alles im Nebel. Erst ein greller Schmerz, er schrie laut, dann roch er verbranntes Fleisch, sein Fleisch. Sie brannten sein Muttermal aus, der Schmerz war unerträglich, er fiel, Gott sei Dank, in eine erlösende Ohnmacht.

      Als er erwachte durchzuckte ihn sofort ein grässlicher Schmerz, er erinnerte sich wieder. Reglos blieb er liegen und überdachte seine Lage. Niemand hatte ihn je misshandelt, sein ganzes Leben lang nicht. Die Ohrfeigen wegen der Bibel, damals in Bergwald, zählte er nicht, aus der Sicht des Büttels, war das gerechtfertigt gewesen, wenn auch nicht recht. Wenn es Hermann gefiel, konnte er ihn lange festhalten, außer dem Pfarrer und Simone, wusste niemand, dass er hier war. Es war mittlerweile Nacht, er dachte an Simone, sie würde sich sorgen, hoffentlich machte sie keine Dummheiten. Plötzlich hatte er Angst um sie, bitte lass sie abgereist sein, betete er. Seine Schmerzen waren grell und heiß, jede noch so kleine Bewegung ließ sie erneut aufflammen. Verzweifelt schlief er irgendwann ein.

      Dorran wusste nicht, was ihn erwartete, als er wieder erwachte. Seine Schmerzen waren etwas abgeklungen, solange er sich nicht bewegte, würde es gehen. Oh Simone, dachte er, wären wir nur wieder gegangen. Irgendwann am Morgen kam eine alte Frau herein und versorgte seine Wunde. Sie schnalzte mit der Zunge. „Bös, bös, das sieht böse aus und ich werde Dir jetzt auch noch einmal wehtun. Die Wunde muss mit Wein ausgewaschen werden, sonst entzündet sie sich. Aber ich werde Honig drauf geben, dann heilt es besser.“ Sie machte sich ans Werk, es schmerzte zwar, aber sie ging sanft mit ihm um. Sie erinnerte Dorran irgendwie an seine Ziehmutter Mechthild, die hatte seine vielen Verletzungen als Junge, auch immer so sanft behandelt. Als die Alte fertig war, beugte sie sich dicht über sein Ohr und flüsterte. „Der Pfarrer will Dir helfen, Deine Frau ist abgereist, verhalt Dich unauffällig.“ Dann ging sie hinaus, ohne eine Antwort abzuwarten. Er blieb auf dem Bauch liegen und war dankbar, der Schmerz hatte nachgelassen und Simone war in Sicherheit. Die Zeit im Kerker erschien ihm endlos, seine Wunde verheilte zwar, tat aber immer noch weh, wenn er sich bewegte. Die alte Frau hatte den Verband noch mehrmals gewechselt, aber nie mehr mit ihm gesprochen. Er hatte es versucht, aber ihre Augen hatten ihn abgewiesen, das lag sicher an der Wache, die immer vor seiner Tür stand.

      Mit dem Wächter gab es auch kein richtiges Gespräch, auf seine Fragen brummte er nur ein 'Nicht Reden' und gab keine Antwort. Hermann war ein paarmal vor seiner Zelle gestanden, und hatte ihn angestarrt, als müsse er überlegen, wie es weitergehen sollte. Auch er antwortete nicht auf seine Fragen. Er sprach mit dem Wächter über ihn, so, als ob Dorran gar nicht da wäre. Nur ein einziges Mal kam er herunter, Dorran war schon ein paar Wochen in seiner Zelle, um ihm mitzuteilen, dass er bald verurteilt würde.

      Er sah seinen Onkel ungläubig an. „Aber Hermann, was redest Du da, verurteilt? Ich habe doch nicht das Geringste getan!“

      Die Antwort ließ ihn frösteln. „Allein, dass Du am Leben bist, ist schon schlimm genug.“

      Nach drei endlos scheinenden Wochen kam dann endlich Bewegung in die Angelegenheit. Simone erfuhr es als erstes, obwohl sie das nicht wusste. Eine Kutsche mit dem Mittelstädter Wappen, es zeigte eine Bergziege, fuhr an ihrem Versteck vorbei. Darin saß der oberste Richter Anselmo, der Richtherr des Landes, der sich nach Burg Wolkenstein bringen ließ, um dort ein Urteil zu sprechen. Da dieses schon feststand, freute sich Anselmo auf die gute Mahlzeit, die er am Abend bekommen würde.

      Der Pfarrer und auch der Dorfbüttel wurden in die Burg bestellt, man erwartete einen Prozess. Aber nichts dergleichen geschah als man am Nachmittag Dorran aus seiner Zelle in den großen Saal brachte. Das Urteil sollte bereits verkündet werden, ohne ein Verfahren, wie war das möglich? Niemand hatte sich die Mühe gemacht, Dorran oder andere eventuelle Zeugen zu befragen, er war chancenlos. Der Richter saß bereits auf der Empore und als der Gefangene in seinen zerrissenen Kleidern hereingeführt wurde, verkündete er, ohne jede Vorrede, sogleich das Urteil. „Er, der Beschuldigte, Dorran Dorran, hat eine große Sünde vor dem Herrn und seinem Vaterland begangen. Er hat sich des Betrugs schuldig gemacht, indem er vorgab der Sohn eines erbberechtigten Wolkensteins zu sein. Einen Beweis allerdings blieb er schuldig. Dorran Dorran wollte den bestätigen Herrn von Wolkenstein um seine Burg, seine Ländereien und sein Geld bringen. Darauf gibt es nur eine Strafe, nämlich die sofortige Verbannung aus Bergland. Zuvor soll er noch gebrannt werden, als sichtbares Zeichen seiner Verbannung. Sollte er je zurückkommen, ist er des Todes. Ich habe gesprochen, das Urteil wird vollstreckt.“ Dorran war wie vor den Kopf geschlagen, er hatte alles mögliche erwartet, aber das nicht, verbannt aus seiner Heimat, weg von Simone und den Kindern. Er versuchte etwas zu sagen, aber die Wache schlug ihn daraufhin sofort. Dann zerrten sie ihn wieder in seinen Kerker zurück. Er ärgerte sich über sich selbst, weil er seiner Sehnsucht die Burg zu sehen nachgegeben hatte. Wäre er doch nur gleich wieder abgereist. Mutlos sank er ins Stroh, was konnte er denn jetzt noch tun? Niemand würde etwas über sein Schicksal erfahren. Simone und die Kinder würden einfach immer weiter warten und ihn eines Tages für tot halten. Bei dem Gedanken daran liefen ihm Tränen die Wangen hinunter, das hatte niemand von ihnen verdient.

      Der Pfarrer rannte, so schnell er konnte zurück ins Dorf, durchquerte es und verschwand im angrenzenden Wäldchen. Bei Simone angekommen, ließ er sich, schwer atmend, auf einen mit Reis gefüllten Sack fallen. Er musste erst einmal eine Weile tief Luft holen, bevor er sprechen konnte. „Sie haben ihn verbannt, man konnte gar nichts tun, der Richtherr kam schon mit dem Urteil hier an, niemand wurde angehört.“

      Simone fiel auf die Knie, mein Gott, Dorran war verbannt, sie weinte. Als sie sich beruhigt hatte, wollte sie wissen wohin. Der Pfaffe zuckte mit den Schultern. „Das hat der Richtherr nicht gesagt, aber fast immer schieben sie die Verbannten an der nächsten Grenze ab, das wäre in diesem Fall Südland, es ist nicht weit.“

      Simones Gedanken überschlugen sich, sie musste den Kindern Bescheid geben, wollte Dorran aber auch begleiten. Sie fragte tonlos. „Wann bringen sie ihn weg?“ Auch das wusste der Pfarrer nicht, aber er könne sich erkundigen, sie solle warten. Dann stand er auf und lief wieder ins Dorf zurück.

      Dorran konnte es immer noch nicht fassen, deshalb hatte sein Onkel das Muttermal weggebrannt, die Wunde war dank der alten Frau gut verheilt, damit ihm der Beweis fehlte.

      Was hätte er sagen können, nichts, er durfte ja gar nichts sagen. Das Urteil schien schon festgestanden zu haben, er hatte von Anfang an gar keine Chance gehabt. Er hoffte, dass Simone zu den Kindern zurück ist, sie werden sich gegenseitig brauchen, um das zu überwinden. Dorran konnte es immer noch nicht fassen, mit einem Schlag war sein bisher gutes Leben ein Scherbenhaufen, er würde weder Frau noch Kinder je wiedersehen. Himmel hilf, betete er inbrünstig, das konnte es doch nicht gewesen sein? Gab es denn gar keinen Ausweg? Ihm fiel plötzlich auf, dass niemand den Ort seiner Verbannung genannt hatte, aber Südland war nah, wahrscheinlich ging es dort hin. Wie die Südländer Verbannte behandelten, konnte er nur raten, aber eigentlich wusste Dorran nichts darüber. Er hatte nur gehört, dass Verbannte gebrandmarkt wurden. Sollten sie je wieder zurück kommen, auch getötet, aber sonst war er diesem Thema nie begegnet, hatte nie darüber gehört was danach geschah. Er malte sich verschiedene Szenarien aus, kam aber zu keinem Schluss. Er konnte nur hoffen. Im besten Fall, ließen sie ihn in Ruhe dort leben.

      Man brachte ihm Essen, ließ Dorran aber ansonsten in Ruhe. Nach einigen Tagen holte man ihn wieder aus seiner Zelle und brachte ihn in den Burghof. Dorran hatte das Urteil wohl gehört, aber diesen Teil verdrängt. Noch einmal dieser grässliche Schmerz, noch eine Brandwunde. Er würde als Verbannter gezeichnet werden. Das Brandmal würde die Form eines Sterns mit einem großen B in der Mitte, haben. Das B stand für Bergland,


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