Dorran. Isabel Tahiri
wollte wissen warum, aber bevor der Pfarrer antwortete, schaute er sich nervös um, ging dann zur Kirchentür und legte den Riegel vor.
„Kommt hier herüber, in die Nische, ich erzähle es Euch, Ihr seht aus wie Euer Vater. Michael war mein Freund, ich war noch ein ganz junger Priester damals, aber das Ganze ist jetzt auch schon fast fünfzig Jahre her. Ihr seid doch Michaels Sohn?“ Der Pfarrer sah ihn prüfend an.
Er zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich nicht genau, ich bin ein Findelkind, ich kenne meine Eltern nicht. Gab es vielleicht besondere Kennzeichen, Muttermale oder so, etwas, was in der Familie vererbt wurde?“ Fragend hob er eine Augenbraue.
Der Geistliche überlegte kurz. „Michael hatte ein Muttermal, wie schon sein Vater zuvor, am unteren Rücken glaube ich. Warum fragt Ihr mich das?“
Dorran seufzte. „Weil ich auch eines habe, kennt Ihr die Form?“
„Es sah aus wie ein Blatt.“ Jetzt musste Dorran sich setzen, diesmal hatte er etwas Farbe verloren. „Was ist mit Euch? Geht es Euch nicht gut? Seid Ihr krank?“ Wortlos stand Dorran auf, zog sein Hemd aus und die Hose etwas hinunter, und drehte sich um. Der Pfarrer bekreuzigte sich. „Jesus, Maria! Ihr seid es! Michaels Sohn.“ Dorran zog sich wieder an und beide setzten sich schweigend nebeneinander auf eine der Bänke.
Nach einer Weile begann der Pfarrer zu erzählen. „Euer Vater war ein freundlicher junger Mann, damals war ich noch ein sehr junger Priester hier, erst sechzehn, gerade ordiniert, aber er grüßte mich und wechselte oft ein paar Worte mit mir. Das hätte er nicht gemusst, aber er war zu jedermann freundlich. Sein Vater sah das nicht gerne, ich musste mehrmals erleben, wie er ihn dafür rügte. 'Ein Wolkenstein macht sich nicht gemein mit dem einfachen Volk' sagte er oft, Euer Großvater. Er war ein harter Mann, aber einigermaßen gerecht zu den Menschen in seinem Dorf. Von den beiden Söhnen war Michael der Älteste und sollte einmal alles erben. Land, Titel, Geld, alles wäre sein gewesen, hätte er sich nicht verliebt. Maria war die Tochter des Schusters, er lebt auch nicht mehr, Euer anderer Großvater meine ich, Marias Vater. Natürlich durfte ein Wolkenstein nicht unter Stand heiraten, aber Michael gab nichts darauf, er liebte Maria von ganzem Herzen. So nahm das Verhängnis seinen Lauf, der Alte verbot es, Michael setzte sich darüber hinweg. Ein großer Streit und am anderen Morgen waren Beide fort. Weder Euer Vater, noch Maria, hat man je wieder gesehen. Aber offensichtlich haben sie irgendwo geheiratet und Euch bekommen. Wie Ihr allerdings zum Findelkind wurdet, kann ich Euch nicht sagen. Tut mir leid. Was habt Ihr jetzt vor, wollt Ihr um Euer Recht streiten?“
Darauf wusste Dorran keine Antwort. „Ich weiß nicht so recht, eigentlich wollte ich nur herausfinden woher ich stamme.“ Er versicherte sich, dass der Pfarrer schweigen würde und ging, nach dem er seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte, zurück zu ihrem Wagen. Das musste er erst einmal Simone erzählen, darüber nachdenken und es ganz allgemein verarbeiten. Er war ein geborener Wolkenstein, und, er kannte jetzt die Namen seiner Eltern.
Verrat
Simone, die gespannt auf ihn gewartet hatte, war nicht überrascht von den Neuigkeiten.
Seit dem Überfall hatte sie so etwas geahnt, aber jetzt die Wahrheit zu kennen, gab dem Ganzen doch noch einmal ein ganz anderes Gewicht. Ihr Mann berichtete. „Ich habe eigentlich kein Interesse daran, hier zu leben und das Geld brauchen wir auch nicht, wir haben unser Auskommen daheim. Aber ich würde mir gern einmal die Burg von innen ansehen, sehen, wie mein Vater gelebt hat. Und den Namen würde ich gerne tragen, ich habe ja nie einen richtigen Nachnamen gehabt. Dorran Dorran haben sie mich genannt. Aber wenn ich das tue, erfährt mein Onkel davon, das wollte ich eigentlich vermeiden. Ach, Simone, gib mir bitte einen Rat! Sag mir, was soll ich tun?“
Das wüsste sie schon. „Also ich bin als Frau Dorran bis jetzt sehr zufrieden gewesen, Frau Wolkenstein muss ich nicht sein. Aber raten kann ich Dir nicht wirklich, mein Lieber, ich persönlich würde wieder heimgehen und das Ganze auf sich beruhen lassen. Du weißt jetzt, wer Du bist. Ich weiß, Du würdest gerne einmal in die Burg Deiner Vorfahren gehen, ob das eine kluge Entscheidung wäre oder nicht, kann man erst hinterher sagen. Was richtig ist, kann ich Dir leider auch nicht sagen, es tut mir leid. Am Besten verlässt Du Dich auf Dein Gefühl.“ Dorrans Gefühl zog ihn in die Burg, in das Haus seines Vaters. Obwohl sein Verstand Simone recht gab, er wusste, was er wissen wollte, er sollte nach Hause gehen.
Dorran überlegte hin und her, konsultierte noch einmal den Pfarrer, der im dringend abriet, und schlief eine Nacht darüber. Aber am Ende wurde er doch am Burgtor vorstellig, er sagte seinen Namen und bat darum, Hermann von Wolkenstein sprechen zu dürfen. Von außen war die Burg wirklich schön, der Stein hell und sauber, der Rasen um die Burg sorgfältig gestutzt, das musste eine Menge Arbeit sein, alles so gut instand zu halten. Das dunkle Burgtor war aus massivem Holz mit Eisenbeschlägen und hob sich hübsch von den hellen Steinen der Außenmauer ab. Rechts und Links des Tores standen Wachen mit langen Spießen. Er setzte sich ins Gras und wartete, bis man Hermann verständigt hatte. Und man ließ ihn endlos warten, Dorran hatte also die Zeit sich alles genau anzusehen. Nach einer gefühlten kleinen Ewigkeit öffnete sich das Tor einen Spalt breit und zwei andere Wachen traten heraus. Sie kamen auf ihn zu und baten ihn endlich herein. Er hatte, als er sie sah, schon damit gerechnet abgewiesen zu werden. Daher war er jetzt freudig überrascht und folgte den Wachen in die Burg. Sie begleiteten ihn durch den Burghof und führten Dorran dann hinein in einen großen Saal. Sein Onkel Hermann saß auf einer Empore und sah hasserfüllt auf ihn hinab. „Ich hätte Dich in der Nacht erschlagen sollen, statt Dich wieder laufen zu lassen, niemand hätte es gemerkt. Was willst Du hier?“ Fragte er herrisch.
Dorran versuchte freundlich zu bleiben. „Nun, ich habe herausgefunden, das ich der Sohn Deines Bruders bin. Michael von Wolkenstein war offensichtlich mein Vater und Marie Schuster meine Mutter. Deren Familie ist tot, habe ich herausgefunden. Aber Du bist am Leben, als mein einziger leiblicher Verwandter. Ich wollte Dich und die Burg kennenlernen, sonst nichts. Ich will weder Deine Burg, noch Ländereien oder Vermögen, einzig meinen Namen würde ich gerne tragen.“
Hermann antwortete zornig. „Wenn Du erst mal Deinen richtigen Namen trägst, gehört Dir hier auch alles. Die Erbgesetze sind streng, der Älteste Sohn erbt alles. Nein, das lasse ich nicht zu.“ Er gab den Wachen ein Zeichen, sie packten Dorran und schleppten ihn hinaus. Er schrie und flehte den Onkel um Verstand an, versicherte ihm nochmals nichts zu wollen, aber ehe er sich versah, saß er eingesperrt und allein im Kerker der Burg. Ihm dämmerte, dass sowohl Simone als auch der Pfarrer recht gehabt hatten, er wäre besser nicht hergekommen.
Simone wurde nervös, von Dorran war bis zum Abend immer noch nichts zu sehen, wo er nur blieb? Sie hatte ein ungutes Gefühl, konnte aber im Moment außer Warten nichts tun. Als er am nächsten Morgen immer noch verschwunden war, ging sie ins Dorf und suchte den Pfarrer auf.
Der schüttelte den Kopf. „Er ist zur Burg gegangen? Was frage ich, selbstverständlich ist er das, oh, er ist Michael so ähnlich. Gradlinig, freundlich, ehrlich. Aber bei diesen Hermann nützt ihm das nichts. Der wurde von seinem Vater zu einem harten Hund erzogen. Ich sehe, ob ich etwas für Dorran tun kann. Ich werde unter einem Vorwand zur Burg gehen, gute Frau, vielleicht finde ich etwas heraus.“
Stunden später, es war bereits gegen Abend, kam der Pfarrer zu ihrem Wagen, der am Rande des Dorfes stand. Schon an seinem Gesichtsausdruck konnte man erkennen, dass etwas im Argen lag. „Es sieht nicht gut aus, erst hat der Burgherr behauptet ihn nicht gesehen zu haben. Als ich dann sagte, Dorran sei dabei beobachtet worden wie er die Burg betrat, aber nie mehr herauskam, gab er zu, ihn eingekerkert zu haben. Er will ihn als Betrüger anklagen. Man stelle sich das vor! Wenn er damit durchkommt, wird Dorran aus dem Land verbannt. Das darf nicht geschehen, das ist Unrecht. Ich selbst werde für ihn sprechen, keine Sorge, meine Dame, ich kann anhand des Muttermals deutlich erkennen, dass Dorran ist, wer er vorgibt zu sein. Das bezeuge ich vor jedem Gericht.“
Also hieß es weiter warten, Simone erwog, den Burgherrn um Gnade für Dorran anzugehen, aber der Pfarrer riet ab. Es sei zu gefährlich, Hermann sei nicht zu trauen. Wer weiß, was ihm einfiel, wenn er Simone zu Gesicht bekäme.