Glanz und Elend der Friedrich - Wilhelms. Helmut H. Schulz
Brandenburg, dass dieser Kurfürst eines Tages ein Toleranzedikt, zwar nicht ideologisch-förmlich als eine Manifestation, aber via Praxis erlässt, was nun wieder Schwierigkeiten mit dem französischen Ludwig XIV., dem lieben Verwandten, bringen wird. Einige hunderttausend Flüchtlinge angeln die Agenten des Großen Kurfürsten an den Grenzen Brandenburgs, rüsten sie mit Geld aus, leiten sie weiter, keine Schwachköpfe und Sozialfälle, sondern selbstbewusste Leute, trefflich ausgebildete Handwerker, Manufakturisten, Apotheker, Drucker, Gärtner; am Ende ist jeder fünfte Brandenburger ein Franzos mit juristischen wie konfessionellen Sonderrechten, eine unter sich lebende und üppig gedeihende hochprivilegierte Überklasse, deren Integration Jahrhunderte gedauert hat ...
Für jetzt, fällt dem Kurfürsten bei dieser Kindstaufe ein, wäre es schön, erst einmal die viehische Soldateska des lieben schwedischen Verwandten und ideologischen Verbündeten in Sachen christlicher Kirche aus Brandenburg, Pommern und Polen vertreiben zu dürfen. Dieser ewige Krieg könnte dahin führen, dass man zwar über eine protestantisch -kalvinistische Welt herrscht, die einer trostlosen Schädelstätte gleicht, auf der nur noch die Raben krächzen.
Diese Art Gedanken, Erinnerungen, Projekte und Hoffnungen mögen den Vater des künftigen Königs in Preußen, vorläufig nur ein kleiner Hosenscheißer, bewegt haben. Leider dürfen wir dieser prächtigen Figur der brandenburgisch-preußischen Geschichte, dürfen wir dieses Großen Kurfürsten nur noch am Rande gedenken. Andreas Schlüter, der Türme baute, die sich der sumpfigen berlinischen Niederung nicht gewachsen zeigten und umfielen, hat ein Standbild des Kurfürsten gemacht und sich bei dieser Gelegenheit ein Urteil über den Mann gebildet. Ein Urteil über den Gatten hatte sich auch die gütige, warmherzige Luise Henriette längst gebildet. Wer meint, es habe sich um eine rein dynastische Allianz gehandelt, als der junge Mann diese Luise heiratete, der verkennt den Charakter dieses Hauptkerls, dem das Wichtigste an seiner Frau das Weib gewesen sein muss, nach allem, was über diese beiden bekannt wurde. Sie gebar ihm Kinder, wie wir sahen, oder vielmehr lasen, sie ging bei Gelegenheit auf den jähzornigen, wankelmütigen und oft schwachen Mann und Gatten entschieden zu rabiat los, da sie selbst einen starken Willen besaß. Jetzt schreiben wir ab, was aus anderer Quelle, die auch nicht klarer ist als unsere Phantasie, geschöpft wird. „Beherrschen Sie sich, Madame!“, soll der Kurfürst aus Anlass einer handgreiflichen Ehekrise geschrien und seinen Hut zu Boden geworfen haben. Da mag seine Gattin gelächelt haben; denn überzeugend war der Große Kurfürst in diesem Falle nicht. Die Empfehlung, beherrschter zu sein, als er selbst es war, schmeckt nach Rückzug, obgleich der harsche Ton gebieterisch, aber auch nach Ritterlichkeit klingt. Nein, es muss eine gute Ehe gewesen sein, und der Kurfürst war tief unglücklich über den Verlust seiner klugen Frau und Geliebten, die ihn häufig genug auf seinen beschwerlichen Feldzügen begleitete, die ihn beriet und pflegte, denn der robust aussehende, starke Mann mit der gewaltigen Hakennase im Gesicht und der ungeheuren Allongeperücke, wie sie damals in Mode kam, war nicht eben kerngesund. Schlüter jedenfalls fand dennoch, dass der Große Kurfürst vorteilhaft neben dem kleinen dicken Schwedenkönig aussah. Die übrige politische Welt hielt von diesem Mann gar nichts; sie fand, er sei nicht nur wankelmütig, sondern wortbrüchig, was ohne Zweifel zutrifft, wie die anderen, seine Gegenspieler, böse, gewalttätig und noch treuloser gewesen sind.
DER ERBPRINZ
Friedrich war ein Sorgenkind. Infolge eines Sturzes vom Sitz eines Wagens hatte sich der Kleine die Wirbelsäule schwer verletzt. Offenbar wurde die Gefährlichkeit dieser Erkrankung nicht oder zu spät erkannt. Die Knochen waren weitergewachsen; das Kind litt unter ständigen Schmerzen, und zuletzt war der Rücken des künftigen Kurfürsten verwachsen, zu Deutsch, es hatte sich ein Buckel gebildet. Überdies litt der Prinz an Atembeschwerden, asthmatischer Art wahrscheinlich, die sich bis zu Erstickungsanfällen steigern konnten. Ob die Missbildung der Füße, die beim Gehen und Stehen nach innen gerichtet waren, als eine Folge der Rückenverletzung anzusehen ist und zu Haltungsfehlern führte, kann nur vermutet werden. Eine zärtlich besorgte Mutter und Großmutter ließen nichts unversucht, um diesem leidenden Kind zu helfen. An sich war die Orthopädie gegenüber den anderen Bereichen der Medizin, etwa der Inneren, durchaus entwickelt. Die Kriege hatten sicherlich mitgeholfen, dem Wundarzt Einblicke in die Lage der Knochen des menschlichen Skeletts zu verschaffen. Verschiedene Hilfsmittel waren ebenfalls schon bekannt. Korsetts wurden aus Fischbein, aus Metallstangen, Stoff und Leder verfertigt, Krücken konnten gemacht werden. Fritz wurde also zahlreichen Ärzten vorgestellt; endlos weite und anstrengende Reisen unternahmen die beiden Frauen mit dem Kind, vergeblich, bis sie an den berühmten Orthopäden Schot gerieten. Dem gelang es immerhin, die Fußstellung des Kindes so weit zu verbessern, dass es wenigstens richtig gehen konnte. Ergrimmt nannte die Großmutter Friedrichs alle diese Ärzte in Kassel, Kleve, Utrecht, die nacheinander konsultiert worden waren, bloß Quacksalber und Pfuscher. Indessen verstand es der Arzt Fay, eine weitere Koryphäe, schließlich sogar den Buckel zu mindern, jedenfalls durch komplexe Behandlung, orthopädische Gymnastik und die Verbesserung des allgemeinen Zustands des Jungen. Es muss gesagt werden, dass Erziehung und Fürsorge für die Kinder nicht bloß in Fürstenhäusern miserabel gewesen sind. Auch die Kindersterblichkeit war verzweifelt hoch. Luise, die Mutter Friedrichs, wurde, vielleicht durch den Verlust ihres ersten Kindes, zu einer überängstlichen Sorge veranlasst. Immerhin, was für den Sohn getan werden konnte, das wurde getan.
Die ersten Lebensjahre verbrachte ihr Kronsohn unter ihren Fittichen, entweder in Königsberg oder zu Cölln, dem Berliner Schloss, das der Kurfürst um die Mitte der vierziger Jahre in einem jämmerlichen Zustand vorgefunden hatte, wie wir bereits lasen, oder auf Reisen. Viel dürfte sich zwischen 1537 und 1657 an der kurfürstlichen Residenz nicht gebessert haben. Der Dreißigjährige Krieg - er war 1648 zu Ende gegangen, der Kurfürst hatte den Friedensschluss achtundzwanzigjährig erlebt - und die mühseligen Jahre der Regentschaft des Großvaters waren nicht eben dazu angetan, die kulturellen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für das Aufblühen Kurbrandenburgs zu verbessern. Die Jahreszahl 1537 kommt nicht zufällig hier herein; denn uns liegt eine fabelhafte Überlieferung darüber vor, wie es im Schloss zu Cölln zuging. Damals wie heute spielen sich wichtige öffentliche Dinge oft genug beim Essen ab; solche Treffen nennt man deshalb auch Arbeitsessen, weshalb sie der brave Bürger steuerlich absetzen darf. Seinerzeit rief ein Signal, Trompete, Fanfare, Posaune, was auch immer, die Fresser und Säufer, die keine Abgaben kannten und überhaupt nichts freiwillig hergaben, zu Tisch in den Rittersaal des Schlosses. Dort nahmen die Herrschaften entsprechend ihrem Rang an gesonderten Tischen die Mahlzeit ein; Räte, Edelmänner und sogenannte Einrösser, also der märkischen Ritterschaft (ein in sich gegliederter Stand unterschiedlichster Ränge selbst halber und gevierteilter Rösser) angehörende Personen, bekamen die ihnen zukommenden Plätze zugewiesen. Dann wurden alle Türen verschlossen, um das Abschleppen, also das Stehlen von Esswaren und Getränken vom Herrentische, zu erschweren. Wein- und Bierkeller wurden ohnedies immer verschlossen gehalten. Beim Verlassen des Saales konnte ein jeglicher bequem kontrolliert werden. Dem Gelage stand ein sogenannter Marschalk vor, der nicht nur das Auf- und Abtragen der Speisen und Getränke überwachte, sondern auch auf Zucht und Sitte bei Tische achtete, was offenbar nötig. Noch zu Joachims Zeiten war die märkische Ritterschaft nicht in der Lage gewesen, einen Protokollführer zu stellen, weil keiner von ihnen des Schreibens kundig sei, wie der Kurfürst zu wissen bekam. Nach dem Essen durften sich die Herren ins Frauenzimmer zurückziehen; daher der keineswegs abwertende Ausdruck für eine Frau schlechthin. Dort saßen denn die Jungfrauen in einer Reihe den Herren gegenüber, weil das Sitzen zu zweit nicht gestattet war. Mit Recht. Wir bestätigen; es kommt nichts dabei raus, wenn jugendliche Frauenzimmer und Herren zu dicht beieinander sitzen. Da springt allzu leicht der Funke in die entflammbaren jungen Herzen, und niemand weiß, wie die Glut gelöscht werden kann. Dass nichts passierte, dafür sorgte eine Hofbeamtin. die Hofmeisterin, und um zwanzig Uhr war es ohnehin Zappen duster und Schlafenszeit. Nun ist es allerdings zu befürchten, dass die Kammern der Jungfrauen belebter waren, als sich die Hofmeisterin träumen ließ, denn das Zeitalter war sinnenfreudig gestimmt, katholisch, kalvinistisch oder alt-lutherisch, wie auch immer, davon überzeugt, es stünde am besten mit einem, wenn man genieße, was einem gegeben... Zu Bett zu Bett, wer eine hat, wer keine hat muß auch zu Bett, sangen die kleinen und großen Kinder. Alle Feuer und Lichter im Schlosse wurden gelöscht, die Tore gänzlich