Glanz und Elend der Friedrich - Wilhelms. Helmut H. Schulz
haben, schon deshalb nicht, weil Luise Henriette eine fromme, und das heißt eine strenge Kalvinistin war, in diesem Punkt hatten die beiden Gatten keinerlei Meinungsverschiedenheiten. Für den Prinzen wird diese Hausordnung, mag sie nun schon etwas gelockerter gewesen sein oder den höfischeren Zug angenommen haben, keine Bedeutung gehabt haben. Er hätte auch ohne Hofordnung zu Bett und mit den Hühnern schlafen gehen müssen, sozusagen. Luise Henriette, die oranische Prinzessin, war, so scheint es, ihrem sozialen Erbe nach weit eher den bürgerlichen Traditionen der Niederlande verbunden als eine Prinzessin neuerer höfischer Observanz. Das Dasein der damaligen Fürsten der Zeit unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Krieg war im ganzen gesehen barock und erfreulich lebensnah, grobianisch, liest man im Simplizissimus, geschrieben von einem, der gut Bescheid damit wusste, Grimmelshausen. Zuletzt riet er uns allen zur Askese. Gleichviel, man rieb sich noch an der Erde wie am Leben. Jedenfalls hätten wir der Mutter des kleinen Erbprinzen Friedrich ohne Bedenken unser eigenes krankes Kind anvertrauen können. Von der Geburt ihres Fritzchens an gerechnet, hatte diese Frau nur noch zehn Jahre zu leben, die ausgefüllt gewesen sind mit Kinder pflegen und Kinder gebären, mit Reisen und Sorgen um das Glück ihrer Familie. Die Schwindsucht brach aus, vergeblich fuhr die Kurfürstin ihrer schwachen Lungen wegen zu Kuren nach Aachen und Spa; sie wollte leben, leben. Sie beobachtete, wie sich der Prinz fleißig darin übte, die Rolle eines Fürsten zu spielen. Er verkleidete sich gern, ließ sich als Prinz von Halberstadt anreden und stiftete im Alter von neun Jahren selbstbewusst einen Ritterorden, den Orden de La generosite. So weit weg von der großen Welt war der Berliner Hof nicht, dass die Kunde von diesem eigenartigen jungen Mann nicht bis nach England, eine der Seemächte, und anderswohin gedrungen wäre. Flugs ernannten ihn die Dänen und die Söhne Albions zum Ehrenmitglied ihrer eigenen verspielten Orden, des Hosenband-, des Elefantenordens.
Dieser verwöhnte und verzärtelte Muttersohn, dieser schwächlich-kranke Knabe, der so völlig anders war als sein nur wenig älterer, kräftiger und kerngesunder Bruder, hatte gleichwohl in dieser Zeit die ganze Liebe seines Vaters, des Kurfürsten. Wie auch sein Bruder Karl Emil, durfte er den Papa auf Jagden und ins Feldlager begleiten, auf wilden Pferden reiten, ohne solche Exzesse sonderlich zu lieben, durfte mit dem Schwert fechten, ohne den Ehrgeiz, ein Prinz Eugen von Savoyen zu werden, und lernte den Umgang mit Blei und Büchse. Nicht einmal den Tanz soll Friedrich sonderlich geliebt haben, und der Tanz war als Abendvergnügen bei Hofe damals ausgesprochen beliebt; vielleicht hinderte ihn sein misslich gestalteter Körper daran, solche Unterhaltung zu genießen. Der Kurfürst war, wie alle cholerischen bis sanguinischen Naturen, wechselnd großmütig und kleinlich, konnte sanft sein wie eine Taube und brüllen wie ein Löwe, sich wie ein biederer Hausvater aufführen, zusammen mit Frau und Kindern auf Kleinstadtmärkten herum streifen und die Dreistigkeiten der Leute anhören, einkaufen, mit den Jungen spielen und sich andererseits bis zur Weißglut über einen Dreck aufregen. Mochte der Große Kurfürst auch manch einen störrischen Esel von Untertanen oder albernen Dummkopf von Rat aufbrausend rüffeln, seinen Kindern gegenüber war er nachsichtig oder zeigte sogar eine bemerkenswerte Feinfühligkeit, wenn es um die Erziehung der Knaben ging. Karl Emil wollte sich mehr in Richtung eines Taugenichts entwickeln, aber der spätere Erbprinz widmete sich mit Leidenschaft seinen zunächst noch spielerischen Studien, seinen Entwürfen am Zeichenbrett, übte sich in der Musik, er erlernte, wie sein Nachfahre und Enkel, das Flötenspiel und traktierte, wie seine spätere Gemahlin, heftig das Klavichord. Soweit sind wir aber noch nicht.
EBERHARD VON DANCKELMANN
Unversehens war die Frage an das Elternpaar herangetreten, wie sollen die beiden Knaben erzogen, wie und von wem unterrichtet werden? An sich ist es schon auffallend, dass es der Kurfürst überhaupt für notwendig hielt, seinen Sprösslingen so etwas wie eine wissenschaftliche Ausbildung angedeihen zu lassen. Kurfürst wäre der eine oder der andere ja ohnehin geworden. Militärisches hätte sie das kriegerische Dasein der Fürsten seiner Zeit mehr oder minder ohnehin gelehrt; denn der Krieg war die Regel, Frieden die Ausnahme, wenn auch nicht alle Tage Schlachten geschlagen wurden. Die Verwaltung lag in Händen spezieller Berater, aber die Zeiten hatten sich geändert, alles schien komplizierter geworden, und ein Fürst musste offenbar in Zukunft mehr können, als seinen Namen unter ein Schriftstück setzen, das ihm seine Räte vorlegten. Kurzum, dem Kurfürsten war klar, dass es mit einer waldursprünglichen Erziehung nicht mehr lange gut ginge. Das Elternpaar hielt Rat. Als Hofmeister, also Erzieher, bot sich Otto von Schwerin an, ein bewährter altgedienter Mann. Falls der Kurfürst einen anderen im Sinne gehabt haben sollte, so setzte sich seine Gemahlin gegen ihn durch, obschon auch der Kurfürst Schwerin gut genug kannte. Der damals zweiundvierzigjährige Otto diente ihm als Minister und Präsident des sogenannten Geheimen Rates. Diesem Mann war Karl Emil seit seinem sechsten Lebensjahr anvertraut worden. Otto war eigentlich Lutheraner. Als Konvertit und nunmehriger Kalvinist genoss er das Vertrauen Luises vollständig, weil sein Glaubenseifer sie absolut überzeugte, wie alle Seitenwechsler den Brustton der Überzeugung haben, der einen hohlen Klang macht, wie Schnitzler seinen Minister in Professor Bernardi sagen lässt. Indessen machte Otto keineswegs nur einen hohlen Klang. Er übernahm mit wahrer Hingabe das Amt, sowohl den Karl Emil, als auch den Friedrich zu wahren Christen, das heißt zu Kalvinisten, zu vorbildlichen Kurfürsten und Menschen zu bilden. Nicht nur, dass er den Unterricht der Kinder leitete und beaufsichtigte, er pflegte auch die Mahlzeiten mit ihnen einzunehmen und die Schlafkammer zu teilen. War Otto ein kluger und gutmütiger und rechtschaffen ambitionsloser Trottel, so lässt sich von seinem Gehilfen Eberhard von Danckelmann einiges mehr mitteilen. Neben seiner Intelligenz besaß dieser Danckelmann, bei dem wir uns etwas länger aufhalten werden, weil er einen bedeutenden Einfluss auf Friedrich ausgeübt hat, leider etliche dunklere Charakterseiten. Der Vater Eberhards hatte an den Friedensverhandlungen in Westfalen teilgenommen, und zwar als Jurist, also als Staats- oder Völkerrechtler. Eberhard war das vierte von dreizehn Kindern dieses trefflichen Menschen und eines der so häufigen Wunderkinder. Er geigte zwar nicht mit vier Jahren, er spielte auch nicht mit sechs Klavier oder dirigierte mit acht die 9. Symphonie Beethovens, die noch gar nicht geschrieben war, nein, das alles tat er nicht, aber er legte doch immerhin mit zwölf Jahren ein juristisches Examen ab. Besorgte Eltern tun manchmal alles, um ihren Kindern das Beste an Erziehung angedeihen zu lassen, wessen sie habhaft werden können. Der Kolporteur dieses Buches über alle Friedriche und Wilhelme der Welt, soweit sie preußisch waren, bekennt freimütig, er hätte es sich wohl überlegt, seinem Sohn diesen vorzüglichen Eberhard aufzuhalsen, was nicht mehr ist als ein Vorurteil. Denn: Eberhard war nämlich schon weit gereist, er kannte die Niederlande, die fetten, wohlhabenden, die reichen flämischen Provinzen, er kannte das vornehme Frankreich der enormen Perücken, der seidenen, brokatenen, samtenen und goldbestickten Schlaf- und Staatsröcke wie die unbeschwerte gallische Lebensweise. Er hatte sich in dem nüchternen, trockenen England aufgehalten und auch in Italien. Das hob ihn heraus, denn Reisen bildet. Dieser Danckelmann ist im Übrigen eine wirklich interessante Figur, eine der interessantesten am Berliner Hof, wenn auch eine finstere, und es spricht für die Geschicklichkeit wie die Selbstsicherheit dieses Erziehers, sich augenblicklich die Zuneigung des kleinen Fritz gesichert zu haben, wo selbst Mutter und Großmutter alsbald in der Beurteilung seines Charakters erheblich zurückhaltender wurden. Ehe wir diese Jahre Friedrichs näher betrachten, werfen wir noch einen Blick auf die unglaubliche Karriere dieses Danckelmann.
Durch die Staats- oder Verwaltungsreform von 1651 war dieser Mann in seine alles beherrschende Stellung gelangt. Der Geheime Rat, ein Regierungsinstrument des Kurfürsten, wurde in seinen Händen zum Kontrollinstrument der Länder des Kurfürstentums. Alle Direktoren der Verwaltungsdepartements Brandenburgs und Preußens sowie der kleineren Gebiete gehörten dem Geheimen Rat automatisch an. Erst das Generaldirektorium, unter dem Enkel des Großen Kurfürsten, Wilhelm I., 1723 gebildet, löste diese geheime Kammer ab. Danckelmann sammelte alle exekutive Macht unter das Dach dieses zentralen Rates. Die Departements wurden zahlreicher und ihre Interna unübersichtlicher. Die Departements, die Regierungsbezirke,