Kampf um Katinka. Thomas Pfanner

Kampf um Katinka - Thomas Pfanner


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das Sinnvolle vom Unwichtigen zu unterscheiden, die Fakten zu bewerten, sich gleichzeitig Gedanken zu machen, einen Plan zu fassen und ihn den Soldaten mitzuteilen, während gleichzeitig der Strom an neuen Informationen nicht abriss. Erstaunlich viele Menschen vermochten eine derartige Situation für eine kurze Zeit zu bewältigen, für eine für ein Gefecht wesentlich zu knappe Zeit. Bereits nach etwa dreißig Sekunden begannen die Fehler, die ersten wichtigen Informationen gingen unbeachtet durch, der Stress stieg unaufhörlich, die Konzentration ließ in der Form nach, dass sich die Aufmerksamkeit auf immer weniger Details richten ließ. In der Folge stieg die Fehlerquote rapide an, solange, bis sich die Delinquenten entnervt abwandten und flohen. Im Ergebnis schafften es nur äußerst wenige Rekruten, die Anforderungstests zur Gefechtsfeldleitung zu bestehen. Der riesige Major war der beste Absolvent, den Katinka je hervorgebracht hatte. Er war zu etwas fähig, was die Wissenschaftler „fraktionierte Schizophrenie“ nannten, er konnte sich verhalten wie mehrere Personen mit der entsprechenden Anzahl an Sinnesorganen, die Eindrücke jedoch wie ein Gesunder zentral und einheitlich auswerten.

      Wie ein in sich ruhender Guru marschierte Anheuser hinter seinem Trupp her, ein persönlicher Leibwächter ständig hinter ihm, nahm ungerührt die Meldungen und Schreie seiner Leute entgegen, besah sich die Bilder aus den Kameras und gab ruhig und knapp seine Befehle. Die Eroberung des Schiffes verlief wie erwartet. Die Abwehr des Gegners konzentrierte sich auf die Region um das Loch, welches von der Enterrakete aufgerissen worden war. Die sich entwickelnden Kämpfe dort gaben dem Major wichtige Hinweise. So versuchten die Verteidiger, den Weg vom Loch zur Zentrale zu blockieren und die Angreifer zum Heck hin abzudrängen. Befriedigt nahm der Füsilier eine geistige Notiz in sein Gedächtnis auf, offenbar befand sich das für diese Leute Wichtige tatsächlich in der Zentrale. Zuerst jedoch teilte er seinen Trupp, schickte sechs Mann querab durchs Schiff. Die Füsiliere sollten nachschauen, was sich in der Gegend des Schiffes abspielte, in die der andere Stoßtrupp abgedrängt werden sollte.

      Die Männer und Frauen, die durch das Loch kamen, sollten viel Lärm machen, aber keinen Bodengewinn. In ihren nahezu unzerstörbaren Panzeranzügen waren sie den Verteidigern haushoch überlegen, da diese nur in normalen Vakuum-Anzügen steckten, mache nicht einmal das. Gleichwohl verfügten sie über großkalibrige Schnellfeuerwaffen und rückstoßfreie Kampfraketen. Letztere waren durchaus dazu geeignet, einen Füsilier in Schwierigkeiten zu bringen. Zwar bestand auch der Anzug eines Füsiliers zum überwiegenden Teil aus Cardonium, war also praktisch undurchdringlich. Das Risiko bestand jedoch gar nicht in der Möglichkeit einer Beschädigung der Ausrüstung. Es gab im Gefecht lediglich zwei Risiken. Erstens trug ein Raumlandesoldat aufgrund der besonderen Fähigkeiten seines Anzuges eine erstaunliche Menge an Waffen und Munition mit sich. Es konnte passieren, dass sich Teile davon im gegnerischen Feuerhagel entzündeten. Zweitens war da die Beschleunigung. Egal, ob sich eigene Munition entzündete, oder ein Gegner einfach eine genügende Menge Sprengstoff in unmittelbarer Nähe des Anzugs zur Explosion bringen konnte, durch den Druck der Detonation wurde eine Beschleunigung auf den Anzug und damit auch auf den Mann im Inneren ausgeübt. Die Anzüge verfügten nicht über einen Trägheitsnegator, der exorbitante Energieverbrauch ließ es nicht zu. So schlug sich der Druck der Explosion in ein Bewegungsmoment nieder, das ohne Weiteres bis über vierzig g hinausgehen konnte. Die vierzigfache Beschleunigung war das Allerhöchste, was ein Mensch über eine Sekunde aushalten konnte, höhere Andruckwerte führten dazu, dass Adern von den Organen abrissen und weitere, noch unappetitlichere Dinge im Körper geschahen. Verkompliziert wurden die Risiken, wenn diese Dinge in geschlossenen Räumen stattfanden, und ein Raumschiff bestand definitiv aus geschlossenen Räumen. Der durch die Explosion weggeschleuderte Füsilier wurde nämlich zwangsläufig an die nächste Wand geschleudert und erlebte dort die zweite Beschleunigungskatastrophe, dieses Mal mit entgegengesetztem Vektor. Im Prinzip wurde der Füsilier mithin einem Vorgang unterworfen, der in fataler Weise einem Verkehrsunfall ohne jede Knautschzone entsprach.

      In einem normalen Kampf sollten derlei Risiken keine Rolle spielen, die Ausbildung war hart bis an die Grenze zu Brutalität und jeder Füsilier war darauf trainiert, seine Überlebensinstinkte auszuschalten. Die Erfahrung aus den Kämpfen der letzten Jahre sah hingegen ein wenig anders aus. Adlige Frontoffiziere zeichnete ein gewisses Maß an… Vorsicht aus. Üblicherweise vermieden sie es, Mann-gegen-Mann-Situationen heraufzubeschwören. Lieber begnügte man sich mit dem gegenseitigen Zuwerfen von Bomben, dem aufstellen von Sprengfallen und ganz allgemein einem Hang zu taktischem Geschiebe in der Form, lieber ein allgemeines Gerenne zum Zwecke des kampflosen Überholens zu veranstalten, als sich echter körperlicher Auseinandersetzung zu stellen. Die Füsiliere von Katinka waren da anders gestrickt, was den Verteidigern der Saskia offenbar nicht bekannt war. Mit Freuden ließ man sich auf ein Geplänkel ein, mit wenig Feuer und Qualm entwickelte sich ein Bewegungskampf, in dessen Verlauf die Zentrale immer mehr in die Ferne rückte. Für die Verteidiger schien alles normal zu verlaufen, die Vorgehensweise entsprach dem der üblicherweise anzutreffenden kaiserlichen Füsiliere. Anheuser marschierte mit acht Mann in Richtung Zentrale und begegnete keiner Menschenseele. Damit galt sein Plan schon jetzt als gelungen. Moderne Raumschiffe kamen mit sehr wenig Personal aus, dies galt ganz besonders für eine kleine Jacht. Sicher, die Maschinen gerieten unvergleichlich gewaltig, doch machte die Größe keinen Unterschied in Bezug auf die Personalstärke. Ob ein Fusionsmeiler das Format einer Handtasche hatte oder den Umfang einer mittleren Fabrik, das Wirkprinzip blieb ebenso gleich wie der Grad der Automatisierung. Eine Jacht benötigte im Prinzip nur drei Mann, die sich im Schichtbetrieb im Sessel des Piloten abwechselten und einige weitere Besatzungsmitglieder, die sich um die Aggregate kümmerten. Natürlich würde im Krisenfall, wenn auf dem Maschinendeck ein schwerwiegendes Problem oder gar ein Unfall auftrat, der Bedarf an Personal sprunghaft in die Höhe schnellen. Dieses zusätzliche Personal vorzuhalten unterblieb aber in der Regel sogar auf Kriegsschiffen. Zum einen gab es die benötigte Anzahl an qualifiziertem Personal gar nicht, zum anderen konnten noch so viele Mannschaften nicht sehr viel gegen einen durchgehenden Meiler oder ähnliches unternehmen. Um es auf einen Nenner zu bringen: Die aktuell verwendete Technikplattform war einerseits wenig anfällig für Fehler, verzieh Fehler aber andererseits ganz schlecht.

      »Bombe!«

      Anheuser befahl sofort für alle Trupps vollen Halt. Das bedeutete für die Ablenkungseinheit verstärkte Kampftätigkeit, aber das war ihm egal. Der Warnruf war von Sergeant Watkins gekommen, der den Suchtrupp leitete. Dessen Soldaten hatten querab nachgeschaut, weshalb eigentlich der Trupp vom Loch in diese Region abgedrängt werden sollte. Er hatte die Lösung gefunden. Für normale Sprengfallen verwendeten die Füsiliere das Codewort Granate. Bombe war für ernsthaftere Installationen reserviert. Anheuser vergrößerte einen Teil seines Displays und sah nun, was Watkins sah. Dessen Anzug verfügte über ein Endoskop, ein ausfahrbarer flexibler Schlauch mit Kamera, mit dem er um Ecken sehen konnte. Seine Leute befanden sich hinter ihm in Wartestellung. Das Bild des Endoskops zeigte die Notzentrale des Maschinendecks. Diese musste aufgrund gesetzlicher Vorgaben und praktischer Gründe auf jedem Schiff vorhanden sein. Für den Fall eines Totalausfalls der Brücke existierte auf dem Maschinendeck auf diese Weise eine Miniaturausgabe des Befehlsstandes, mit der ein Heimflug im beschädigten Zustand bewerkstelligt werden konnte. Die Notzentrale stellte wirklich nur einen absoluten Notbehelf dar, es gab noch nicht einmal eine feste Wand. Zwischen den beiden Fusionsmeilern und den Hauptabnehmern der Energie, dem Ionenhammer und dem Trägheitsnegator, musste die Energie mit dicken Leitungen transportiert werden. An Abnehmern und Erzeuger waren sogenannte Plasmakupplungen angeflanscht, die, ähnlich dem Prinzip der Überlandleitungen für Strom, die Energie transportabel machten. Zwischen den Kupplungen floss glühendes Canton-2-4-Plasma in dicken Rohren. Der Raum zwischen den Aggregaten war angefüllt mit diesen Rohren, ließ aber noch Raum für weitere Installationen.

      Im Falle der Saskia waren die Rohre unter der Decke verlegt, sodass ein annähernd runder Platz von vielleicht acht Metern Durchmesser frei blieb, um am Boden die Notzentrale einzubauen. Die Geräte und Stühle dieser Zentrale standen allerdings frei im Raum, wie ein halbwegs geordnetes Möbellager. Keine Trennwände, kein Schott, kein Lärmschutz. Und laut war es an diesem Ort zweifellos. Plasmakupplungen jaulten gemeinhin ganz jämmerlich, die Leitungen ließen stets ein tiefes Sausen ertönen, insgesamt herrschte eine Geräuschkulisse, die der in einem Klimabetriebsraum eines Hochhauses sehr ähnlich war, nur lauter und intensiver.

      Das alles


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