Kampf um Katinka. Thomas Pfanner

Kampf um Katinka - Thomas Pfanner


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umgeschaltet. Gravitationsnegator zeigt grün. Manövrierdüsen ausgefahren. Schwenke auf neuen Vektor ... jetzt.«

      Das Schiff bewegte sich bei ausgeschaltetem Hauptantrieb mit etwa der gleichen Geschwindigkeit durchs All, mit der es zuvor in die Raumkrümmung gegangen war. Der Unterschied zwischen vorher und nachher bestand in kaum achtzig Metern pro Sekunde, eben jener Unterschied, der durch den gerade erfolgten Beschleunigungsstoß bewirkt worden war. Niemand wusste um die Gründe, wie man überhaupt wenig über die Gesetzmäßigkeiten der List wusste, die man Raumkrümmung nannte und die eine Art überlichtschnelle Fortbewegung ermöglichte, eine mit Haken und Ösen, aber immerhin in gewissen Grenzen berechenbar. Da der Hyperspleiß nur dann den Weg zwischen zwei Orten über große Distanz zu einer sehr viel kleineren Distanz krümmen konnte, wenn sich sowohl an beiden Orten als auch auf der kompletten Strecke dazwischen absolut nichts befand, waren Raumschiffe gezwungen, ihre Flüge in mitunter zahlreiche Einzelschritte aufzuteilen. Wie beim Halma mussten immer wieder Richtungsänderungen im Normalraum vorgenommen werden, jedoch nicht, um Hindernisse zu überspringen, sondern um sie im Gegenteil zu umgehen. Erleichternd kam hinzu, dass der Bewegungsvektor im Normalraum keine Rolle spielte. Das Schiff musste lediglich akkurat in die neue Richtung gedreht werden, um die Nase und damit die Ausrichtung des Hyperspleiß auf das neue Etappenziel zu richten, dann wurde das Ziel auch mit absoluter Sicherheit erreicht.

      Sollte das Schiff dabei gleichzeitig querab treiben, so wirkte sich das in keiner Weise aus. Ein Vorhalteeffekt wie etwa bei der Beschießung eines Planeten aus einem vorbei fliegenden Raumschiff fand schlicht und einfach nicht statt. Aus diesem Grund brauchte die Pilotin nichts weiter zu tun, als den Rumpf mit den Steuerdüsen neu auszurichten. Das Haupttriebwerk blieb kalt, was auch gar nicht hinderlich war, benötigte man doch für die Krümmung des Raumes beinahe alle Energie, die sich auftreiben ließ.

      »Schiff dreht auf neuen Vektor alpha-zwo-zwo-unten. Hyperspleiß wird geladen mit dreiunddreißig Giga. Ladevorgang abgeschlossen in dreizehn Minuten, ab … jetzt.«

      Duda nickte beifällig und ließ seinen Blick über die Brücke wandern. Alles funktionierte perfekt, wie er es gewohnt war. Sie wären selbst dann das beste Schiff der Flotte gewesen, wenn der Fehlerquotient bei fünf Prozent gelegen hätte. Aber niemand an Bord begnügte sich damit, unter den Blinden der Einäugige zu sein. Um ihrer eigenen Sicherheit willen und wegen ihres ungebrochenen Stolzes strebten sie nach Perfektion. Laut Qualitätsprotokoll lagen sie zurzeit bei gerade Mal einer Fehlbedienung pro Jahr, aber sie arbeiteten daran.

      Dudas Blick blieb am Ortungspult hängen. Er kannte seine Leute und er konnte ihnen ansehen, wenn etwas Ungewöhnliches geschah. Die in dieser Schicht für Ortung und Kommunikation diensthabende Nagama Tai geriet plötzlich in Bewegung. Die große und dabei unglaubliche dünne junge Frau legte den Kopf schief, während ihre endlos langen Finger in rasender Hast über die Kontrollen flogen. Duda wartete den Moment ab, bis die große Frau bereit war, sich zu ihm zu wenden. Aus ihren Mandelaugen schaute die Verwirrung, als sie leise Meldung machte:

      »Ich empfange einen Notruf. Genau genommen ist es der Notruf der kaiserlichen Kurierjacht Saskia. Er lautet >Angehörige der kaiserlichen Familie unter Beschuss<. Das ist alles. Der Satz wird fortlaufend wiederholt. Nein, jetzt bricht das Signal gerade ab.«

      Duda runzelte die Stirn: »Kenn’ ich nicht.«

      Nazifa stand auf und ging zur Ortungszentrale, um Nagama zu unterstützen. Während sie dort zur Tat schritt, besprach diese den Fall weiter mit dem Zweiten Offizier.

      »Ich auch nicht. Und die Datenbank ebenfalls nicht. Es gibt überhaupt keine Kaiserliche Jacht „Saskia“, hat es auch nie gegeben. Eine verschollene Einheit kann es demzufolge nicht sein, abgesehen davon, dass auch von der Kaiserlichen Familie niemand verschollen ist. Im ersten Augenblick hätte ich an einen Scherz gedacht, jedoch existiert sehr wohl eine Jacht mit diesem Namen, nur eben keine kaiserliche.«

      Nagama zuckte mit den Achseln und schaute ihren Vorgesetzten Rat suchend an. Tadeusz Duda kratzte sich den kahlen Schädel und überlegte kurz. Seit Jahren hatte sich niemand mehr einen Scherz mit den Notfunkfrequenzen erlaubt, seitdem der letzte Spaßvogel von einem Schlachtkreuzer der Ordunesen vernichtet worden war. Allein schon deswegen gab es ganz sicher einen realen Hintergrund für den Notruf. Leider konnte er sich keinen Reim darauf zu machen.

      »Quelle des Notrufs erfasst. Wir könnten in vierzig Minuten dort sein. Ist nicht weit weg, noch in diesem Quadranten. Keine scharfen Emissionen, aber irgendetwas ist dort und erzeugt Energie. Meldung vom Teleskop kommt gleich rein.«

      Nazifas Meldung brachte etwas Sicherheit in Dudas Gedankenspiele. Was oder wer auch immer den Notruf abgesetzt hatte, trotz der durch die Grenzen der Lichtgeschwindigkeit mittlerweile verstrichenen Zeit seit Absetzen des Notrufes befand sich das Objekt noch an Ort und Stelle. Hieraus ergaben sich verschiedene Handlungsoptionen, deren Prüfung er gerne jemand anderem überlassen wollte.

      »Nagama, ruf den Skipper auf die Brücke.«

      *

      Das Büro des Großadmirals bot mit Sicherheit den schönsten Ausblick über das Rotsteingebirge. Wie der Name schon sagte, erhob sich ein buntes, aber stets ins Rote spielendes Sammelsurium gewaltiger, nackter Felsen bis auf über dreitausend Meter Höhe. Kleine Krönchen aus Schnee und Eis ließen sich ausmachen, die in der rötlichen Umgebung ebenfalls in dieser Farbe zu schimmern schienen. Im Grunde handelte es sich gar nicht um ein Gebirge, sondern um gigantische Findlinge, die zudem noch mindestens tausend Meter in den Erdboden hinein ragten, was der Stabilität sicherlich keinen Abbruch tat. Die kleine und im übrigen vom Kaiserlichen Sicherheits-Dienst streng verfolgte Gruppe der so genannten aufgeklärten Heiden verbreitete die Legende, der urzeitliche Besuch eines Riesenraumschiffes sei hierfür verantwortlich. Ein intergalaktischer Frachter mit den Ausmaßen eines Planetoiden hätte, bedingt durch einen Notfall, die sieben titanischen Blöcke fallen gelassen. Das Problem mit derartigen Theorien war immer, dass sie in sich schlüssig und nur schwer zu widerlegen waren, selbst wenn nichts daran sich eines Tages als wahr erweisen würde. Die chemische Zusammensetzung der roten Gesteinsmasse fand sich leider an keiner anderen Stelle von Horave wieder, außerdem blieb die Wissenschaft eine schlüssige Theorie für die natürliche Entstehung des Gebirges bis zum heutigen Tage schuldig. Unglücklicherweise passten die äußeren Zeichen unfassbar gut zur Theorie der Heiden. Die Eindringtiefe der Felsen in die Erdkruste entsprach genau einem Abwurf aus einhundertsiebzehn Kilometer Höhe, wobei dann noch zu klären wäre, warum um alles in der Welt ein Riesenraumschiff so nah an einen Planeten herangeht, nur um ohne jeden Sinn ein paar gigantische Felsbrocken abzuwerfen. Man hätte auch jede andere Höhe wählen können, vorzugsweise eine mit größerem Abstand zum Planeten, zum Beispiel, weil ein Riesenraumschiff ein so unfassbares Gewicht aufweist, dass es aufgrund der Anziehungskräfte ganz unzweifelhaft die Energie zweier Sonnen benötigt hätte, um sich wieder entfernen zu können.

      Der Großadmiral schüttelte die morbiden Gedanken von sich. Sein Büro maß an die zweihundert Quadratmeter, die Deckenhöhe betrug sechs Meter, befand sich in einem Erker an der Nord-West-Ecke im einhundertsten und damit höchsten Stockwerk des Flottenturms und war von drei Seiten vollständig verglast. Der Blick nach draußen zeichnete sich durch eine Klarheit und Plastizität aus, die einem Holo unangenehm nahe kam. Die Nebenwirkungen ließen sich in gleicher Weise verspüren, sodass sich der Großadmiral zum wiederholten Male fragte, welcher Teufel wohl den Architekten geritten hatte, als er ein solches Büro schuf, für Leute, die darauf trainiert waren, die meiste Zeit ihres Lebens nur bis zur nächsten Schiffswand zu blicken. Aber selbstverständlich wusste er um die wahren Gründe. Auf Horave umgaben sich die Behörden seit Anbeginn der Zeiten mit dem Odium der Unnahbarkeit und des Geheimen. Deshalb wurden Verwaltungsgebäude traditionell ohne Außenfenster gebaut. Niemand, keine Niederer, kein Bittsteller, noch nicht einmal ein Beamter aus einer anderen Behörde, sollte ungehindert in der Lage sein, einem Kaiserlichen Beamten über die Schulter zu schauen. Große Fenster waren ganz allgemein unüblich, der bevorzugte Baustil näherte sich seit Jahrhunderten immer mehr der Bunkerform an, bei beinahe ständig bestehendem Kriegszustand kein Wunder. Eine derartig offenherzige Fensterfront wirkte auf gewöhnliche Horaver ganz und gar schockierend und obszön. Die Admiralität hatte damals dieses Büro, und noch einige


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