Kampf um Katinka. Thomas Pfanner

Kampf um Katinka - Thomas Pfanner


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mehr als fünfzig Jahren war das Betreten dieses Raumes für Krethi und Plethi bei Todesstrafe untersagt. Mithin war die Fensterfront in ihrer Funktion als Furcht einflößende Machtdemonstration für Bittsteller niederer Herkunft überflüssig geworden. Die ständig schärfer werdenden Sicherheitsmaßnahmen des KSD verhinderten mittlerweile jeglichen Kontakt zwischen Offizieren und Gemeinen, sofern sie nicht einem Offizier gehörten.

      Ein leiser melodischer Gong hallte durch das Büro, gefolgt von der respektvollen körperlosen Stimme des Büroleiters: »Ihro Gnaden, Eure hochwohlgeborenen Gäste sind soeben eingetroffen.«

      Der Großadmiral seufzte unhörbar und wandte sich vom Fenster ab.

      »Ich lasse bitten. Tee für alle.«

      »Sehr wohl, Ihro Gnaden.«

      Ein leises Knacken ertönte, nicht aus technischen Gründen, sondern um aus Gründen der Etikette deutlich anzuzeigen, dass der Büroleiter nicht mehr mithörte. Es gab zu diesem riesenhaften Büro nur zwei Zugänge, beide dicht nebeneinander. Dies war nichts Ungewöhnliches, alle offiziellen Räume und alle Privaträume der Edlen des Landes verfügten über zwei Türen. Meist, wie in diesem Falle, führten beide Türen in dasselbe Zimmer. Just in diesem Augenblick wurde die rechte Tür von unbekannter Hand aufgerissen und seine beiden Gäste traten gemessenen Schrittes ein. Sie benötigten einige Zeit, um den Raum mit hallenden Schritten zu durchqueren. Der Großadmiral nutze dies, um seinen auch nicht eben kleinen Schreibtisch zu umrunden und den kurzen Weg zu einem zierlichen, runden Teetisch zurückzulegen, wo er seinen Gästen mit freundlichem Lächeln die Hand reichen und einen Sitzplatz anbieten konnte. Nachdem er sich selbst zu ihnen gesetzt hatte, schloss sich die rechte Tür, die linke Tür öffnete sich im gleichen Moment und drei hagere Männer in der Uniform der Prätorianer traten im Gleichschritt hindurch. Während die Prätorianer herankamen und ein jeder einen Edlen mit Tee, Gebäck und weiteren Utensilien bedachte, musterte der Großadmiral seine Gäste.

      Nicht, dass an ihnen etwas unbekannt gewesen wäre. Die beiden trafen sich jeden ersten Tag der Woche bei ihm zu etwas, was sie taktische Abstimmung nannten.

      Der eine, Reichsprotektor Stephan Kardinal Attacant, sah genau so aus, wie sich das gemeine Volk seit Äonen einen Würdenträger der Erleuchteten Kirche vorstellte. Während der Großadmiral im Grund über einen schlanken Körperbau verfügte, der lediglich durch einen recht großen Bauch, der wie ein auf den Rumpf draufgeschraubter halber Prellball wirkte, verunstaltet wurde, war der Kardinal an jeder einzelnen Körperstelle fett. Bei einer Körpergröße von fast einsneunzig besaß der Mann einen Körperbau, der in frappierender Weise an ein Steckmännchen erinnerte: Eine Bauernnuss als Kopf, eine um etliches größere Gantanuss als Körper, zwei Sapara-Stangen als Beine. Und zwischen den Stangen nichts weiter, fügte der Großadmiral boshaft hinzu. Ein Kirchenfürst hielt sich üblicherweise einen ganzen Stall von Soziolatricen, um mittels der richtigen Mischung aus Erholung und Anstrengung den Körper in geeigneter Weise zu formen, da galt es als wahrhaft leuchtendes Zeichen, wenn sich ein derart Privilegierter lieber den kulinarischen Genüssen zuwandte. Immerhin sollte man dem Kardinal zugutehalten, seiner alternativen Methode der Vergnügung mit absolut vergleichbarer Hingabe nachzugehen. Der Reichsprotektor verkörperte die zivile Regierung des Reiches, das Sprachrohr der Kaiserin. Er verkündete die neuen Gesetze, die Anweisungen der Kaiserin an die Behörden, und, nicht zuletzt, die Kriegserklärungen, vorzugsweise kurz nach dem ersten Schuss. Die Regierung bestand im Wesentlichen aus einer, eben seiner Person, alle anderen Mitglieder der Regierung waren nichts anderes als Untergebene. Technisch gesehen traf dies auch auf den zweiten Besucher zu.

      Der Sicherheitsdirektor Vladimir Baron Taragona fungierte als Chef des KSD, des Kaiserlichen Sicherheits-Dienstes, eine Spitzel-Krake, die sich beinahe ausschließlich auf die Kontrolle und Ausforschung der eigenen Leute beschränkte. Seit Jahrhunderten hielt der KSD den Pöbel in eiserner Umklammerung, um jede defätistische Regung bereits während der Entstehungsphase zu unterdrücken, aber erst der Baron hatte eine Kunst daraus gemacht. Indem er seinen Dienst in mehrere völlig unabhängige Abteilungen aufspaltete, wurde er in die Lage versetzt, seinen Untergebenen dabei zuzusehen, wie sie sich gegenseitig ausspionierten. Womit nun auch innerhalb des Sicherheitsdienstes für Ruhe gesorgt war. Der Baron war für sein eisernes Regime bekannt, Mitgefühl oder Skrupel konnte man ihm beim besten Willen nicht unterstellen. Glücklicherweise sah man ihm seine Eiseskälte zu jedem Zeitpunkt von Ferne an. Böse Zungen behaupteten, der Gesichtsausdruck des Sicherheitsdirektors gleiche aufs Haar den bedauernswerten Noca-Süchtigen, bei denen die Droge zu Darmlähmungen führte und die armen Menschen in der Folge einen verkniffenen Gesichtsausdruck an den Tag legten, der überdeutlich anzeigte, wie sehr sie darunter litten, seit einer Woche oder länger nicht mehr Stuhlgang gehabt zu haben. Zwar waren die Besitzer der bösen Zungen gefunden und liquidiert worden, dennoch hatte sich das einmal in die Welt gebrachte Gerücht wie ein Lauffeuer verbreitet. Zu den verkniffenen Zügen gesellte sich beim KSD-Chef ein tödlich kalter Blick, absolut mitleidlos und hart, sodass sein Gesicht als eine seiner besten Waffen galt. Manch ein armer Wurm hatte beim bloßen Anblick dieses Gesichtes Schandtaten gestanden, die er nie begangen haben konnte.

      Zwar war Taragona nominell dem Kardinal unterstellt, im real existierenden Alltag operierte er jedoch völlig unabhängig. Niemand, selbst der frei von jeglicher moralischer Last handelnde Kardinal, wollte über die Arbeit des KSD genau informiert sein, noch sich mit dem alltäglichen Kleinkram der immer gleich ablaufenden Folterungen und Hinrichtungen befassen. Soweit die vordergründigen Erklärungen. Hinter vorgehaltener Hand wurde da noch ein weiterer Grund kolportiert: Angst. Selbst auf die meisten Edlen wirkte der Sicherheitsdirektor nicht wirklich menschlich. Wichtige Wesenzüge eines Menschen schienen ihm komplett abhandengekommen zu sein. Die vollständige Gefühlskälte, die technokratisch angehauchte Grausamkeit, der absolute Mangel an Gewissen und Skrupel, das störte niemanden, derlei passte in die Zeit. Bei Taragona jedoch ging es noch weiter, wesentlich weiter. Er war ein absoluter Soziopath, er hatte keine Freunde, er vermied es geradezu, auch nur ein einziges privates Wort mit wem auch immer zu wechseln. Er war nie freundlich, er lächelte nie, er sagte nie etwas, was nicht mit seiner Tätigkeit zu tun hatte und somit unumgänglich war, gesagt zu werden. Zur nicht geringen Erleichterung des Großadmirals besaß der kleine, drahtige Sicherheitsdirektor weder die Weihen eines Priesters noch die Qualifikation zum Schiffsführer, weshalb er die höchste für ihn erreichbare Stufe der Hierarchie bereits erklommen hatte. Zum Glück schien er in seiner Aufgabe aufzugehen, zumindest gab es keinerlei Hinweise auf weiterführende Ambitionen.

      Die Prätorianer beendeten ihre Arbeit und zogen sich lautlos zurück. Der Kardinal sah sich nicht um, er schien das nicht hörbare Zuschlagen der Tür zu hören, denn er begann im gleichen Augenblick zu sprechen: »Großadmiral Minutaglio, die heutige Sitzung entbehrt nicht einer gewissen Wichtigkeit. Wir sind gehalten, einige Entscheidungen zu treffen, deren Tragweite die sonst notwendigen Schritte doch um einiges zu übersteigen verspricht.«

      Herzog Anastasius von Minutaglio, seit acht Jahren Großadmiral der Kaiserlichen Flotte, seufzte unhörbar. Der Kardinal empfand ganz sicher hohe Freude, wenn er sich so gedrechselt ausdrückte, seine Zuhörer dagegen eher nicht. Attacant sprach mit Bedacht auf diese Weise, um sich selbst und seiner Zuhörerschaft ständig die hohe Herkunft deutlich zu machen. Dies, so wusste Minutaglio, zu einem nicht geringen Teil wegen der ganz und gar nicht bombenfesten Sicherheit eben dieser Herkunft. Sicher, der Erzherzog hatte ihn als seinen legitimen Sohn anerkannt, dennoch oder gerade deswegen blieb die Frage stets ungeklärt, weshalb er so frappant der Nichte seiner vorgeblichen Mutter glich, einer Nichte, die in Ungnade fiel, und nach Katinka verbannt worden war. Zumindest glich er dieser Nichte, bevor er vor zehn Jahren beschloss, von nun an nur noch dicker zu werden.

      Der Großadmiral wälzte jedoch ganz andere Gedanken, denn er kannte bereits das Anliegen des Reichsprotektors.

      »Mir ist Euer Wunsch vor einigen Tagen hinterbracht worden, Reichsprotektor.«

      Er sagte das mit einer winzigen Spur Ironie, wusste er doch um die Empfindsamkeit seines Gastes, wenn es um seine geheimen Vorhaben ging. Attacant hasste es, wenn er durch Verrat das Moment der Überraschung verlor. So gesehen galten ihm auch die Angehörigen des eigenen Führungszirkels als Feinde. Dem Großadmiral war völlig klar, dass seine kleine Spitze noch heute Abend eine umfassende Suche nach der undichten Stelle


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