Kampf um Katinka. Thomas Pfanner
Quelle sicher war. Doch ging es um wesentlich mehr, daher fuhr er rasch fort:
»Ebenso wisst Ihr seit geraumer Zeit von meinen Bedenken. Wir führen seit dreißig Jahren mit unbedeutenden Unterbrechungen Krieg gegen die Hurshen-Union. Wir haben endlich einen bedeutenden Sieg errungen und ihnen drei Systeme abgenommen. Gleichwohl ist die Gefahr weiterhin latent und, wenn ich das in aller Deutlichkeit sagen darf, die anderen Feinde sind noch immer da draußen. An erster Stelle wäre Ordune zu nennen, dessen Stärke wir nicht abschätzen können. Ich sehe mithin keinen Grund, unsere Kampfflotte zu schwächen.«
Attacant schnaubte verächtlich. Er kannte die strategischen Rahmenbedingungen durchaus, die Politik ging ihm jedoch über alles. Wenn die Realität nicht passte, wurde sie eben durch politisches Handeln passend gemacht.
»In Jahrhunderten bestand keinerlei Grund, sich der Hilfe, der tätigen Hilfe, einer Kolonie zu versichern, bis auf diese kleine Episode von sechs Jahren, und in Zukunft wird es wieder keinen Grund geben. Wir besitzen unsere Kolonien, um uns von ihnen zu nähren. Keinesfalls darf der Eindruck entstehen, wir könnten uns womöglich ohne sie nicht behaupten. Daher ist es unumgänglich, die Realitäten unserer Auffassung anzupassen.«
Minutaglio seufzte leise in seine Teetasse. Womöglich war er doch ein wenig anders als die anderen Edlen.
»Ich wäre sicherlich Eurer Meinung gewesen, vor sieben Jahren. Fakt ist aber, ob uns das gefällt oder nicht, dass die Kolonien einen, wenn nicht den entscheidenden Faktor bei der Bezwingung unseres Feindes darstellten. Ohne die Schiffe der Kolonien wären wir überrannt worden, ganz ohne jeden Zweifel. Von daher halte ich es für mindestens fahrlässig, in Zukunft auf deren Anteil an der Flotte zu verzichten.«
Die Hände des Kardinals krampften sich um die Teetasse, dass die Knöchel weiß aufblitzten. Widerworte waren etwas, womit er ganz und gar nicht zurechtkam. Im Allgemeinen traf er innerhalb dieses Gremiums auch nicht auf abweichende Worte. In diesem speziellen Fall hätte er jedoch damit rechnen müssen. Aus Ärger über sich und über seinen Kontrahenten noch viel mehr wählte er eine höchst bürgerliche Anrede.
»Mir ist bewusst, Herr Großadmiral, dass wir hier über Ihr Steckenpferd sprechen. Sicherlich haben die Schiffe der Gemeinen ihren Beitrag geleistet, in dem sie die Reihen wieder auffüllten, als der Todfeind vor unserer Tür stand. Dennoch, die Zeit der Schwäche ist vorbei. Unsere Zukunft ist gesichert, die Hurshen-Union wird nie wieder das Haupt erheben. Also sollten die Gemeinen auch wieder zurückkehren zu ihren originären Aufgaben. Damit wäre dann alles in guter Ordnung.«
Minutaglio ignorierte die Beleidigung mit leichtem Lächeln, nahm sich die Zeit, einige tiefe Schlucke zu sich zu nehmen, in der das Schweigen auf den Kardinal zurückfiel.
»Ihr habt sicher recht, was die gute Ordnung anbetrifft. Zu unser aller Leidwesen teilen unsere Feinde die von Euch gepflegte Definition jedoch in keiner Weise. Für die Hurshen-Union, Ordune und die anderen Reiche und Domänen würde es der guten Ordnung eher entsprechen, gelänge die völlige Vernichtung von Horave. Insofern bitte ich zu überdenken, in welcher Weise die Sicherheit des Reiches am besten gewährleistet werden könnte. Bei allem schuldigen Respekt vor dem Amt und Eurer Person, ich denke, wir benötigen die Kolonisten, damit bei der Verteidigung des Reiches die Gemeinen sterben und nicht die Edlen. Unsere Taktik, die Gemeinen in die Hochrisiko-Einsätze zu schicken, sie allgemein bevorzugt an vorderster Front einzusetzen, schützt und bewahrt das Leben der Adligen und aller wichtigen Persönlichkeiten. Es kann doch nicht angehen, dass die Grafen wieder den großen Gefahren spekulativer Einsätze ausgesetzt sind. Man hatte sich gerade daran gewöhnt, die lästigen Aspekte des Krieges den Gemeinen zu überlassen.«
Der Großadmiral konnte nicht vermeiden, seine Antwort in versteckter, aber doch deutlich spürbarer Weise stichelnd vorzubringen. Als Flottenchef war er darauf trainiert, die Dinge in sachlicher Weise zu betrachten. Er allein zeichnete für die letzten großen Siege verantwortlich, was er ganz überwiegend seinem Talent zur objektiven Analyse zuschrieb. Die anderen Herzöge, Barone, Grafen und Edelleute betrachteten die Welt aus einer Sicht, die man nur als extrem einseitig bezeichnen konnte. Alles gut und schön. Im Angesicht tödlicher Gefahr sollte man aber doch die Fähigkeit zum Umdenken erwarten können. Leider war dem nicht so. Die Rettung des Reiches war allein dem Umstand zu verdanken, dass die Kaiserin in der Not den unpopulären und mutigen Schritt unternahm, einen Außenseiter wie ihn zum Chef der Flotte zu berufen und ihm bei seinen noch unpopuläreren Maßnahmen den Rücken zu decken. Eine dieser Maßnahmen hatte in der Erlaubnis bestanden, den Kolonien den Bau eigener Kriegsschiffe zu erlauben, bemannt mit eigenen Leuten und ausgebildet nach selbst entwickelten Direktiven. Die Admiralität und der Konvent hatten sich empört gezeigt, hochwertige, wenn auch todbringende, Aufgaben an Gemeine, noch dazu an noch tiefer stehende Gemeine von den Kolonien, abzugeben, die ihrem Wesen nach einzig den Edelleuten zustanden. Nun, die Lage erlaubte keine langwierigen Diskussionen, und so wurden die Pläne Minutaglios in die Tat umgesetzt. Der Erfolg rettete ihm den Kopf, der Groll seiner Widersacher steigerte sich jedoch unaufhörlich, gerade wegen der Erfolge durch Neid und teilweise auch Hass befeuert. Heute also wurde die Rechnung präsentiert. Kardinal Attacant ging es ums Prinzip, er verabscheute alle Menschen mit niederem Rang, er hasste es, ihnen auf leidlich gleicher Ebene zu begegnen, noch mehr hasste er es, Vertretern niederer Stände einen noch so kleinen Anteil am Erfolg des Staates zugestehen zu müssen. Daneben oblag es ihm Kraft seines Amtes, die Kirche vor Verfall und schlechten Einflüssen zu schützen. Da die Kirche eine gute Kirche und damit eine wichtige Stütze des Systems darstellte, ergab sich hieraus ein weiterer Grund, Veränderungen jedweder Art auf das Schärfste zu bekämpfen. Der Großadmiral gab sich keinen Augenblick der Hoffnung hin, den Eiferer mit sachlichen Argumenten umzustimmen. Attacant kannte nur eine Sorte Argumente, seine eigenen. Aber schwer machen wollte es Minutaglio ihm schon, soviel schuldete er seinen Leuten, die für ihn gesiegt hatten. Attacant verzog das Gesicht, als ob er auf eine besonders saure Zitrone gebissen hätte. Aufreizend gönnerhaft entgegnete er:
»Mein lieber Großadmiral. Sie hatten sicher Ihre Freude an den Schlachten der letzten Monate. Diese unwürdigen Gestalten haben sich in die Gefechte geworfen und den Feind besiegt, nicht immer mit den Methoden hochherrschaftlicher Kampf-Kultur, sodass sie ihren Preis zu zahlen hatten. Aber nun ist es an der Zeit. Ich dulde nicht länger, den Pöbel unter Waffen zu sehen. Die Macht und das Recht auf Waffen gelangt von Gott zur Erleuchteten Kirche, von dieser in die Hände der Kraft ihrer Geburt und göttlicher Vorsehung dazu ausersehenen Vertretern der Edelleute, und damit hat es seine Bewandtnis. Das Gesinde, ob Gemeine, freie Kolonisten, Niedere oder sonst was, das ganze Kroppzeug hat nur eine Aufgabe zu erfüllen: Gehorchen! Die natürliche Ordnung wurde durch diese gefährliche Attitüde der Marine auf den Kopf gestellt. Die Habenichtse unter Waffen. Großer Gott! Das muss ein Ende haben. Und zwar jetzt.«
Der Großadmiral straffte seinen voluminösen Oberkörper und strich das Uniformhemd über dem Bauch bedächtig glatt. Er erkannte, wie bitterernst es dem Kardinal war. Die Uhren sollten zurückgedreht werden, die fast schon beleidigende Anrede sollte dem Militär in hellem Licht klarmachen, dass er sich zu fügen habe. Es wurde Zeit, den letzten Joker auszuspielen.
»Nun, es scheint fast so, als wäret Ihr fest entschlossen. Fein, ein jeder begehe den Fehler, der ihm gerade in den Sinn kommt. Im Großen und Ganzen sehe ich kein Problem in der Umsetzung. Ich möchte Eure Heiligkeit auf eine Kleinigkeit aufmerksam machen. Unser erfolgreichstes Kriegsschiff ist zufälligerweise ein Schiff der Kolonisten. Die heimische Propaganda unseres hoch verehrten Sicherheitsdirektors«, er nickte nicht ganz ernsthaft zu dem kleinen Mann hinüber, der selbst den köstlichen Tee aus den kaiserlichen Gärten von Nemsafroh mit saurer Miene zu sich nahm, als müsse er den finalen Giftbecher schlürfen, »hat in der Vergangenheit dafür gesorgt, dass dieses Schiff dem Pöbel, wie Ihr die Massen unseres Volkes zu beschreiben beliebt, als mittlerweile beliebtester Held gilt. Sicherlich macht es keinen Unterschied, jedoch würde das Volk das ersatzlose und abrupte Verschwinden ihres besten Idols mit, gelinde gesagt, Unverständnis aufnehmen. Vielleicht wollt Ihr in Eure unfehlbaren Überlegungen die Möglichkeit einbeziehen, dieses Schiff von Eurem Plan auszunehmen.«
Die Hautfarbe des Kardinals wechselte ansatzlos von der durch seine Fettleibigkeit erzeugten sanften Röte in blutiges tiefrot. Bei seinen Lakaien brauchte er sich nicht lange aufzuhalten, bei einem