Kampf um Katinka. Thomas Pfanner

Kampf um Katinka - Thomas Pfanner


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Gerenne, alle Besatzungsmitglieder warfen sich regelrecht auf ihre Sitze und Stationen. Die Grizzly war schließlich ein Schlachtkreuzer mit reichlich Erfahrung im Umgang mit plötzlich auftretenden Herausforderungen. Sie besaß eine Besatzung, die ihr Handwerk verstand. Im Zuge der Alarmierung sprang auch ein kleiner, drahtiger Mann durchs Schott und nahm seinen Platz ganz unten auf der Brücke ein. Leutnant Istvan Horvath fungierte als Waffenoffizier. Seine Fähigkeiten waren Legende. Er konnte nicht nur mit den Händen unglaublich schnell und zielsicher über die Waffenkontrollen hetzen, er vermochte auch die Bewegungen der Gegner mit schier unglaublicher Präzision vorherzusagen. Vor allem aber arbeitete er gut mit der Pilotin zusammen. Nazifa Kadhar tippte ihrerseits auf einige Schalter und zwei Geräte fuhren aus den Armlehnen, die auf den ersten Blick wie kleine Säckchen ohne weitere Funktion wirkten. In Wahrheit stellten sie die zweite Art der Steuerung dar. Normalerweise, also auf dem Marschflug, wurde die Grizzly über ein paar Monitore und Joysticks gesteuert. Das reichte im Normalfall völlig aus. Im Kampf wurden blitzschnelle Reaktion und wesentlich präziseres Manövrieren gebraucht, auch, um im Zusammenspiel mit den Waffen die für einen Abschuss optimale Position zu erreichen, bevor jemand anderer eine solche Ausgangslage gegenüber der Grizzly einnehmen konnte. Dafür gab es die Säckchen, der technische Ausdruck lautete Myelo-elektronische Echtzeitsteuerung. Nazifa steckte die Hände in die Säckchen, wo sich feine Elektroden auf definierte Stellen ihrer Haut legten. Die Elektronik des Antriebes und der Steuerung vernetzte sich mit den Händen, jede Anspannung unter Haut würde nun unmittelbar in Steuerungsimpulse umgesetzt. Die Pilotin brauchte buchstäblich keinen Finger zu rühren, der Gedanke an die Bewegung löste ein feines Zucken, eine Veränderung der Oberflächenspannung, eine veränderte Leitfähigkeit der Haut aus, der Rechner erfasste alles und handelte, bevor sich die menschliche Reaktionszeit dazu durchgerungen hätte, die Finger wirklich zu bedienen. Langes Training vorausgesetzt, ließen sich mit der Methode die entscheidenden Zehntelsekunden gewinnen, die man für den Sieg in der Schlacht benötigte. Aus einem nicht zu klärenden Grund hatten die anlässlich der Rekrutierung auf Katinka durchgeführten Tests ergeben, dass Frauen weitaus besser mit der Myelo-Elektronik zurechtkamen als Männer. Sie konnten schneller denken und ihre Muskeln präziser bewegen. Nazifa schnitt damals als Beste ab, vor acht anderen Frauen. Erst als Zehnter rangierte der erste Mann.

      Die Standardmonitore klappten weg und ein kleiner, länglich konstruierter Holo-Bildschirm baute sich vor der Pilotin auf. Im Gegensatz zu dem großen Kommando-Holo sah man darin nicht das Weltall vor dem Schiff, sondern die komplette Umgebung, mit der Grizzly im Zentrum. Ein winziges Scheibchen zischte aus der Kopfstütze und positionierte sich über einen ausgeklügelten Teleskop-Mechanismus knapp neben dem linken Auge. Es ersetzte die großen Displays, in dem es begann, Daten direkt auf Nazifas Netzhaut zu spiegeln. Einige Sekunden des angespannten Arbeitens vergingen, bis sie das Ergebnis bekannt geben konnte.

      »Wir können bei Maximalbeschleunigung ohne x in achtunddreißig Minuten längsseits gehen. Mit x plus zwei gewinnen wir nur eins Komma sieben Minuten.«

      »Wie steht der Rumpf?«

      »Laut Teleskop von uns weg, Überdeckung achtundachtzig Prozent. Angleichung auf hundert kostet etwa zwanzig Sekunden.«

      Tanner spielte einige Sekunden auf seinem eigenen Display verschiedene Berechnungen durch.

      »Sehe ich auch so. Schön. Nazifa, bring uns in ihren blinden Fleck und dann maximale Annäherung gemäß deinen Berechnungen. Beschleunigungswarnung. Es geht los.«

      »Dreck!«

      Fluchend stieg ein Riese in grauer Uniform durch das Schott, legte die wenigen Schritte zu dem einzigen noch freien Platz im Sturmschritt zurück und schaffte es, sich in den Sessel fallen zu lassen, bevor das Heulen des Alarms einsetzte. Der Sessel stöhnte regelrecht auf, umschlang seinen voluminösen Gast aber doch in rasender Eile mit den Gurten. Niemand beachtete ihn weiter, das Beschleunigungsmanöver ging vor.

      Einige Steuerdüsen flammten kurz auf, als die Pilotin den Rumpf auf den geringfügig angepassten Kurs ausrichtete. Jedes Raumschiff benutzte als Hauptantriebsquelle den Ionenhammer, der für die Formgebung eines Raumfahrzeuges das wesentliche Element darstellte, weil die Austrittsöffnung für das heiße Plasma sehr groß und quadratisch sein musste. Wegen dieser Anordnung waren Schiffe nach hinten nicht ganz blind, aber fast. Im Effekt gab es hinter jedem Schiff einen stabförmigen Bereich, in dem Nullsicht herrschte für alle Sensoren. Nazifa wollte die Grizzly auf einen Kurs bringen, der erst in den Bereich führte, in dem für die treibende Jacht blind blieb und dann innerhalb des Bereichs rasch zu einer Annäherung führte. Das Manöver war sehr schnell abgeschlossen, die Pilotin starrte äußerlich unbewegt in den Holo-Bildschirm, den Oberkörper steif und aufrecht haltend, die Hände in der Myelo-elektronischen Steuerung. Mit der leicht abwesenden Stimme einer voll konzentrierten Schiffspilotin säuselte sie: »Ionenhammer auf volle Leistung … jetzt.«

      Die Meiler fuhren hoch, die Plasma-Kupplungen brüllten auf und beruhigten sich nicht mehr. Den eigentlichen Antrieb hörte man dagegen kaum, dafür spürte man ihn überdeutlich. Die Zelle des Schiffs begann zu vibrieren, als würde ein mittleres Erdbeben unter ihren Füßen toben. Auf diese Weise spürten die Besatzungsmitglieder die Beschleunigung körperlich. Nach den langen Jahren auf der Grizzly setzte das Gehirn die Geräusch- und Erschütterungsentwicklungen ganz selbstverständlich in die Empfindung von Fortbewegung um. Man glaubte durch die täuschend echten Eindrücke, die Innenohr und Gehirn produzierten, wirklich, die Beschleunigung hautnah zu fühlen. Es dauerte etwa eine Minute, dann erstarb der Ionenhammer für wenige Sekunden, in denen der Rumpf neu ausgerichtet wurde. Weitere dreißig Sekunden mit hoher Beschleunigung folgten sowie eine weitere Manövrierphase.

      »Blinder Fleck erreicht. Vollschub für neunzehn Minuten und drei Sekunden ab … jetzt.«

      »Sensoren stellen weiterhin keinerlei Aktivität fest, die Jacht treibt immer noch.«

      Nagama hielt den Blick unverrückbar auf ihre Anzeigen gerichtet, wechselte immer wieder Einstellungen, mit denen sie die verschiedenen Sensoren ständig neu abfragte, fein justierte und nach kleinsten Abweichungen fahndete. Tanner beobachtete die Brückenmannschaft wohlwollend bei der Verrichtung ihrer Aufgaben, wandte sich dann dem Riesen zu.

      Major Dwight D. Anheuser fungierte als Commander der an Bord stationierten Füsiliere. Die achtzig Männer und Frauen starke Truppe machte sich im normalen Bordleben als ein Zwischending zwischen Ordnungsmacht und Service-Einheit nützlich. Eventuelle aufkommende Streitigkeiten wurden von den Füsilieren geschlichtet, bei Unfällen, Reparaturen und medizinischen Notfällen waren sie zur Stelle. Die allumfassende Ausbildung machte es möglich, dass in allen relevanten Bereichen zumindest fundierte Grundkenntnisse bestanden, darüber hinaus verfügte jeder Füsilier über ein Spezialgebiet. Das eigentliche und für alle verbindliche Spezialgebiet blieb hingegen der Kampf. Im Gefecht wurde die Truppe zu einer Raumlande-Einheit, die sowohl auf Planeten niedergehen, als auch Raumschiffe entern konnte, seien sie nun intakt oder angeschossen und unmittelbar vor dem Reaktorbruch stehend.

      Anheuser sprengte jedes vernünftige Maß. Knapp über zwei Meter groß wirkte er wie die überlebensgroße Werbepuppe einer Firma, die Dopingmittel an den Mann zu bringen trachtete. Jeder einzelne Muskel quoll aus der eng anliegenden Uniform hervor, als handele es sich um eine allergische Reaktion auf den Stich einer treptichorischen Tantalusspinne. Kein Zweifel, der Mann trainierte wie ein Besessener, dennoch waren die ungeheuren Muskelpakete nicht ohne pharmazeutische Hilfe aufzubauen, so viel musste jedem Betrachter klar sein. Einen wirklichen Grund für das Aufbauen gab es nicht, bei Einsätzen mit zehnfacher Beschleunigung waren die Muskelmassen eher hinderlich, da sie nun mal wie der Rest des Körpers ebenfalls um das Zehnfache an Gewicht zunahmen. Unter den Füsilieren an Bord befanden sich Männer und Frauen von durchaus zierlicher Gestalt, die mit den körperlichen Strapazen kein Problem hatten. Anheuser pfiff auf die Erfordernisse des Dienstes, so lange sie seinem Körperkult entgegen standen. Er galt als rücksichtslos im Einsatz und als überaus kreativ. Einen Auftrag führte er unter allen Umständen durch, koste es, was es wolle. Tanner störte sich nicht an der grimmigen Miene des Füsiliers, der selbst im vertrauten Gespräch seine abweisende Aura um keinen Deut verminderte.

      »Dwight, wir haben da ein kleines, aber hässliches Problem«, begann Tanner. Anheuser


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