Kampf um Katinka. Thomas Pfanner

Kampf um Katinka - Thomas Pfanner


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Mann von ihr herunter, zog den rechten Handschuh ab und tastete nach dem Hals der Gestalt, die nun in ganzer Größe zu sehen war. Wobei von Größe eigentlich nicht gesprochen werden konnte. Die Angehörigen der Kaiserlichen Familie zeichnete neben respektabler Körpergröße auch eine gewisse Fettleibigkeit aus. Das Erste lag an den unbelasteten Lebensumständen fern aller Engpässe, das Zweite an dem Überfluss an Nahrung und Getränken. Die verschmutzte und mit Blutklecksen gesprenkelte Gestalt am Boden entsprach diesem Bild in keiner Weise. Sie war klein, zierlich und wirkte durch und durch schwach. Zudem hatte sie rotblonde Haare, während die Kaiserliche Familie in der Regel über blonde Haare verfügte. Unglücklicherweise war es verboten, Bilder von Mitgliedern der Kaiserlichen Familie in Schiffsdatenbanken aufzunehmen, sodass es keine Vergleichsmöglichkeit gab. Vom Alter her mochte es hinkommen, Weiteres entzog sich seiner Kenntnis. Immerhin lebte das Mädchen, der Puls schlug kräftig und regelmäßig.

      »Sie lebt, ist gesund und sieht gar nicht aus wie eine Kaiserliche.«

      Auf der Brücke antwortete beredtes Schweigen. Zeit, die Leere mit einigen Anweisungen zu füllen.

      »Carbone, zu den Booten zurück und nach Hause. Watkins, alles klar? Bischen dick aufgetragen, oder? Nimm deine Leute und suche den Rest des Schiffes ab. Ausrüstung, die von Frauen zu nutzen ist, einsacken und aufs Mutterschiff bringen. Henry, zum Hangar, aufmachen und eines der Boote einschleusen. Djorkaef, den Bordrechner filzen. Interessiert mich, was das für Typen sind. Skipper, sollen wir die Gefangenen rüberbringen?«

      »Ihr habt Gefangene? Nein, ich denke, lasst sie da. Wir brauchen unsere freien Räume für die Kaiserlichen, seht zu, dass ihr ein paar Räume zum Gefängnis umrüsten könnt. Die Jacht muss ohnehin als Prise nach Horave zurück. Ich schicke ein paar Techniker rüber, die sich das Maschinendeck ansehen. Wir lassen den Kahn nur im äußersten Notfall zurück. Befrag die Leute und knaste sie vor Ort ein.«

      Anheuser brummte unwirsch. So was gehörte nicht zu seinen Aufgaben, nun musste er seine Befehle neu ausrichten.

      »Carbone, Kommando zurück. Trupp teilen, eine Hälfte rückt ab, die andere macht den Bautrupp. Auftrag: Errichtung eines Gefängnisses.«

      »Bestätige. Wir nehmen die Brenner und bauen es komplett neu in die Trümmerwüste. Da kann ich mir dann sicher sein, keine Schwachstellen im Nest zu haben.«

      »Mache es so.«

      Der Major gab seinen Leuten einen Wink, woraufhin sie damit begannen, die drei überlebenden Gangster zu packen und aus der Zentrale zu schleifen. Plötzlich trat ihn etwas. Irritiert blickte er nach unten. Die Prinzessin, wenn sie denn eine war, sah ihn an. Ihr blasses, von Blut verschmiertes Gesicht hatte sich in der kurzen Phase der Unaufmerksamkeit ins Rötliche verfärbt, die Augen sprühten Feuer, sie sagte irgendwas, jedoch zu leise für die Außenmikrofone. Anheuser öffnete kurz entschlossen seinen Helm und konnte sogleich die helle, nicht unsympathische Stimme der jungen Frau vernehmen.

      »Welche von allen guten Geistern verlassenen Wilden veranstalten denn so etwas? Erst zu spät kommen und dann zu doll. Ich glaube, mein Kopf ist gebrochen, diese rasenden Kopfschmerzen. Kann ich erfahren, was hier los ist? Bin ich immer noch gefangen? Meine Güte, wo ist hier ein Spiegel?«

      Typisch weiblich, dachte Anheuser, während er die fluchende Frau mit kritischer Distanz musterte. Alle Gedanken, gleichgültig ob sinnvoll oder nicht, gefiltert oder nicht, ohne weitere Hemmungen ausgeplaudert. Und dann erwarten, der Zuhörer könne auf Anhieb den eigentlich wichtigen Gedanken erkennen, auf den allein die Dame in Wirklichkeit eine Antwort wünschte. An dieser Stelle wurde es haarig. Von der Besatzung der Grizzly hatte noch niemand die Gelegenheit erhalten, Auge in Auge einer leibhaftigen Angehörigen des Kaiserhauses entgegen zu treten. Er konnte ihr schlecht die Hand reichen und sie vom Boden hochreißen. Es existierten da eine Menge Etikette und Vorschriften, deren Missachtung ungeahnte Konsequenzen nach sich ziehen mochten. Innerhalb der Flotte kursierten unter den Niederen in Form von Gerüchten und Legenden zahlreiche Begebenheiten, bei denen Adlige vornehmlich wegen Verstößen gegen die Etikette harte Strafen ausgesprochen hatten. Wie man hörte, brachten es die Hochwohlgeborenen fertig, wegen reiner Formfehler im Umgang mit ihnen wesentlich härter zu strafen als wegen Vorkommnissen und Missetaten, die eigentlich nach dem gesunden Menschenverstand die schlimmeren Vergehen hätten sein sollen.

      Anheuser war ein Mann der Tat und kannte nichts anderes als den Angriff, also griff er an. Nicht ganz unfreundlich sprach er die junge Frau an, gab sich dabei jedoch alle Mühe, in seinem Erscheinungsbild die abschreckenden Aspekte zu verstärken: »Würden Ihro Gnaden die Güte haben, sich auszuweisen? Dies ist eine Jacht von Horave, die wir gerade den Händen unbekannter Verbrecher entrissen haben. Erklärt Euch, zu welcher Seite gehört Ihr?«

      Die Frau stemmte sich auf Ellbogen halbwegs in die Höhe, gab den Versuch aber mit schmerzverzerrtem Gesicht auf. Keuchend gab sie ihren Namen bekannt: »Ich bin Penelope, Tochter von Iphigenie III., Kaiserin der Galaxis, Herrscherin über Horave und alle Kolonien, oberste Priesterin der Erleuchteten Kirche und Erste Richterin. Ich bin an zweiter Stelle in der Thronfolge, und nebenbei bemerkt diejenige, die den Notruf aussandte. Und nun möchte ich wissen, wer zum Teufel über uns hereingebrochen ist. Außerdem möchte ich einen Arzt.«

      *

      Mit einigermaßen gemischten Gefühlen betrat Roscoe Tanner die Zentrale der Saskia. Die Nachricht von Major Anheuser, wonach die Prinzessin einen Arzt benötige, hatte ihn alarmiert. Mit einem Sturmboot setzte er zusammen mit der medizinischen Abteilung über und kämpfte sich zusammen mit den anderen durch die Trümmer. Er bemerkte die zierliche Frau mit den rötlichen Haaren unmittelbar vor dem Moment, als der Arzt sich über sie beugte. Glücklicherweise handelte es sich bei dem Arzt der Grizzly um eine Frau, da die Prinzessin eine Erstversorgung durch den Füsilier und ausgebildeten Nothelfer Michel Platini abgelehnt hatte. Sie wollte von einem Mann nicht angefasst werden, zumal dieser Mann ganz deutlich erkennbar ein Niederer war.

      Viola Teresita da Joya würde die Edle allerdings auch nicht wirklich zufriedenstellen. Nicht nur, weil sie vier Jahre bei den Füsilieren gedient hatte, bevor sie sich der Medizin zuwandte. Nicht nur, weil sie trotz ihrer Schönheit groß und stark war wie ein Ochse. Es war ihre Eigenart, burschikos und mit zielsicher schlechtem Geschmack ihre Patienten gelegentlich das Gruseln zu lehren. Einen schwer verletzten Soldaten konnte sie mit derben Scherzen und merkwürdigem Verhalten oft genug von seinen Leiden ablenken, aber bei einer Prinzessin? Auch deshalb hatte es Tanner für besser gehalten, vor Ort zu sein. Nicht, dass seine Anwesenheit Viola in irgendeiner Weise beeindrucken würde. Es ging auch gleich richtig los.

      »Wo ist denn hier der Notfall? Die Kundin ist ja noch ganz, keine fehlenden Gliedmaßen, keine klaffenden Wunden.«

      Viola sprach mit heiterer und dem Anlass unangemessen lauter Stimme noch nicht einmal zur Prinzessin selbst, sondern zu Anheuser gewandt. Die beiden waren fast gleich groß, der bullige Major in den Schultern breiter, die Ärztin um die Hüften rundlicher. In eingeweihten Kreisen galt ihr Hintern als die „Kathedrale von Katinka“, nicht nur Männer sprachen mit verklärtem Blick über ihre körperlichen Vorzüge. Dafür waren ihre Manieren mit „gewöhnungsbedürftig“ außerordentlich beschönigend umschrieben. Anheuser rollte mit den Augen, was Viola breit lachend ignorierte und sich mit einer Geschwindigkeit über die daniederliegende Prinzessin beugte, dass diese erschreckt zusammenzuckte.

      »Nur keine Angst, Schätzchen, seit der Party gestern bin ich noch nicht wieder zusammengebrochen.«

      Sie lachte glucksend, zog ein Diagnosegerät aus der Schatulle an ihrer Hüfte, als handele es sich um eine Waffe und klappte es auf. Der Pistolengriff erinnerte noch einigermaßen an eine Schusswaffe, aus dem darüber angebrachten Sockel faltete sich ein rechteckiger Bildschirm, der sofort begann, an den Rändern Daten abzuspielen. Viola führte das Gerät über jede einzelne Körperstelle der Prinzessin, deren Innereien sehr plastisch auf dem Schirm erschienen. Tanner konnte die wesentlichen Details von seiner Position halb rechts hinter der Ärztin gut verfolgen. Er wäre jedoch nicht auf die technischen Hilfen angewiesen gewesen, da Viola es sich nicht nehmen ließ, ihre Erkenntnisse in Form eines heiteren Vortrages zum Besten zu geben.

      »Leichte Spreizfüße, das kommt davon, wenn man zu


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