Scarlett Taylor. Stefanie Purle
seinem kolossalen Bett stehen zwei Nachtschränke. Auf einem liegt ein zerfleddertes Buch mit unzähligen Eselsohren. „Die Kunst der Kelten“, steht auf dem Einband. Über dem Bett hängt ein Ölgemälde, welches ein Waldstück mitten im Sommer zeigt. Durch das Blätterdach fallen unzählige Sonnenstrahlen und erhellen kleine Flecken auf dem Waldboden.
Ich blicke mich weiter um und entdecke einen Zeitungsständer mit archäologischen Magazinen darin. Wieder erkenne ich, dass es noch so viel an Chris zu entdecken gibt und ich ihn eigentlich noch gar nicht richtig kenne. Allerdings bleiben uns noch knapp hundertdreißig Jahre dafür Zeit, denke ich und lächle.
An der Wand gegenüber der Fensterfront ist eine weitere Tür. Als ich sie öffne, entdecke ich dahinter ein atemberaubend schönes Badezimmer. Auch hier ist alles, wie im Rest des Hauses, mit Holz verkleidet, jedoch steht an der einen Wand eine Badewanne, die aussieht, als wäre sie aus Stein gemeißelt. Sie ist so groß, dass Riva darin schwimmen könnte. Daneben ist eine Dusche mit einer säuberlich geputzten Glasabtrennung. Auf der anderen Seite sind zwei Waschbecken, auch wie aus Stein gemeißelt, mit kupferfarbenen Wasserhähnen und zwei Spiegeln, die in verschnörkelten Kupferrahmen stecken.
Ich hole meine Tasche von Chris´ Bett, gehe zurück ins Bad und ziehe mich aus. Dann stelle ich die Dusche an und gehe hinein. Süße Erinnerungen an meine letzte Dusche zusammen mit Chris huschen durch meine Gedanken und verursachen ein süßes Ziehen in meinem Unterleib, während ich den Schmutz des Tages von meinem Körper wasche.
Kapitel 12
Frisch geduscht und in einen weichen Bademantel gehüllt, lasse ich mich auf Chris´ Bett fallen. Meine Lider fallen fast von selbst zu, als ich die Decke zurückschlage und mich hineinkuschel. Das Kopfkissen und die Decke sind angenehm flauschig, sie riechen nach ihm und es dauert nicht lange, bis ich bei diesem wohligen Geruch eingeschlafen bin.
Unbestimmte Zeit später werde ich durch sanfte Küsse von weichen, warmen Lippen an meinem Hals wach. Für den Bruchteil einer Sekunde weiß ich nicht, wo ich bin und reiße die Augen auf. Mein Blick fällt zuerst auf ein mir bekanntes kariertes Hemd, welches den muskulösen Oberkörper meines Mannwolfs bedeckt. Ich lächle und strecke mich.
„Ich bin wieder da“, raunt Chris in mein Ohr und legt seine Hand auf meinen Bauch.
Langsam richte ich mich auf und stütze mich mit meinen Ellenbogen hoch. „Wie spät ist es?“, frage ich und blinzle in sein lächelndes Gesicht.
„Kurz nach acht“, antwortet er, erhebt sich und setzt sich im Schneidersitz auf die Bettdecke. „Ich habe Essen mitgebracht.“
Als er diese süßen Worte ausspricht, beginnt mein Magen wie auf Kommando zu knurren. Ich sehe auf die Tüte, die er vor meinem Gesicht baumeln lässt und vernehme einen würzigen Geruch. „Was ist da drin?“, will ich wissen und robbe so weit hoch, dass ich mich mit dem Rücken an das gepolsterte Kopfende lehnen kann.
„Das Tagesmenü aus dem Booh: Gemüsepfanne mit Curry-Reis und Hähnchenfilet“, sagt er und mir läuft spontan das Wasser im Mund zusammen. Er holt zwei Schalen aus der Tüte und reicht mir eine davon.
Ich klappe sie auf und sehe den goldgelben Reis, das knackig bunte Gemüse und die knusprig gebratenen Hähnchenstücke darin. „Oh man, das sieht gut aus.“ Chris reicht mir eine Gabel und beginnt selbst hungrig zu essen. „Wie war´s? Hast du ein paar Dämonen zurück in die Hölle katapultiert?“, frage ich und schiebe mir die erste Gabel dampfenden Gemüses in den Mund.
„Es war wieder ein Urdämon. Wir vermuten, dass es einer aus dem Zoo des schwarzen Königs war. Er wird wohl ausgebrochen sein und wollte sich gerade in der Nähe einer Schule niederlassen. Zum Glück wurde Elvira früh genug benachrichtigt! Wir konnten ihn wegsperren, bevor er sich die Kinder vornehmen konnte.“
„Wieder ein Urdämon?“, wiederhole ich fragend und bin in Gedanken bei dem teuflischen Wesen, welches mich schon einmal in seinen Klauen hielt. „Sagte Elvira nicht, es wären mehrere Dämonen unterwegs?“
Chris nickt. „Ja, aber um die anderen hat Bianca sich gekümmert. Das waren auch nur ein paar junge Dämonen, die hatte sie schnell erledigt.“
Ich kann mir bildlich vorstellen, wie die große, schlanke Bianca einem wild gewordenen Dämon zu Leibe rückt. Sie wirkt auf mich wie eine mächtige Amazone. „Wieso denkt ihr, dass der Urdämon vom schwarzen König kommt?“
„Weil er die meisten Urdämonen bei sich gefangen hält. Es werden bestimmt noch einige mehr ausbrechen, um dich zu sehen.“
„Oh man“, seufze ich und lasse die Gabel sinken. „Was würde mit den Urdämonen passieren, wenn ich die neue weiße Königin werde? Müsste ich sie dann gefangen halten?“
Zum Glück schüttelt Chris mit dem Kopf. „Nein, die schwarzen Wesen wollen nur zu dir, weil du momentan noch neutral bist. Sie wollen natürlich, dass du dich für die dunkle Seite entscheidest, denn dann könnten sie weiterhin, wie bislang zwischendurch Ausgang bekommen und sich von den negativen Gefühlen der Menschen ernähren. Wirst du aber die neue weiße Königin, wird dein Vater mit ihnen wahrscheinlich den Rückzug antreten“
„Und wo ist der Urdämon jetzt?“
Chris beugt sich zur Seite und zieht ein schwarzes Kästchen aus seiner Hosentasche. „Hier drin“, sagt er und reicht mir das Kästchen, welches nicht größer als eine Streichholzschachtel ist.
Fasziniert und ein wenig ängstlich zugleich drehe ich den Gegenstand in meinen Händen. Er wirkt alt, aus ziemlich hartem Holz geschnitzt, mit goldenen Einlagen auf schwarzem Grund, die wahrscheinlich Sigillen darstellen.
„Du hattest die ganze Zeit einen Urdämon in deiner Hosentasche?“
Chris muss lachen und verschluckt sich beinahe. „Ja, könnte man so sagen“, sagt er und nickt.
„Wie hast du ihn da reingekriegt?“, hake ich neugierig nach, schüttle die Schachtel und halte sie mir ans Ohr.
„Mit einem Ritual, einigen Sigillen und viel schwarzem Sand vom Toten Meer“, erklärt er, als ich ihm das Kästchen wiedergebe. „Aber keine Sorge, Scarlett. Er kann hier nicht raus. Ich müsste das Ritual rückwärts aufsagen, um ihn zu befreien.“
Erleichtert nicke ich. „Und was machst du jetzt damit? Gibst du ihm den schwarzen König zurück?“
„Nein“, antwortet Chris, beugt sich nach hinten und zieht eine Schublade seines Nachtschrankes auf. „Ich lege ihn zu den anderen“, sagt er und wirft das schwarze Kästchen zu den dutzend anderen, bevor er die Schublade wieder schließt.
Entsetzt blicke ich ihn an, als er sich wieder aufrichtet. „Urdämonen im Nachttisch?“
Wieder lacht Chris. „Wir können sie auch woanders lagern, wenn dir das lieber ist. Aber ich versichere dir, sie können da nicht raus.“
Ich schlucke und lasse den Gedanken, dass dutzende von Urdämonen in kleinen schwarzen Holzschachteln neben Chris´ Bett gelagert werden, erst einmal sacken. Wenigstens bin ich nun richtig wach, also erzähle ich Chris von meiner Tante Roberta und meinem Eiszauber. Er wirkt zuerst misstrauisch, was Roberta angeht, genau wie Fletcher anfangs, doch sobald ich ihm von dem Pilzzauber erzähle, und dass sie sich seit Jahrzehnten vor ihrem Bruder, dem schwarzen König versteckt, verschwindet sein Argwohn langsam. Von meinem Eiszauber ist er begeistert. Er springt auf und geht zur Fensterfront. Obwohl es mittlerweile stockdunkel draußen ist, kann Chris den See mit seinen wolfsähnlichen Augen scheinbar noch erkennen.
„Er ist immer noch gefroren... Wahnsinn!“, sagt er andächtig und blickt verträumt und nachdenklich in die Ferne.
Ich lege die leere Pappschachtel und die Gabel auf den Nachttisch, stehe auf, zurre meinen Bademantel zurecht und stelle mich neben ihn. Durch das Fenster erblicke ich nur mein eigenes Spiegelbild, dahinter ist alles schwarz für mich.
„Du kannst den See noch sehen?“, hake ich nach und blicke meinem eigenen Spiegelbild entgegen.