Der Junge aus der Vorstadt. Mario Worm

Der Junge aus der Vorstadt - Mario Worm


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die Korrektur, an Stefan, fürs Lektorat Jörg und Harald, für ihre Hilfe bei den Messeauftritten, sowie Dirk Freitag, Chef der Firma Multimatic Ilsa Deutschland fürs Wohlwollen.

      Besonderen Dank aber an meine Frau und Töchter, die diesmal aktiv in die Geschichte, vorurteilsfrei, eingegriffen haben.

      Natürlich ist es immer gut Freunde zu haben, besonders, wenn unter ihnen auch Anwälte sind.

      Es sei hier eindrücklich darauf hingewiesen, dass dieses Buch ohne die aktive Mitarbeit von Michael Dobus von der Anwaltskanzlei Borchardt und Coll. aus Hoppegarten bei Berlin nicht möglich gewesen wäre. Allein schon deshalb, weil ich die Paragraphen der Gesetze erst übersetzt bekommen musste. Vielen Dank Micha!

      Mario Worm

      17. März 2018

      

       Der Junge aus der Vorstadt - Der Schlüsselfall

      

       § 344 Verfolgung Unschuldiger

       (1) Wer als Amtsträger, der zur Mitwirkung an einem Strafverfahren, abgesehen von dem Verfahren zur Anordnung einer nicht freiheitsentziehenden Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), berufen ist, absichtlich oder wissentlich einen Unschuldigen oder jemanden, der sonst nach dem Gesetz nicht strafrechtlich verfolgt werden darf, strafrechtlich verfolgt oder auf eine solche Verfolgung hinwirkt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Satz 1 gilt sinngemäß für einen Amtsträger, der zur Mitwirkung an einem Verfahren zur Anordnung einer behördlichen Verwahrung berufen ist.

       (Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland, Stand 08.05.2015)

       „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.“

       (Deutsches Sprichwort)

      Prolog

      Freitag, der 08.05.2015

      01.30 Uhr

      Berlin–Mitte, Memhardtstraße 06

       „gehobene“ Biergaststätte „Zur Münze“

      „Lass gut sein, Hotte. Ist genug für heute!“ „Ein Bierchen noch!“, lallt es zurück, doch sein Gegenüber schüttelt resolut den Kopf. „Nein, für heute ist Schluss! Komm, geh nach Hause!“ Mit diesen Worten schiebt der Wirt ihn sanft aber energisch in Richtung Straße. Horst Schulze wehrt sich nicht, fuchtelt nur ziemlich ungelenk mit seinen Armen, brabbelt nur etwas Unverständliches. Dann schließt sich hinter ihm die Tür. „Frechheit! Jahrelang habe ich für euch die Drecksarbeit gemacht und jetzt kriege ich noch nicht einmal einen Scheidebecher …“ Er deutet einen unbeholfenen Mittelfinger in Richtung der Eingangstür an: „Dann eben nicht. Gehe ich eben woanders hin und lasse dort mein Geld!“ Dass sich in seinen Taschen kein einziger Cent mehr befindet, registriert er nicht. Ebenso nicht das Kopfschütteln, das Grinsen der ihm entgegenkommenden Passanten. Scheinbar zielstrebig torkelt Schulze die Memhardtstraße in Richtung Rosenthaler Straße hinunter. Sein schwankender Gang nimmt fast den ganzen Bürgersteig für sich ein. „Frechheit …“, murmelt er immer wieder vor sich hin. Ja, er kannte bessere Zeiten. Doch sind diese lange her, sehr lange her. Gefühlt lebt er jetzt in einer neuen Welt, mit der er noch immer fremdelt. Zu Ostzeiten - ja, da war er wer! Da hatte er Geld, hatte Einfluss, war ein wohl gelittenes Mitglied der Gesellschaft! Groß von Statur, schlanke Figur – kurzum: Er war ein Hingucker! Die Frauen sahen ihm verschämt nach, wenn er mit den beiden weißen Königspudeln Schita und Alfons seinen Auftritt im Park oder auf dem Boulevard hatte. Und er erwiderte nur zu gerne ihre sehnsüchtigen Blicke. Gerade diese weiblichen Wesen waren es, die auch seinen Untergang einläuteten. Die Frauen und der Alkohol, eben jene äußerst gefährliche Mischung, die selbst den stärksten Charakter ins Verderben führen kann.

      In der Gaststätte „Zur Münze“ hatte er seine Lehrausbildung im Gaststättenbetrieb Mitte II begonnen und sich bis zum Oberkellner hochgearbeitet. „Siebzehn Jahre lang! Und nun noch nicht mal ein Bier. Scheiß Wende!“ Schulze machte keinen Hehl aus seinen kruden Ansichten. Konsequent machte er den Untergang der DDR für sein persönliches Schicksal verantwortlich, ohne jedoch einzusehen, dass er bereits Jahre davor selbst, Stück für Stück, den Grundstein für sein Scheitern gelegt hatte.

       Und damals? Damals war er jemand. Fachlich völlig überqualifiziert für diese Kneipe. Hätte im gegenübergelegenen Hotel „Stadt Berlin“ arbeiten können! Und was mache ich Idiot? Bin denen treu geblieben, bis zum Schluss! Und jetzt einen Arschtritt, noch nicht mal ein kleines letztes Bier!

      Die Wirklichkeit, die Schulze immer wieder erfolgreich verdrängte, sah allerdings anders aus. Gewiss – er hatte gutes Geld verdient. Offiziell nur die Vierhundertfünfunddreißig, aber dazu kam das viele Trinkgeld! Wenn er nicht mindestens einen spendierten Hunderter pro Schicht in der Tasche hatte, war das fast ein Grund zum Heulen. Am Ende des Monats verfügte er über mehr als ein Chefarzt an der Berliner Charité. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass der sein Gehalt vielleicht in den Bau eines Eigenheims oder ein neues Auto steckte, während Schulze es in die nächste Nachtbar trug, um es dort mit einer seiner unzähligen Damenbekanntschaften zu verprassen. Seine Mottos waren schlicht: Egal. Am nächsten Tag gibt’s neues Geld. Es lebe die Liebe und der Suff! Man lebt ja nur einmal. Und zum Sparen bin ich eben nicht geboren. Dass er schon damals ein gehöriges Alkoholproblem hatte, würde er nie zugeben. Und dieses Malheur verstärkte sich, als seine Frau endlich genug von seinen Eskapaden hatte. Es genügte ihr nicht mehr, dass sie im „Delikat“ oder im „Intershop“ ihre privilegierten Waren bezog. Zu lange hatte sie geduldet, dass er Nacht für Nacht eine Alkoholfahne als Souvenir mit nach Hause brachte. Der Herr Fahnenträger zog es auch manchmal vor, aushäusig zu nächtigen. Etliche Male hatte sie ihn angeschrien, sie hatte ihn angefleht. Vergeblich. Seine wortreichen Entschuldigungen und die Versprechen auf Besserung wurden durch seine Rückzieher zunichte gemacht. Manchmal hatte er sein Gelöbnis sogar für zwei Wochen durchgehalten, das andere Mal schon am nächsten Tag alle Vorsätze gebrochen. Schließlich gab sie es auf. Ruth Schulze packte ihre Sachen, nahm Schita und Alfons an die Leine und verschwand. Zwei Wochen später reichte sie die Scheidung ein. Schulze wusste nicht, was ihn härter traf, der Verlust seiner Frau oder der seiner geliebten Hunde …

      Doch, anstatt zur Vernunft zu kommen, ließ er sich jetzt erst richtig gehen, versank quasi in Bier und Schnaps. Seine Körperpflege beschränkte er auf ein Minimum. Dass er ein Alkoholproblem hatte, bestritt er vehement, wenn man ihn darauf ansprach. Er wolle nur Spaß haben und das freie Leben genießen. Es war mit der Weile zur Routine geworden, so dass sein Gaststättenkollektiv ihn vor die Schiedskommission seines Betriebes zerrte. Mehr als ein Verweis kam dabei aber auch nicht heraus. Kein Wunder - bei der Anzahl der „Sonnenscheinbrigaden“ in diesem Land! Mit der Wende zerplatzte dieser Bonus wie eine Seifenblase. Die „Münze“ wurde privatisiert und der „alte neue“ Chef war auf Imagepflege bedacht. Er wollte es partout nicht erlauben, alkoholisierte Angestellte, seien sie auch noch so qualifiziert, zu beschäftigen. So war es also nicht verwunderlich, dass man bei der überfälligen Personalreduzierung als Erstes an Horst Schulze dachte. „Aus finanziellen Gründen“ – so stand es auf dem Kündigungsschreiben. Selbstverständlich ging man „im Guten“ auseinander, schließlich war es ja die kommerzielle Schieflage der Firma und kein anderer Grund … Ja, die Wende. Die war schuld! Und er, Horst Schulze, würde mit seiner jahrzehntelangen Berufserfahrung, gepaart mit seinem Können, kurzerhand eine neue Anstellung finden. Das Gegenteil war der Fall. Nach mehreren vergeblichen Bewerbungen resignierte er schließlich. Die verdammte Wende war schuld! Ob es nun eine leise Hoffnung auf Wiedereinstellung oder die Sehnsucht nach alten Bekannten war, was Schulze immer wieder in seine alte Wirkungsstätte trieb, sei dahingestellt. Meist jedoch endeten diese Besuche mit dem bekannten Alkoholexzess.

      01.50 Uhr

      Horst Schulze hat die Rosenthaler Straße erreicht. Den Eingang zum U-Bahnhof Weinmeisterstraße lässt er rechts liegen und biegt schließlich in die Sophienstraße ein. Das Ziel


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