Aeternitas - Die komplette Trilogie. Sabina S. Schneider

Aeternitas - Die komplette Trilogie - Sabina S. Schneider


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erzählt? Warum habe ich meinen Schatz, einer meiner wenigen Erinnerungen, in die nicht einmal Dr. Philips eindringen konnte, an Adrian verraten? Ein unberührter Teil meiner Seele und meines Geist in dem Puzzlespiel der Psychiater und Doktoren. Wie oft haben sie mich Stück für Stück, Puzzle für Puzzle auseinandergenommen, jede Information, Erinnerung herumgedreht, analysiert und mich daran zweifeln lassen, was wirklich passiert ist, was eine verdrehte Wahrheit ist und was nur pure Fantasie, geboren aus dem Bedürfnis, etwas zu verarbeiten, an das ich mich nicht erinnere.

      In all den Jahren von Sitzungen, Beruhigungsmitteln und Medikamentenexperimenten war diese Erinnerung rein geblieben. Doch jetzt haben sie sich in diesem kranken Versuch, mich zu reparieren, sogar bis hierher durchgegraben. Mein Blick wird glasig und ich verliere den Kontakt zu dieser Welt. Alles um mich herum wird dunkel und verschwimmt. Zum ersten Mal habe ich keine Angst vor dem Nichts, wünsche es mir herbei, um darin zu vergessen, dass ich gebrochen bin, krank und verrückt. Ich schließe die Augen, will es willkommen heißen. Als mich eine Stimme erreicht. Tief und traurig: „Es tut mir leid, Emilia.“ Wer ist Emilia? „Ich wusste nicht … ich dachte nicht … ich wollte nicht in etwas eindringen, das dir Schmerzen bereitet.“ Schmerzen? Mir tut nichts weh. Ich fühle mich gut. Ich löse mich auf und alle Probleme mit mir.

      „Ich bin ein unsensibler Ochse. Deine Reaktion war so anders … süß und verletzlich, nicht taff und selbstbewusst. Das Gefühl, eine Stelle in dir zu berühren, die noch keiner zuvor gesehen hat, war unbeschreiblich.“ Bin ich süß und verletzlich? Ich war es einmal, früher … bevor … Meine linke Armbeuge brennt, als Erinnerungen wie Nadelstiche in mich eindringen. Schmerz und Verzweiflung packen mich. Doch auch das Gefühl, Leben zu wollen und frei zu sein von den Lederarmbändern. Leben und Freiheit … Eine unbändige Entschlossenheit erfüllt mich, verbrennt alle Ängste und verdrängt das Nichts. Ich will leben! Alles, was ich durchgestanden habe, darf nicht umsonst gewesen sein.

      Ich öffne die Augen und blicke in Adrians Gesicht. Er sitzt zusammengekauert ein Stück von mir entfernt und sieht mich ängstlich an. Entschuldigend. Ich wische mir über die Augen und lasse das kleine Mädchen, das die Geschichte über das Hängebauchschwein Fred geschrieben hat, wieder zurück in eine sichere Ecke meines Verstandes verschwinden. Lasse sie kurz mit ihrer Mutter den Zoo besuchen und das dicke, runde Schwein betrachten, das so hässlich ist, dass seine abstrakten Züge ihm wieder Schönheit verleihen. Dann stehe ich auf, suche Hamlet und presse beide Bücher an meine Brust.

      Ich spüre Adrians Blick auf mir, doch er sagt nichts.

      „Wollen wir die Tour fortsetzen?“, frage ich ihn und blicke ihm starr in die Augen. Er nickt, steht auf und bietet mir seinen Arm an. Als ich keine Anstalten mache, ihn zu ergreifen, werden seine Augen dunkel. Traurigkeit legt sich wie ein Schatten über ihn und ist doch gleich wieder verschwunden. Er lässt mir den Vortritt und ich gehe die Wendeltreppe hinunter. Die Bibliothek hat ihren Zauber für mich verloren … ihre Unschuld … und ich bin erleichtert, als sich die großen Flügeltüren hinter mir schließen.

      Schweigend gehen wir den Gang entlang und Adrian führt mich in einen Raum, der vollgestopft ist mit Instrumenten. Geigen, Gitarren, Trommeln, Schlagzeug, Flöten, Harfen, Trompeten, alles, was ich mir erdenken kann, befindet sich in diesem Zimmer. Ich erblicke sogar eine Sammlung von Triangeln. Gehört Gerta das Musikzimmer? Wie viele Instrumente kann sie spielen? Als hätte Adrian meine Gedanken gehört, sagt er: „Gerta hat die meisten der Instrumente nach Eden gebracht. Doch mit jedem Kandidaten sind neue hinzugekommen. Gerta liebt es, neue Instrumente auszuprobieren und zu erforschen. Ihr dabei zuzusehen, ist, als ob man ein autistisches Kind beobachtet, das völlig in seiner Welt gefangen ist. Nichts kann sie ablenken und sie hört nicht auf, bis sie es perfekt beherrscht.“

      „Welches von den Instrumenten ist von dir?“, frage ich und gehe zu den kleineren Blasinstrumenten, nehme eine kleine, abgegriffene Plastikflöte in die Hand. Meine Finger zittern und ich fühle mich aufs Neue geschändet. Zu meinen zwei Büchern gesellt sich die Flöte. Adrian kommentiert meinen Sammeltrieb nicht und sagt: „Ich bin recht unmusikalisch und kenne nur die üblichen Instrumente. Ein paar der Musikstücke sind vielleicht auf meinen Mist gewachsen. Doch genau sagen, kann ich es nicht. Gerta hört sich die Lieder aller an und transferiert sie zu Noten für ihre Instrumente. Sie braucht sie natürlich nicht. Sie sind für uns, für den Unterricht.“

      „Den Unterricht?“, frage ich und gehe zu einem Tisch voller Notenbücher. Zwei liegen ganz oben. „Die kleine Nachtmusik“ und „Beethovens 9“. Mir wird kalt und ich streiche über die frisch geschriebenen Buchstaben. Zwei Lieder aus meiner Vergangenheit. Zwei Stücke, die mein Vater immer und immer wieder gehört hat. Stundenlang. Ich ziehe meine Finger zurück, als hätte ich mich verbrannt. Das hier muss meiner Fantasie entsprungen sein. Niemand weiß diese Dinge über mich. Zumindest kein Arzt. Entweder haben sie neue Methoden entwickelt, mich zum Sprechen zu bringen, oder diese ganze Welt ist reine Fantasie. Dann sehe ich etwas, das ich nicht zuordnen kann. Ich kann nicht einmal sagen, ob es zur Einrichtung gehört oder ein Instrument ist.

      „Das Ding kann nur Gerta bedienen. Es hört sich an wie eine Mischung aus Trompete und Saxophon. Sie nennt es ein Sofret … oder so ähnlich.“ Ich nehme mir vor, bei nächster Gelegenheit in die Bibliothek zu gehen und mir ein paar Bücher zu schnappen, deren Titel mir absolut nichts sagt. Wir gehen zum nächsten Zimmer. Adrian ist für seine Verhältnisse still und zuvorkommend. Er hält mir Türen auf, berührt mich nicht, gibt mir genug Raum zum Atmen und langsam entspanne ich mich.

      Eines der Zimmer ist komplett aus Spiegeln. Hier und da sind lange Stangen verteilt. Horizontale und auch Vertikale. Adrian lächelt, als er mein überraschtes Gesicht sieht und sagt einfach nur: „Harriett.“ Macht sie neben Ballett auch Poledance, frage ich mich und kann ein leises Lächeln nicht unterdrücken.

      Danach betreten wir das schönste Zimmer, das ich bisher gesehen habe, nachdem die Bibliothek ihren Zauber verloren hat. Es herrscht ein geordnetes Chaos. Einzelne Tische stehen im ganzen Raum verteilt. Alle individuell und schön. Auf einem kleinen Tisch, aus dunklem Holz und mit Schnörkeln verziert, liegen Pergamentblätter, ein Tuschefässchen und eine lange, weiße Feder, deren Ende angespitzt und schwarz eingefärbt ist. Auf einem einfachen Tisch aus hellem Holz steht eine Schreibmaschine. Ein Laptop ziert einen gläsernen Tisch. Die restlichen Geräte erkenne ich nicht, bin mir jedoch sicher, dass sie einem Zweck dienen: dem Schreiben. Die Wände sind voll von Gemälden und Poster, deren Darstellungen und Abbildungen sich stetig ändern.

      Eine Wand besteht aus einer kompletten Fensterfront und die Landschaft dahinter wechselt kontinuierlich. Ein rauschender Wasserfall ist zu sehen und zu hören, dann ein Urwald mit riesigen Bäumen. Vögel zwitschern und leise Tierrufe hallen durch das sanfte Prasseln von Regen. Ein Feld voller wilder Blumen. Dann sind plötzlich hunderte Bilder von Mandy zu sehen. Und ich weiß, ich befinde mich in Nikks Raum. Die Erkenntnis nimmt mir den Atem, als sich sein Gesicht mit allem, was sich hier befindet, verbindet und seine Züge mehr Charakter bekommen. Eine einseitige Intimität entsteht, die mir unangenehm ist. Ich möchte nicht so tief in ihn dringen, ohne dass er es weiß, ohne die Erlaubnis erhalten zu haben.

      Abrupt drehe ich mich weg, will fliehen und das Gesehene vergessen. Die Wandelbarkeit seines Wesens und den Kern seiner Leidenschaft vergessen. Doch wir durchschreiten die Tür wenige Sekunden zu spät. Die Glaswand wird zu einer riesigen Leinwand und ich sehe, wie eine Elfe in einem weißgrünen Kleid die Treppe heruntersteigt. Wortlos starre ich sie an. Ein zartes Leuchten umgibt sie, hebt sie über alles Weltliche und verleiht ihr eine unbeschreibliche Heiligkeit. Mir wird schlecht. Auch wenn mir nie solch eine Anmut aus dem Spiegel entgegengeblickt hat, weiß ich, dass ich das bin. So wie Nikk mich sieht.

      Adrian flucht, schmeißt die Tintenfässchen um, ergreift meinen Oberarm und zerrt mich grob aus dem Zimmer. Es ist das erste Mal, dass er mich seit dem Vorfall in der Bibliothek berührt. Meine Wangen brennen und ich kann nicht verhindern, dass mein Herz einen freudigen Sprung macht. Der Wunsch, ich könnte das perfekte Wesen sein, das Nikk in mir sieht, keimt in meiner Brust. Adrian lässt mich los, doch meine Haut brennt noch dort, wo er mich gepackt hat.

      Wir besuchen noch das Sportquartier. Es ist neutraler Boden und ich bin froh darüber. Ich weiß nicht, was ich denken oder fühlen soll, brauche Zeit, um alles zu verarbeiten.


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