"Die Stunde des Jaguars". Jens Petersen
„Teniente Mantega.“
„Sie halten den Mann für fähig genug und für zuverlässig?“
„Ich denke ja.“
„Was heißt, ich denke?“
„Also eindeutig ja, er hat bewiesen, dass er beides ist.“
„Na gut, das genügt mir vorerst. Sie melden sich dann bitte umgehend auf dem Zimmer, welches ich Ihnen hier notiere.“
(Ist mir alles andere als klarer geworden, was die hier eigentlich von mir wollen.)
Im Gegensatz zu dem regen Betrieb, den er zuvor im Regierungspalast beobachten konnte, wirkte dieser Seitenflügel des riesigen Gebäudes fast ausgestorben. Nur seine eigenen Schritte hörte er von den Wänden des langen Gangs widerhallen. Was ihm gleich seltsam vorkam, auf dem Zettel stand nur eine Zahl, die Zimmernummer. Als er die so bezeichnete Tür gefunden hatte, stand auch daneben kein Name, wie sonst überall.
Eine Vorzimmerdame versicherte ihm, dass er hier richtig sei und bat ihn, auf der Sitzgelegenheit im Gang Platz zu nehmen, bis er aufgerufen würde.
Dort saß er jetzt schon zwei Stunden. So etwas wie Heiterkeit überkam ihn.
(Was immer die mit mir vorhaben, diesen Trick kenne ich ja nun selber. Den Wartenden so lange weich schmoren lassen, bis er dann leichter zu bearbeiten ist. Nun ja, was immer die sich davon versprechen, sollen sie doch, wenn es ihnen Spaß macht, oder wenn sie meinen, sie müssten das. Für mich sind das Spielereien, die mich herzlich wenig beeindrucken.)
Als er endlich hereingebeten wurde, und die Vorzimmerdame ihm die Tür zum nächsten Raum öffnete, sah er hinter dem Schreibtisch einen Mann mittleren Alters in Zivil. Nur mit einer knappen Geste deutete der auf die Sitzgelegenheit vor ihm, ohne den Blick zu heben oder ihn auch nur anzusehen. Cuevas wurde das Gefühl nicht los, dennoch beobachtet zu werden. Weder sich selbst vorgestellt noch Cuevas begrüßt hatte er. Auch das sonst übliche Namensschild war nirgends auszumachen. Endlich blickte er von den offenbar wahnsinnig spannenden Akten auf und offerierte ein joviales Lächeln.
„Señor Cuevas.“
(Ziemlich ungewöhnlich. Sonst wird man von den Offiziellen doch stets mit dem Dienstgrad angesprochen. Auch fällt mir auf, er denkt offenbar überhaupt nicht daran, sich selbst vorzustellen.)
„Sie werden hier in der Beurteilung als korrekt, intelligent und ehrgeizig beschrieben.“
Ohne eine Antwort darauf abzuwarten fuhr er fort.
„Dass es bei diesem, von Ihnen untersuchten Fall in Sonoyta, sich nicht um einen gewöhnlichen Mord handelt, ja, dass da womöglich noch ganz andere Dinge im Spiel sind, das ist Ihnen, wie ich aus Ihrem Bericht ersehe, auch schon aufgegangen.“
„Das sehen Sie absolut richtig.“
„Sie entsprechen dem, was wir brauchen. Großes Aufsehen wollen wir vermeiden. Keinen hohen Dienstgrad oder sonst eine hochkarätige Person wollen wir da in Erscheinung treten lassen. Es soll so aussehen, als wenn ein einfacher Polizist weiterhin der Aufklärung eines Mordfalles nachgeht.
Um Ihnen die erforderlichen Informationen mit auf den Weg zu geben: Der Tote, Señor Gonzalves, war bei seinen Forschungen auf eine brisante Sache gestoßen. Was, das wissen wir leider noch nicht. Dies herauszufinden soll Ihre Aufgabe sein. Es muss von ziemlicher politischer oder auch wirtschaftlicher Bedeutung sein. Sonst wären nicht die Nordamerikaner schon dahinter her. Möglich auch, dass da wer mit Geld gewinkt hatte. Wenn dem nicht so wäre, hätte er nicht ein dringendes Interview mit der Los Angeles Post versucht. Er muss wohl irgendeine empfindliche Stelle getroffen haben. Oder er hat am falschen Ort die falschen Worte fallen lassen. Sonst wäre er wohl noch am Leben. Der Mörder wird bei dem, von Ihnen geführtem Verhör, etwas Falsches angegeben haben. Nicht auszuschließen auch, dass er selber etwas anderes vermutete als das, was wirklich Gonzalves entdeckt hatte. Ach ja, und mit Sicherheit wird Gonzalves Notizen gemacht haben, die der Mörder an sich genommen hat. Auf jeden Fall möchten wir, dass Sie den Spuren von Gonzalves folgen. Wir wissen, er forschte längere Zeit über die Lacandonen im Urwald von Chiapas. Vieles spricht dafür, dass er auch jenseits der Grenze in Guatemala war, aber womöglich auch in Peru und wer weiß wo sonst noch.
Auch wenn es Ihnen noch gelingen sollte, den Mörder zu überführen, so versprechen wir uns davon keine sonderlichen Erkenntnisse. Höchstwahrscheinlich weiß der nur wenig, wenn nicht gar Falsches. Selbst Gonzalves scheint nicht das Ganze erkannt zu haben. Sie sehen, da wartet reichlich Arbeit auf Sie. Folgen sie, soweit wie möglich den Spuren Gonzalves, wohin auch immer diese Sie führen mögen, und sehen Sie zu, dass Sie noch mehr herausbekommen. Cuevas ahnte in diesem Moment noch nicht, dass es eine Idee war, die er hier aufspüren sollte. Sein Gegenüber schien eine vage Vorstellung in dieser Richtung zu haben, hatte er doch Erfahrung im Umgang mit solchen.
Und noch was, schicken Sie keine Berichte von unterwegs, egal ob schriftlich oder telefonisch. Das könnte zu leicht in die falschen Hände bzw. Ohren geraten. Es genügt, wenn Sie uns von Zeit zu Zeit wissen lassen, wo Sie Sich gerade aufhalten. Wir haben außerdem überlegt, ob wir Sie zum Schutz bei Nachforschungen im Ausland noch mit einem zweiten, einem Diplomatenpass ausstatten sollten. Davon abgesehen haben wir, weil er auch das Gegenteil bewirken könnte. Wenn es darauf ankäme, hätte man relativ leicht Ihre wahre Identität ermittelt. Die Folge wäre, man würde Sie für einen Geheimdienstler halten.“
Der Gedanke schien ihn zu belustigen.
„Nun ja“,
lächelte er,
„de facto werden Sie etwas Ähnliches sein.“
„Darüber hinaus erhalten Sie ein großzügiges Spesenkonto in Dollar. Ich weiß, eine genaue Abrechnung ist unter diesen Umständen nicht möglich. Normalerweise werden Sie damit mehr als gut auskommen. Aber denken Sie auch daran, hin und wieder sind unvorhergesehene Ausgaben sogar lebensnotwendig. Sie wissen schon, was ich meine.
Ihr Schlussbericht geht an mich, und zwar nur persönlich hier abzugeben. Zeigen Sie ihn niemandem, auch keiner Amtsperson!
Und erzählen Sie alles, so wie Sie es erleben, in Ihren Worten, auch wenn es scheinbar nichts mit dem Aufzuklärenden zu tun hat. Das Letzte, was ich sehen will, wäre eine dieser stinklangweiligen Auflistungen im Behördenjargon.
Die nötigen Unterlagen erhalten Sie nebenan im Vorzimmer. Dann kann ich Ihnen nur noch viel Glück wünschen. Enttäuschen Sie uns nicht!“
Cuevas konnte nicht ahnen, wie sehr sich sein Leben ändern und welch großartige Zeit damit für ihn beginnen sollte.
Beginn der Regenzeit
Schwül und stickig war es, als er den Bus verließ. Eine Wolke von Fliegen nahm sich umgehend seiner an. Mit beiden Händen vor dem Kopf fuchtelnd beschleunigte Cuevas seinen Schritt.
Außer ihm waren nur wenige ausgestiegen. Schon bald hatte er die Gewissheit, niemand würde ihm folgen. In den oft unübersichtlichen Menschenmengen der Hauptstadt hätte er sich dessen nie sicher sein können. Hier jedoch war alles viel überschaubarer.
Beim Mittagessen, in einem einfachen, volkstümlichen Restaurant, in der Nähe seines Hotels, hatte er nach reiflichem Überlegen beschlossen, in einer dieser kleinen, idyllischen Kolonialstädte erst einmal Station zu machen. Seine Wahl war auf San Miguel gefallen, welches er mit Sicherheit noch vor der Dämmerung erreichen würde. In Ruhe wollte er die weiteren Schritte hier überdenken. Seine Entscheidung hatte sich als richtig erwiesen. Die Stadt gefiel ihm auf Anhieb. Alles war geruhsam und übersichtlich. Hier würde er die nötige Muße finden.
(Wozu eigentlich soll ich mir diese weite Fahrt noch einmal antun? Die zwei nicht endenden Tage und die Nacht dazwischen kann ich mir sparen. Was meinen Auftrag betrifft, so wird in Sonoyta am wenigsten zu erfahren sein. Für den Fall, dass auch dort irgendwelche Typen darauf angesetzt sind mich zu observieren, sollen sie doch in Sonoyta so lange herumlauern wie es ihnen beliebt. Hier werden sie mich jedenfalls nie vermuten.