"Die Stunde des Jaguars". Jens Petersen


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Dave, der keine Möglichkeit hatte diesem unangenehmen Mundgeruch zu entkommen.

      (Hat dieser Alptraum überhaupt noch ein Erwachen? Mir geht die Kraft aus, mich zu wehren. Wenn doch irgendwo ein Ausweg zu erkennen wäre.)

      „Hast du mich nicht gehört?“

      Dann mit verstärkter Stimme:

      „Also, jetzt raus mit der Sprache. Wer war noch dabei, bei eurem Komplott?“

      Als könnte sein System es nicht mehr ertragen, war in Dave das Grauen einer matten Resignation gewichen.

      (Nur noch in Ruhe gelassen werden will ich. Alles andere ist mir egal.)

      Endlich brachte er doch kaum vernehmbar eine müde gehauchte Antwort hervor.

      „Welches Komplott?“

      „Stell dich nicht dumm! Du hast ja gesehen, wie wir deinem Gedächtnis nachhelfen können. Also was ist? Dass ihr eine Versammlung klerikal konservativer Ultras wart, wissen wir bereits. Und auch, dass ihr in diesem Kellergewölbe ein vaterlandsverräterisches Komplott geschmiedet habt mit dem Ziel, unseren geliebten Präsidenten und Generalissimo zu stürzen.“

      Nach einer Weile, in der er offenbar vergeblich auf eine Antwort gewartet hatte, setzte er noch hinzu:

      „Deine Chance ist es jetzt, uns zu informieren, wer daran alles beteiligt war.“

      Vollends verwirrt musterte Dave seine Umgebung. Heller beleuchtet wurde zwar die ganze Szenerie, anstatt mit Fackeln jetzt durch elektrische Lampen mit einem Gitterüberzug an der Decke. Irgendwer hatte Kolonnen von parallelen Strichen in die Farbe der Wand gekratzt, wie eine Zahlenreihe. Etwas in ihm hatte es aufgegeben, auf diesen Wahnsinn noch zu reagieren. Er hatte sich innerlich einfach ausgeklinkt. Was sollte er auch sagen? Es war ohnehin alles sinnlos.

      „Na, wird´s bald“,

      unterbrach ihn wieder die schnarrende Stimme.

      „Von mir aus. Was wollt ihr denn hören?“

      „Wie oft soll ich es noch sagen? Wir wollen von dir hören, welche alle daran beteiligt waren, und zwar ausnahmslos. Uns kannst du nichts vormachen. Wir kriegen es sowieso aus dir heraus, lückenlos bis auf den letzten. Also wird’s jetzt endlich? Du hast jetzt die Chance. Wenn du kooperierst, wird dir ein ehrenhafter Tod durch Erschießen gewährt. Bleibst du jedoch weiter uneinsichtig, so droht dir der unehrenhafte Tod durch Erhängen!“

      Der Auftrag

      Die schneebedeckten Gipfel des Ixtaccihuatl und des Popocatepetl glitzerten im Sonnenlicht über der Hochebene von Anahuac. In der dünnen Luft wirkten sie näher, als schwebten sie über der Stadt. In Wahrheit bildeten sie den Abschluss dieses weiträumigen Tales, seit jeher Zentrum des Landes. Dessen Mitte und Höhepunkt war einst der türkisfunkelnde Texcoco-See, umgeben von etlichen Städten, Residenzen der verschiedensten Völker. Mitten im See und durchzogen von Kanälen die größte und prächtigste dieser Städte, Tenochtitlan. Auch in Umfang und Einwohnerzahl entsprach sie in etwa Venedig. Bernal Diaz del Castillo, der Chronist der Eroberung, schrieb:

      „Als wir diesen wunderbaren Anblick gewahrten, standen wir völlig sprachlos da und wussten nicht, ob das, was wir schauten Wirklichkeit war. Auf der einen Seite waren auf dem Lande große Paläste und noch mehr draußen auf dem See zu sehen, es war da ein breiter Damm, unterbrochen von vielen Brücken, und vor uns lag die prächtige Stadt Tenochtitlan, gleich der verzauberten Stadt, von der die Sage von Amadis erzählt, die aufsteigt aus dem Wasser mit mächtigen Türmen und Steinpalästen. Große Boote konnten vom See in die Gärten fahren. Alles war aus Stein und prachtvoll geschmückt mit Wandbildern, viele Monumente waren da, und ich dachte, dass nirgends auf der Welt ein schöneres Land wie dieses entdeckt werden würde. Von all diesen Wundern, die ich damals schaute, ist heute nichts mehr geblieben, alles ist vernichtet und verschwunden.“

      Zerstört war dieses Juwel, ausgetrocknet der See und die ganze Fläche überwuchert von der Megametropole. Immer noch wuchs sie weiter, hinaus über die ehemaligen Städte an den Ufern des Sees, heute nur mehr Namen von Vororten oder von Metrostationen.

      Cuevas schlenderte den achtspurigen Paseo de la Reforma entlang. Ein sonniger Tag war es, und er genoss das Erkunden dieser riesigen Stadtlandschaft. Schon immer wollte er sich einmal die Hauptstadt ansehen. Aus diesem Grunde war er auch einige Tage früher gefahren.

      Ein dubioses Schreiben seiner obersten Behörde, der Zentrale aller Polizei im Lande, gab ihm die überraschende Gelegenheit. In diesem Brief wurde er aufgefordert, sich an dem besagten Tage um 15 Uhr im Regierungspalast zu melden. Eine Begründung war nicht angegeben, aber in der Anlage ein regierungsamtliches Freifahrtpermit, gültig für alle öffentlichen Verkehrsmittel in Mexiko, sowie die Reservierung in einem kleinen, aber wie sich herausstellte, sehr properen Mittelklassehotel im Zentrum, nahe dem Alameda Park.

      Natürlich fragte er sich, was die von ihm wollten. Je mehr er darüber grübelte, und schon während der langen Busfahrt, einen Tag, eine Nacht und noch einen Tag, hatte er reichlich Gelegenheit dazu, es ergab einfach keinen Sinn. Er, ein unbedeutender Polizist, Comisario einer kleinen Station im Grenzgebiet des äußersten Nordens der Republik, er musste für die in der Zentrale ein absolutes Nichts sein. Einziger Anhaltspunkt wäre dieser Fall Gonzalves. Er hatte schon gleich den Verdacht, dass es damit mehr auf sich hätte, als der erste Anschein erkennen ließ. Aber, dass es solche Kreise zog? Es könnte nur damit zu tun haben, nichts anderes wollte ihm einfallen.

      Der Reichtum und die Vielfalt indianischer Kulturen hatten Cuevas schon immer fasziniert, und er hatte so manches darüber gelesen. Was er aber im Museo Anthropologico, der weltweit größten Sammlung präkolumbianischer Kulturen zu sehen bekam, war weit mehr als seine Vorstellung ihn vermuteten ließ.

      Als im Jahre 1492 Cristobal Colon, ein genuesischer Seefahrer im Dienste der spanischen Krone, glaubte diesen Kontinent entdeckt zu haben, war er bereits seit 15.000 Jahren besiedelt. Von Auswanderern aus Asien, die über die damals noch intakte Landbrücke der Aleuten kamen, ebenso wie von Flüchtlingen aus dem Südpazifik, die an den Küsten Perus landeten. Entdeckt hatten ihn auch schon 500 Jahre vor ihm Wikinger unter der Führung von Leif Erikson, und möglicherweise noch früher Phönizier, Ägypter sowie von der pazifischen Seite her die Expedition des Chinesen Zheng He.

      Das heißt genau genommen glaubte Cristobal Colon oder Kolumbus, wie er genannt wurde, zeit seines Lebens, bei seiner Landung an einer der Bahamasinseln und später in Kuba die östlichen Ausleger Indiens erreicht zu haben, weshalb er die Bewohner Indianer nannte.

      Erst dem italienischen Forschungsreisenden Amerigo Vespucci ging bei seinen ausgiebigen Fahrten entlang den Küsten Südamerikas ein Licht auf, dass es sich hier offenbar um einen Kontinent handelte.

      Als der deutsche Kartograf Waldseemüller all die von verschiedenen Reisenden erforschten Gebiete erstmals zusammenfasste, gab er diesem neuen Gebilde den Namen Amerika, im Gedenken an den Vornamen dieses Forschers.

      Auf Kuba etablierte sich zuerst eine spanische Besiedelung mit entsprechender Verwaltung.

      Von hier aus brach auch Hernan Cortez auf zu weiteren Eroberungen nach Westen, angelockt durch Gerüchte über große Reiche und vor allem große Reichtümer. Seine Mannschaft bestand keineswegs nur aus edlen Rittern. Vornehmlich übles Gesindel bis hin zu Kriminellen, erhoffte sich hier neben einem Abenteuer den Gewinn schnellen Reichtums.

      Als sie 1519 an dem Küstenabschnitt Mexikos landeten, den heute die Stadt Vera Cruz einnimmt, ließ Cortez, um jede Abtrünnigkeit zu verhindern und seine Mitstreiter zu einem bedingungslosen Alles oder Nichts zu zwingen, die Schiffe verbrennen.

      Das zentrale Mexiko bestand zu dieser Zeit aus mehreren Königreichen verschiedener Völker, überwiegend kultiviert, geordnet und wohlhabend, aber der Hegemonialmacht der Azteken untertan. Deren reiche Hauptstadt Tenochtitlan, auf den Inseln des Texcoco-Sees gelegen, wäre auch in Europa eine der prächtigsten gewesen.

      Die Indianer kamen den europäischen Fremden freundlich und mit Geschenken entgegen. Natürlich waren auch


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