"Die Stunde des Jaguars". Jens Petersen


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machte er sich Vorwürfe, den Alten nicht weiter festgehalten zu haben. Sinnlos wäre jetzt eine Suche per Steckbrief. Das konnte er von vornherein vergessen, auch wenn er ein Foto bekäme und es in allen Polizeistationen aushänge. Die Beschreibung würde wenigstens auf einige Hunderttausend ältere Indianer passen.

      Bei Nachfrage in dem angegebenen Heimatdorf erfuhr er, dass es dort einen Juan Albanil gab, seines Zeichens Medizinmann. Der Haken war nur, dieser verdammte Brujo war schon vor 200 Jahren gestorben

      Der Obsidianspiegel

      Als am frühen Nachmittag die Vernehmungen in Sonoyta endlich beendet waren, hatten alle es auffallend eilig, sich in Richtung USA abzusetzen. Niemand bemerkte, wie der alte Indianer verschwand in dem Bus für die Gegenrichtung. Wohl auch, weil niemand damit gerechnet hatte, waren sie doch alle dorther gekommen.

      (Wie fixiert sie alle sind auf ihre Weiterfahrt, froh den polizeilichen Untersuchungen endlich heil entkommen zu sein. Ein typischer Fall von einseitig orientierter Aufmerksamkeit, die sie für alles andere blind macht. Mir gab es die Gelegenheit unbemerkt im lokalen Bus zu verschwinden.

      Sieh mal an, diesem Hoffnungsträger ist es als Einzigen nicht entgangen. Schon seit Guaymas folgt er mir und glaubt allen Ernstes ich merke es nicht. Jetzt gerade ist er ganz verstohlen bei der hinteren Tür eingestiegen. Was er will ist offensichtlich. Möglich, dass dieser kalifornische Student tatsächlich der Andere ist, den die Gelegenheit mir zuspielt. Aufmerksam und für einen Gringo ungewöhnlich ausdauernd ist er schon. Vorerst jedoch werde ich ihn weiter im Auge behalten, während er meint mich zu beobachten).

      Bei den einfachen Bussen wie diesem, die den ländlichen Bereich bedienen, konnte man auch hinten einsteigen. Neben dem Fahrer war stets noch ein Zweiter im Wagen, der durchging und kassierte.

      (Zum Glück sitzt er ganz vorne. Da wird er nicht gesehen haben, wie ich hinten einstieg. Es ist noch spannender, als ich es mir vorgestellt hatte. Keine Ahnung wie es weitergeht. Dranbleiben ist vorerst die Devise.)

      „Wohin ich will?“

      (Woher kann ich wissen, wo der aussteigen wird? Am besten ist….)

      „Ja, lösen Sie mir bis Endstation.“

      (Was soll´s? Da kann jedenfalls nichts schief gehen.)

      Quälend langsam zog sich die Fahrt dahin. In jedem Ort wurde gehalten, oft auch noch langwierig verhandelt über den Preis für größeres Gepäck.

      Die Nacht hatte sich bereits über das Land gesenkt, als in einem dieser nichtssagenden Kaffs das Objekt von Daves Observierung ausstieg. Zum Glück ging dieser gleich um die nächste Ecke, so dass er nicht sehen konnte, wie Dave ebenfalls ausstieg, um ihm vorsichtig zu folgen.

      (Wie nicht anders zu erwarten, ist er auch ausgestiegen bei der rückwärtigen Tür. Ich höre es an seinen Schritten. Denn soll es wohl so sein, dass er der gesuchte Andere ist. Ich werde jetzt im Ort ein wenig mehr als nötig umhergehen, um dann hinter einer Ecke ihn auflaufen zu lassen. Wie auch immer, der Test mit dem Obsidianspiegel wird mir genaueres sagen.)

      Der kleine Platz, an dem der Bus hielt, war gerade noch durch zwei Laternen spärlich beleuchtet. Die Gassen dahinter blieben dunkel und verlassen. Kein Mensch war zu sehen zwischen diesen schmucklosen Wänden ärmlicher Häuser. Die meisten lagen verborgen hinter hohen Mauern mit abfallendem Putz oder überhaupt nur aufeinander gesetzten Feldsteinen. Einige wirkten schon halb verfallen. Auch wenn dahinter in manchen Fenstern noch Licht brennen mochte, so gelangte es nicht bis auf die Wege. Nach all den Ecken und Abzweigungen war es nicht einfach, den Verfolgten im Auge zu behalten ohne selber aufzufallen.

      (Verdammt! Ich fürchte, jetzt habe ich ihn doch verloren. Was macht überhaupt diese steinerne Statue hier hinter der Häuserecke? Um ein Haar wäre ich dagegen gerannt. In dieser Dunkelheit sieht man ja nicht mal….Oh nein, - nein! Das ist er! Warum steht er so regungslos wie erstarrt da, wie eine antike Plastik? Nur diese Augen! Sie starren mich unentwegt an. Mir ist, als tasten sie mein Gesicht ab. Überall, an allen Stellen. Wie lange geht das noch? Ich kann auch gar nichts sagen. Er muss die ganze Zeit gemerkt haben, dass ich ihm folgte. Unerträglich peinlich ist das. Wenn er wenigstens etwas sagen würde. Von mir aus soll er mich jetzt anschnauzen, herunterputzen, zur Minna machen. Wenn nur diese quälende Situation ein Ende nimmt.)

      Die Stimme war nicht kalt, nur so emotionslos wie beiläufig:

      „Nun gut, du sollst haben, was du suchst.“

      Dann drehte der alte Indianer sich um und ging wortlos weiter. Dave nahm das als Aufforderung, ihm zu folgen.

      Nicht lange, und sie hatten das Ende des Dorfes erreicht. Der ungepflasterte Weg führte weiter gerade hinaus, um sich leicht ansteigend zu verlieren in den kahlen Bergen. Nach wenigen Minuten hielt Juan vor einem einsamen, unbeleuchteten Haus an der linken Seite des Weges, so ärmlich und unscheinbar wie alle anderen, an denen sie vorbeigegangen waren. Immer noch wortlos öffnete er die Tür und schob Dave hinein.

      Ein anderer älterer Indianer saß in dem kahlen Raum an einem Tisch.

      „Das ist Benigno“,

      sagte Juan und zu diesem gewandt:

      „Das hier ist Dave.“

      Benigno nickte nur ohne aufzusehen und widmete sich weiter seinem Teller mit Frijoles.

      Erst wesentlich später kam es Dave in den Sinn:

      (Woher konnte der eigentlich meinen Namen wissen?)

      Juan deutete nur zu einem leeren Stuhl am gleichen Tisch und ging nach nebenan. Zurück kam er mit zwei Tellern Frijoles. Einen schob er Dave hin sowie einen Löffel. Jeder aß wortlos. Als sie damit fertig waren, unterbrach Juan das Schweigen.

      „Es wird eine längere Fahrt.“

      Und:

      „Wir müssen dir die Augen verbinden.“

      Nachdem sie ein Tuch um seinen Kopf so fest verknotet hatten, dass er auch bei bestem Bemühen weder irgendwo durchschauen noch etwas verschieben konnte, ohne jedoch das Atmen zu beeinträchtigen, führten sie ihn hinter das Haus und auf den Rücksitz eines Autos.

      Die Fahrt währte die ganze Nacht und den längsten Teil des folgenden Tages. Nur einmal unterbrachen sie für ein paar Minuten, vermutlich um den Fahrenden abzulösen. Zu Dave sagten sie, wenn er austreten müsse, wäre das jetzt die Gelegenheit. Dave hatte keine blasse Ahnung, wohin es ging, noch nicht einmal in welche Richtung. Aber er war in seinem Glück. Wie so manch anderer seiner Generation, hatte er jahrelang die Kultbücher von Castaneda verschlungen. Wie man so sagt, sie waren seine Bibel geworden. Jetzt endlich glaubte er erreicht zu haben, wovon die Anderen nur träumten.

      Unvermutet flackerte ihm dazwischen auch der Gedanke auf:

      (Was ist, habe ich mich vielleicht am Ende in die Hände des Mörders von Gonzalves begeben? Weiß ich, was diese beiden Typen mit mir vorhaben? Ich wäre denen, wenn es drauf ankommt, doch hoffnungslos ausgeliefert. Quatsch! Solche Ängste sind nur dazu angetan mir den ganzen Trip zu versauen.

      Ich bin dran! Ich bin dran!

      Das große Abenteuer, von dem die Anderen alle nur träumen, dem rolle ich jetztentgegen. Ist doch wohl klar, dass ich diese einmalige Chance auch genießen will.)

      Die Wunschvorstellung von dem so lang ersehnten großen Abenteuer erwies sich als übermächtig. Er war jetzt dran, in den Fußstapfen Carlitos. Keine noch so lange Fahrt vermochte diese aufregende Erwartung zu dämpfen. Vor lauter Erregung hatte er kaum Schlaf gefunden, verbrachte die lange Fahrt in den schillerndsten Tagträumen, von keinerlei Wahrnehmung getrübt.

      Die Beiden auf den Vordersitzen wechselten kein einziges Wort. Auch das Radio, so es denn überhaupt eines gab, blieb stumm. Das Tuch um seinen Kopf war so dicht, dass er nicht einmal in der Lage war, den Stand der Sonne als Orientierungspunkt auszumachen. Das Einzige was er wahrnehmen konnte, am Nachmittag des folgenden Tages hatten sie scheinbar die Asphaltstraße verlassen. Jedenfalls rumpelte der Wagen


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