"Die Stunde des Jaguars". Jens Petersen


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Wänden hing nur eine Tafel mit den Zeiten der Anschlüsse nach Santa Ana, Hermosillo, Puerto Peñasco und über Mexicali nach Tijuana. Verheißungen einer hoffnungsvolleren Welt.

      Passiert sein musste es, als alle wie gebannt auf den kleinen Jungen und den Vogel schauten. Verzweifelt versuchte Billy den alten Papagei zum Reden zu animieren. Der Ruf als ein Wunder an Sprachgewandtheit und Attraktion dieser Grenzstation hatte sich weit hinein auf der anderen Seite der Grenze verbreitet. Aber heute saß der berühmte Papagei stumm auf seiner Stange, schaute indigniert wie ein betagter Butler hocherhobenen Schnabels über den Jungen hinweg.

      Endlich ließ er sich herbei, um kurz und kategorisch zu krächzen: „Birds don´t talk!“ Nur um gleich darauf hinter die hereinragende Mauer zu flattern. Freudig hüpfte Billy hinterher. Dann ging alles ganz schnell. Billy quäkte in schrillsten Tönen und in vollster Lautstärke. Der Papagei stob davon in die Höhe, unentwegt vulgäre Schimpfworte von sich gebend. Mistress Blinton, Billies Mutter, schoss um die Ecke, ebenfalls in lautes Geschrei ausbrechend. Einer der mexikanischen Grenzbeamten eilte herbei und gab seine Flüche dazu. Kein Wunder, er wäre fast über Mistress Blinton gestolpert, die ihrerseits schon über die am Boden liegende Leiche gefallen war.

      Comisario Cuevas passte so gar nicht in das Klischee des desinteressierten, korrupten Latino-Polizisten. Er war diszipliniert, ehrgeizig und stolz. Er liebte sein Land und hasste Korruption, weil er wusste, dass diese es krank machte. Erwischte er einen seiner Leute dabei, so ließ er ihn seine Verachtung spüren, was hieß, eine Versetzung auf den unerfreulichsten Job.

      „Pass auf“,

      stupste mit seinem Ellenbogen Mantega den Neuen in die Seite.

      „Jetzt wo er sich in der Mitte aufgebaut hat, wird er gleich sagen: Mein Name ist Comisario Cuevas. Ich muss jeden von…“

      „Mein Name ist Comisario Cuevas. Ich muss jeden von ihnen einzeln verhören.

      Während dieser Zeit kann niemand das Gebäude verlassen.“

      Dann machte er eine längere Pause.

      „So fängt er immer an, der raffinierte Hund. Während wir hier neben dem Ausgang Wache stehen müssen, kann er in Seelenruhe alle beobachten. Das macht die meisten ziemlich nervös.“

      Die Gesichter verrieten Cuevas schon einiges, auch die Haltung, aber mehr noch die Reaktionen. Manche wirkten eingeschüchtert, andere verlegen, wieder andere trotzig oder aufbegehrend. Er ließ sich Zeit. Offenen Widerspruch gab es diesmal keinen. Nun gut, dann zur Sache, erst einmal zu dem Opfer.

      Die Papiere in seiner Jackentasche erlaubten es, den Toten schnell zu identifizieren. Ein gewisser Felipe Gonzalves aus Mexico-Stadt. Wie telefonische Nachfrage dort ergab, unbescholten und in keiner Weise bekannt. Er war Anthropologe an der Universität von Mexico, Forschungsgebiet: Die Lacandonen, ein Indianerstamm im Urwald von Chiapas, unweit der Grenze mit Guatemala. Einige Zeit hatte er als Gastdozent an der University of California in Santa Barbara verbracht. Wo man ihn mit dem Spitznamen „Speedy Gonzales“ neckte. Es half nichts, dass er nicht müde wurde zu korrigieren: „Gonzalves, nicht Gonzales!“ Sonst war er ein stiller, etwas schüchterner Typ, hatte keine Freunde, keine Schulden, keine Liebschaften. Ein blütenreines Leben als ein etwas introvertierter Wissenschaftler. Kein Motiv war zu erkennen, warum irgendwer ihn ermorden wollte. Als Todesursache war eigentlich nur eine winzige Stichwunde oberhalb der rechten Schulter in die Halsschlagader zu erkennen, vermutlich eine Injektion. Alles Weitere würde das Labor klären.

      Das Gepäck des Toten war ein üblicher, kleiner Reisekoffer mit der nötigen Wäsche. Wie sich bald herausstellte, wollte Gonzalves in die Staaten, um sich mit einem Redakteur der Los Angeles Post zu treffen. Der sagte am Telefon aus, er hätte einen Anruf von Gonzalves erhalten, der sehr aufgeregt wirkte. Es handelte sich angeblich um eine ganz brisante Sache. Aus dem verwirrten Gestammel wäre einzig klar nur rübergekommen: „Die Stunde des Jaguars“, vermutlich sowas wie ein Kennwort.

      Während seine beiden Männer weiterhin den Raum bewachten, auf dass sich keiner unerlaubt entferne oder sonst Verdächtiges tat, machte Cuevas sich daran im Büro der Grenzer einen nach dem anderen zu vernehmen.

      „Mrs.Blinton, sie hatten ja auch als Erste den Toten gesehen. Was war der Grund Ihres Aufenthaltes in Mexiko?“

      „Wir hatten meinen Bruder besucht, der an der Universität von Guadalajara tätig ist.“

      (Jedes Mal muss ich diese gleichen, stereotypen Fragen stellen. Alle Jubeljahr mag da vielleicht Verwertbares bei heraus kommen, ansonsten nur das große Gähnen.)

      „War Ihnen an dem Toten irgendetwas aufgefallen?“

      „Und ob! Mich überkam das nackte Entsetzen, als ich dieses Gesicht sah, verzerrt und leichenblass, wie man so sagt, von Grauen gezeichnet. Schrecklich, dass der kleine Billy so etwas mit ansehen musste! Die Augen waren seltsam verdreht und die Lippen blauschwarz verfärbt.

      (Wie der ausschaut, das sehe ich selber.)

      Da ich Krankenschwester bin, fand ich es auch höchst merkwürdig, dass die Leichenstarre schon eingetreten war, wo er doch erst seit einigen Minuten tot sein konnte.“

      (Na bitte, das ist doch schon mal erwähnenswert.)

      „Sonst noch etwas?“

      „Ja - Ach ja, noch was, - die Toilettentür stand offen, als wenn er da gerade noch herausgekommen wäre, bevor er zusammenbrach.“

      „Danke, Mrs.Blinton, das sind schon zweckdienliche Hinweise. Ist Ihnen sonst etwas aufgefallen, ich meine, hat sich irgendwer aus dem Raum entfernt, der Señor Gonzalves in Richtung Toiletten gefolgt sein könnte?“

      „Nein, darauf habe ich nicht geachtet, wir haben ja auch alle nur auf den kleinen Billy und den Papagei geschaut.“

      (Ja, ja der kleine Billy. Für mich wäre ja nun eine andere Blickrichtung erheblich interessanter.)

      Mr.Blinton hatte überhaupt nichts bemerkt.

      (Kann ich abhaken, genau wie seine Frau, harmlos und unverdächtig.)

      Als Nächsten ließ Cuevas den älteren Indianer ins Büro kommen und Platz nehmen. Während er ihn musterte:

      (Undurchsichtig kam der mir schon gleich vor. - Jetzt macht er hier auch noch auf einfachen Indio vom Lande. Ist ja interessant! Solch einen rückständigen Dörfler soll ich ihm also abnehmen. Sich dumm stellen, diese Masche kenne ich nun bis zum Abwinken. Gerade der hier ist alles andere als das. Aber was? Mehr noch, so ein unbekanntes Gefühl streift mich da, als wenn hier grundsätzlich etwas nicht stimmt. Zumindest nicht übereinstimmt mit bisherigen Erfahrungen.

      Na ja, ich kann ja erst einmal so tun, als halte ich ihn für das, was er mir vormachen will. Solche schlichten Wesen wären es dann gewohnt forsch und ein wenig von oben herab angefasst zu werden. Bitte sehr, kann er haben. Also dann:

      „Ausweis!“

      „Hm, Juan Albanil heißt du? Da ist aber kein Geburtsdatum angegeben! Wie alt bist du?“

      (Dieses Grinsen, welches er jetzt aufsetzt, soll wohl einfältig wirken. Aber ich behaupte, es ist hintergründig.)

      „Kann sein Sechzig.“

      (Das sagt er so, als wäre es ein großzügiges Angebot an mich. Klar, unbekanntes Geburtsdatum ist mir weder etwas neues, noch ungewöhnlich bei Indianern aus ländlichen Gegenden.)

      „Ach, und in die Estados Unidos wolltest du?“

      (Wer es glaubt, wird selig. Die lassen Typen wie ihn doch in die USA gar nicht erst rein.)

      „Und was wolltest du da?“

      „So, so, einen compadre besuchen.“

      (Was Besseres war ihm wohl nicht eingefallen. Oder sollte es nur nochmals mir die Naivität vorgaukeln? Moment, – wodurch war der mir doch gleich so merkwürdig vorgekommen? Ja, die Augen waren es. Die sehen alles andere als leutselig aus, passen so gar nicht zu dem, was er mir hier vormachen will. Sollte der vielleicht ein Brujo sein? –


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