"Die Stunde des Jaguars". Jens Petersen
in Berührung zu kommen. Danke, das Wenige was ich davon weiß und was so darüber geredet wird, das reicht, um die Finger davon zu lassen. Soviel zumindest ist mir bekannt, über diese Stämme hier im Norden, die Yaki, Seri oder Raramuri. Die hatten gelernt, in so einer kargen Landschaft zu überleben. Das archaische und entbehrungsreiche hatte sie ungewöhnlich hart gemacht. Auch die Azteken waren einst in diesen lebensfeindlichen Landen aufgewachsen, bevor sie in den freundlicheren Süden abwanderten.
Von den Seri war bekannt, dass sie Wild jagten, indem sie es zu Tode hetzten. Sie konnten so ausdauernd hinterherlaufen, bis das Tier völlig erschöpft zusammenbrach. Dann biss der Jäger ihm die Halsschlagader auf. Von Spaniern, die als Erste diese Gegend erkundeten, ist berichtet, dass in Gegenwart eines Seri ihre Pferde zu zittern begannen.
Von den Tarahumara, die sich selber Raramuri nennen, weiß man, dass sie meilenweit über Berg und Tal fußballgroße Steine mit ihren nackten Füßen vor sich her stoßen in ihrem traditionellen Ritual. So ein Raramuri ist auch in der Lage ohne weiteres 200km. im Nonstop-Dauerlauf zurückzulegen.
Die Yaki sind so gefürchtet als beinharte Krieger, dass sich die Armee gern ihrer bedient.
Die Bezeichnung Brujo, Hexer, die den Schamanen dieser Stämme von der katholischen Geistlichkeit als Verunglimpfung angehängt wurde, war ungewollt so zutreffend, dass sie haften blieb. Erwiesen ist, diese Brujos kennen sich bestens aus in Giften und Drogen aller Art. Auch mit der menschlichen Psyche verstehen sie zu spielen wie auf einem vertrauten Instrument. Was sie sonst so treiben, darüber kursieren die finstersten und haarsträubendsten Gerüchte.
He, was mache ich denn hier?
Ich lasse mich von meinen Gedanken völlig davontragen. Oder könnte es angehen, dass da schon jemand versucht, mich zu manipulieren?
Also reiß dich zusammen, Alfonso, und bleib bei der Sache!
Wo war ich stehen geblieben?)
„Also einen Compadre besuchen, das war alles, was du dort wolltest?“
(Ach was soll das? Die Frage hätte ich mir sparen können. War ja doch nur aus Verlegenheit. Ich bin mir sicher, das werde ich nie erfahren. - Bleibt mir also nichts anderes übrig als weiterspielen wie gehabt.)
„So, gesehen hast du rein gar nichts? Auch nicht, ob dem nun toten Señor irgendwer nachgegangen war in Richtung Toilettenräume?“
(Als ob ich mir das nicht hätte denken können. Überflüssige Fragerei.)
Juan Albanil konnte auf langjährige Übung zurückblicken, was das nichtssagend, leutselig in die Gegend gucken betraf. Er durfte sich damit unentdeckt aufgehoben wissen in dem uferlosen Tümpel allgemeiner Vorurteile. Indios vom Lande haben nun einmal simpel und einfältig zu sein. Alles andere würde unnötig Aufmerksamkeit erregen, käme eventuell dem zu nahe, was er tatsächlich dachte.
(Meine Aufgabe hat sich mit diesem Mord überraschend erübrigt. Wenn hier alles gelaufen ist, und die Anderen dabei sind, sich zu entfernen, werde ich unauffällig zurückfahren. Seit ich mir angewöhnt habe, weniger an vorgefassten Plänen festzuhalten, sondern abzuwarten, was sich so ergibt, wird es immer interessanter, was das Schicksal, oder wie man es nennen mag, einem so zuspielt. Zum Beispiel dieser Polizist da vor mir, der mich gerade so misstrauisch abklopft und mir am liebsten unter die Schädeldecke sehen würde. Er glaubt mir den schlichten Landbewohner nicht, lässt sich das aber nicht anmerken. Auch wirkt er anders als die meisten seiner Art, geradliniger und auch tatkräftiger. Könnte sein, dass er der Gesuchte ist. Einstweilen ist er noch gebunden an seine Dienststelle. Sollte mich nicht wundern, wenn sich daran in nächster Zeit etwas ändert. Das wäre der endgültige Beweis, dass er der Vorgesehene ist. Es werden sich dann immer noch Gelegenheiten bieten, ihn zu beobachten. Wenn der wüsste, was da auf ihn zukommt.)
„Der Nächste bitte.“
(Aha, US-Bürger. Woran erkenne ich das nur immer so leicht? Tippe mal auf Student.)
„David Mitchel ist ihr Name, wie ich dem Pass entnehme.“
(Sieht nach gut situierter Familie aus.)
„Danke, sehr freundlich ihr Angebot, das Gespräch auf Spanisch fortzusetzen. Aber ich spreche Englisch.“
(Wofür wohl habe ich schon vor Jahren mich der Mühe unterzogen, diese Sprache zu lernen? Wenn ich mir vorstelle, für diese Verhöre erst einen Dolmetscher anfordern zu müssen. Fraglich, ob wir da heute überhaupt noch zu Ende kommen würden.) „Sie sind von Beruf?“
(Aha, Student, habe ich mir also gedacht.)
„An der University of California, Los Angeles, Department of Music.”
(Da hätte ich jetzt auf was anderes getippt.)
„Was war der Anlass ihres Aufenthaltes in Mexiko?”
(Ein wenig Urlaub. So, so, vermutlich weil hier die Joints günstiger zu haben sind als in Kalifornien.)
Dave hatte eigentlich mehr so einen muffigen, korrupten Polypen erwartet, wie ihm aus einschlägiger Literatur vertraut.
(Oh, bitte, war ja nur ein Angebot, die Unterhaltung auf Spanisch zu führen. Immerhin, ein hiesiger Cop, der fließend Englisch spricht. Hätte schlimmer kommen können. Trotzdem kein Anlass, dem auch nur ein Wort mehr zu erzählen, als nötig. Dass ich zuvor auf Anraten meiner Alten einige Semester Literatur studiert habe, oder einige Artikel geschrieben für das Feuilleton von Dad´s Zeitung. Was geht den das hier an? Schon gar nicht, dass ich die heißen Bücher von Castaneda mehrmals und aufmerksam studiert habe. Bis ich es kapiert hatte, mehr als die anderen. Für die sind das Kultbücher, augenblicklich gerade mal in, aber morgen schon wer weiß welche anderen. Ich dagegen, bin jetzt selber auf dem richtigen Trip.)
„Wo ich den Urlaub gemacht habe?“
(Die paar LSD-Trips hatten nicht das Wahre gebracht. Und auch die selbstgebaute Pyramide im Vorgarten hatte nicht viel mehr, als nur die Nachbarn verärgert.)
„An der Pazifikküste in Mazatlan sowie in Guadalajara und in Guanajuato.“
(Aber jetzt ist es mir gelungen ihn aufzugabeln, den richtigen Meister. Auf der Busstation in Guaymas habe ich ihn gleich erkannt. Nun heißt es nur noch, ihn nicht mehr aus den Augen lassen. Ein Kontakt wird sich schon irgendwann ergeben. Aber das geht natürlich alles weit hinaus über das Verständnis eines Polizisten.)
„Nein, gesehen habe ich nichts Auffälliges.“
(Als ob mich das noch überrascht. Ein Freak ist er offensichtlich, aber kein Mörder. Da bin ich mir sicher.)
Dubioser war da schon dieser Jeff Henson, ein etwas in die Jahre gekommenes Blumenkind. Die langen Haare waren längst spärlicher geworden und wirkten nur noch lächerlich. Jeff Henson brachte sich schlecht und recht über die Runden mit allerlei Drogenkleinhandel. Gern und ausführlich fabulierte er darüber, was man alles verändern und verbessern sollte, in der Natur, bei den Lebensmitteln, bei Luft und Wasser, bei Pharmazeutika, im Sozialen und noch bei so manchem mehr. Lauter illustre Ideen zur Weltverbesserung. Sich selbst hatte er in dieser Aufzählung des Verbesserungswürdigem glatt übersehen. Angeblich war auch er auf Urlaub in Mexiko. Der naheliegende Verdacht auf Drogennachschub erübrigte sich. Schon die Grenzer hatten sein Gepäck unter diesem Gedanken gefilzt. Cuevas war nicht verwundert zu hören:
„Nein, bemerkt habe ich gar nichts.“
So richtig zwielichtig erschien ihm jedoch dieser Burt Winslow, seiner Aussage nach Handelsreisender. Er führte auch ein Köfferchen voller Muster von eleganten Herrenhemden mit sich. Was er wirklich machte, wusste niemand. Sein Gesicht zeigte jedenfalls nicht gerade die freundlich verbindliche Grimasse eines Vertreters. Angeblich arbeitete Burt Winslow als Freier und auf eigene Rechnung für die verschiedensten Hersteller. Cuevas Abneigung flüsterte ihm etwas in Richtung Berufskiller. Nüchterne Überlegung schob solches natürlich beiseite.
(Ein gar zu abenteuerlicher Verdacht, der ohne die geringste Bestätigung frei in meiner Phantasie herum baumelt. Aber vielleicht wäre eine Leibesvisitation ganz aufschlussreich, hätte interessantes zutage gebracht,