Die Midgard-Saga - Hel. Alexandra Bauer

Die Midgard-Saga - Hel - Alexandra Bauer


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du wirst großes Interesse daran haben, dass wir unauffällig in Hel bleiben“, wetterte Wal-Freya.

      „Ist Hermodr schon zurück? Hat er den alten Weg in die Unterwelt gefunden?“, fragte Tom.

      „Nein, lieber Tom, er ist noch nicht zurück. Aber es wird nicht mehr lange dauern. Bis dahin sollte Thea ihr Flammenschwert beherrschen.“

      „Auf jeden Fall! Aber jetzt ist ihre Anwesenheit von allerhöchster Dringlichkeit“, erklärte Baba Jaga.

      Wal-Freya verschränkte die Arme. „So, ist sie das? Wollt ihr wieder Steine auf Midgard werfen? Du bist mehrere hundert Jahre alt, Baba Jaga. Dieses Teenagerverhalten steht dir nicht gut zu Gesicht. Du, Juli, hast wenigstens ein Leben gelebt, das dir ein wenig Vernunft beigebracht haben sollte. Von Thea wollen wir an dieser Stelle gar nicht reden.“

      Mit unschuldigem Blick hob Juli die Hände. „Du sagst doch immer, dass wir unsere Erinnerungen an unsere alten Leben nicht bekommen haben, um uns darin zu verlieren.“

      „Was dir offensichtlich nicht schwerfällt“, erwiderte Wal-Freya trocken.

      Juli lachte und Thea ließ sich von ihrer Erheiterung anstecken.

      „Es wurde Zeit, dass du mal wieder lachst“, schmunzelte Juli und gab Thea einen Knuff.

      Baba Jaga schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass sich Kyndill beherrschen lässt. Thea versucht es seit so vielen Tagen.“

      Seufzend presste Wal-Freya die Lippen zusammen. „Vielleicht ist Thea einfach noch nicht stark genug.“

      Baba Jaga runzelte die Stirn. „Oder sie ist zu stark. Thea ist mit Kyndill verbunden. Möglicherweise muss sie nicht lernen, das Schwert zu beherrschen, sondern sich selbst.“

      Wal-Freyas Blick wechselte von der dreifaltigen Göttin zu Thea. Wal-Freya hatte den Sinn in Baba Jagas Worten nicht verstanden, aber sie schien darüber nachzudenken. Schließlich entspannten sich ihre Gesichtszüge. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. „Na los! Geh mit ihnen. Aber stellt bitte nichts an!“

      „Das war nur einmal! Und es ist doch gar nichts passiert!“, empörte sich Tom.

      „Wie sollten wir auch ahnen, dass die Steine ungebremst zur Erde fallen und nicht in der Atmosphäre verglühen?“, murrte Juli.

      Wal-Freya seufzte tief und legte den Kopf schief. „Vielleicht weil du auch nicht verglüht bist, als wir von Asgard nach Midgard geflogen sind?“

      Juli lachte. „Stimmt! Was für ein Glück!“

      Die Liebesgöttin hob den Finger in Theas Richtung. „In drei Stunden bist du zurück. Sei so lieb und halte dich dran.“

      Thea nickte dankbar. Dann lief sie Juli nach, die ihr verschwörerisch auf den Oberarm knuffte und vorauseilte. Sie querten Wal-Freyas Halle, in der Bygul und Trjegul zusammengerollt vor dem brennenden Kamin lagen. Kurz hoben sie die Köpfe, als sie die Freunde entdeckten. Tom schnappte sich einen Apfel vom Tisch und beschleunigte seinen Schritt, um zu Juli aufzuschließen. Diese öffnete bereits die Tür, trat ins Sonnenlicht und nahm den Pfad in Richtung der oberen Götterburgen.

      „Erzähl! Was gibt es so Geheimnisvolles?“, fragte Thea, als sie die Treppe erreichten.

      „Wir haben Alwis gefunden!“, erklärte Tom bedeutungsvoll.

      „Alwis?“, erwiderte Thea. Angestrengt und suchte in ihren Erinnerungen nach der Geschichte, die mit dem Namen verbunden war. „Was für ein Alwis?“

      Während ihr Atem schneller wurde, erklärte Juli: „Das ist der Zwerg, der Thrud heiraten wollte und den Thor bis zum Morgen mit Wissensfragen ablenkte.“ Sie nahm die Hände zur Hilfe, um die Treppenstufen zu überwinden.

      Hastig stolperte Thea ihrer Freundin nach. „Der Zwerg, der zu Stein geworden ist?“ Sie verfolgte Baba Jaga mit ihrem Blick, die flott an ihr vorbeieilte, und dabei immer zwei Stufen auf einmal nahm, ohne eine Spur von Erschöpfung zu zeigen. „Genau der! Du musst ihn dir anschauen, er sieht umwerfend aus!“

      Thea strauchelte über eine Treppenstufe und fing sich gerade noch, als Tom ihr die Hand entgegenstreckte. „Ich weiß nicht, ob ich mich daran ergötzen möchte“, erwiderte sie, nickte Tom dankbar zu und lief weiter.

      „Du verpasst etwas, wenn du ihn dir nicht ansiehst. Wirklich! Er steht in einem Hain“, versicherte Juli. Sie kam an einer Gabelung zum Stehen und schlug den Weg zu ihrer Linken ein.

      „Sif wird uns aus ihrem Garten werfen, wenn sie uns erwischt!“, mahnte Thea, die erkannte, dass Juli schnurstracks auf Thrudheim zuhielt, dem Teil Asgards, in dem Thors Saal Bilskirnir stand.

      „Quatsch! Du weißt doch, dass wir das Gastrecht genießen!“ Juli zwinkerte schelmisch.

      „Und das ist heilig in Asgard“, bestätigte Baba Jaga.

      Sie querten einen Pfad zwischen einer Ansammlung von Tannen, die so hoch und dicht standen, dass kaum ein Sonnenstrahl den Boden erreichte. Erst als sie aus dem Wäldchen auf eine Wiese traten, flutete die Sonne wieder ungehindert auf die Landschaft. Thea war in den letzen Wochen drei Mal in Thrudheim gewesen, dennoch staunte sie erneut über die Schönheit und die Magie, die diesen Ort umgab. Von weitem schien Asgard ein einziges Gebäude zu sein. Aber jeder Pfad zu den einzelnen Götterhallen warf eine neue Welt auf, offenbarte, dass jeder Gott in seinem eigenen kleinen Asgard wohnte. Thors Halle lag inmitten einer Hügellandschaft. Der Pfad zwischen den Grasnarben bestand aus einzelnen, goldenen Fliesen, zwischen denen sich Moose und Flechten ausbreiteten. Bilskirnir war wie alle Dächer der Götterburg von Reet bedeckt. Die Windbalken, die weit über den Dachfirst hinaus ragten, bildeten zwei Böcke, eine Ehrung an Tanngrisnir und Tanngnjostr, Thors tierische Gefährten.

      Sie folgten dem geschlängelten Pfad bis kurz vor den Eingang der Halle. Dort bogen sie zur Seite ab, um entlang der Stirnseite des Gebäudes zu laufen. Neben Gladsheim und Folkwang mit ihren Hallen Walhall und Sessrumnir, war Bilskirnir einer der größten Wohnorte in Asgard. So brauchten die Freunde eine Weile, ehe sie um die Ecke der Halle in einen Hain gelangten. Bäume mit flachen Kronen krümmten sich über dem von zarten Gräsern bewachsenen Boden und überdachten Findlinge und Farne. Vogelgesang schallte von den Bäumen, von überall her regte sich Leben. Ein Eichhörnchen sprang zwischen den Ästen, ein Fuchs blieb in einiger Entfernung stehen, setzte sich nieder und beäugte die Gruppe aufmerksam.

      „Das ist wunderschön“, sagte Thea fasziniert.

      „Nicht wahr? Und die Tiere haben alle keine Angst“, bemerkte Tom.

      „Wahrscheinlich weil Thor nur Jagd auf Rehe und Wildschweine macht“, schmunzelte Juli. Sie deutete in eine unbestimmte Richtung. „Hier lang!“

      Sie liefen ein Stück in den Wald hinein, bis Juli vor einer Statue stehen blieb. Die gedrungene Gestalt reichte Thea gerade bis zur Hüfte. Sie stand in breiten Stiefeln da, und war mit Tunika und Rüstung bekleidet. Ein Vollbart legte sich über ihre Brust. Jeder Gesichtszug der steinernen Figur wirkte so echt, dass es Thea schwer ums Herz wurde.

      „Faszinierend, oder?“, hörte Thea Juli sagen.

      Thea nickte. „Bedauernswerte Zwerge. Sie sterben, sobald sie das Sonnenlicht erblicken. Ich würde wahnsinnig werden, wenn ich ohne Sonne leben müsste.“

      „Er scheint unglaublich verliebt gewesen zu sein. Er hat so viel riskiert“, sagte Baba Jaga und berührte die Figur an der Schulter.

      „Vor allem aber rechnete er sich gute Chancen gegen Thor aus, wenn er darüber hinaus die Zeit vergaß“, merkte Tom an.

      „Wer würde Thor sowas auch zutrauen? Er ist zwar ein Hitzkopf, aber ich kenne ihn als sehr gerechtigkeitsliebend“, erwiderte Baba Jaga.

      „Eines Tages werdet ihr eigene Kinder haben und begreifen, dass man für sie alles tut“, mischte sich eine Stimme in ihr Gespräch. Alle drehten sich um. Über Theas Gesicht huschte ein Lächeln. Sif hatte sich ihnen lautlos genähert. Sie steckte in einem hellen Kleid. Zwei kostbare Fibeln über


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