Hugo Wietholz – ein Diakon des Rauhen Hauses – Autobiographie. Jürgen Ruszkowski

Hugo Wietholz – ein Diakon des Rauhen Hauses – Autobiographie - Jürgen Ruszkowski


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Remé in der St. Gertrud-Gemeinde. Zu Ostern erfüllte sich mein Wunsch, ins Seminar DW II - Diakonsklasse zu kommen. Am ersten Schultag hatte ich gleich eine Auseinandersetzung mit zwei Dozenten: Sie fragten, warum ich kein Abzeichen der Partei trüge. Zwei Stunden lang versuchte man, uns vom Nationalsozialismus zu überzeugen. Unsere Antwort vor ca. 12 Schülern: "Wir sind in der bekennenden Kirche." Dies schlug natürlich wie eine Bombe ein. Eine Dozentin wollte uns klarmachen, dass es ums Rauhe Haus gehe. Wir säßen alle in einem Boot! Wir aber nicht! Daraus ergab sich eine Unstimmigkeit unter den Schüler-Brüdern. Ältere wollten austreten. Wir verabredeten am Nachmittag im Blohmspark ein geheimes Treffen, denn im Rauhen Haus waren wir uns nicht sicher genug. Viele der älteren Brüder gehörten ja verschiedenen Parteiorganisationen an. Im Park kam dann eine Aussprache zustande. Manche wollten austreten und nach Moritzburg gehen, was dann auch geschah. Mein Entschluss galt für alle anderen: Durch Weggehen ändern wir nichts. Aushalten, auch unter schwierigen Bedingungen. Es wird die Stunde kommen, wo es wieder anders werden wird.

      In der nächsten Zeit wurden wir schulwissenschaftlich auf Vordermann gebracht. Hier nahm sich Bruder Germer viel Zeit. Wir profitierten von dem, was er uns mitgab, doch eine ganze Menge. Von der Wichernschule tauchte auch ein Lehrer auf, der für Biologie zuständig war, auch ein SS-Mann. Er versuchte, uns zusammen mit seiner Kollegin zu beeinflussen und erreichte das Gegenteil. Bei den Auseinandersetzungen ging es hart her, und in der I. Etage lagen Füßinger und Jahnke aus dem Fenster und hörten mit. Man wagte aber nicht, uns zur Rede zu stellen, sondern suchte wohl einen Ausweg. Habe mit den verantwortlichen Leuten verhandelt, um 14 Tage Urlaub zu bekommen, um nach Borkum ins Bibellager zu fahren. Dies wurde von der RH-Leitung genehmigt. Nun sollte auch Lisa mit. Das Hindernis waren die Eltern. Flugs kaufte ich einen Blumenstrauß und besuchte Lisas Eltern. Stellte mich als Diakonsschüler des Rauhen Hauses vor und betörte die Mutter mit meinem nicht vorhandenen Charme. Immerhin, nach langem „Wenn und Aber“, bekamen wir die Genehmigung gemeinsam zu reisen. Hoffentlich bekämen sie ihre Tochter heil wieder. Wir sind vom Hauptbahnhof Richtung Bremen mit dem Zug gefahren. Unsere Fahrräder hatten wir aufgegeben. Ab Bremen ging es per Pedes nach Apen ins Pfarrhaus. Pastor Stöver und Frau nahmen uns herzlich auf. Es sollte der letzte Besuch sein. Später hörten wir, das Pfarrhaus sei von einer Bombe vernichtet worden. Eigentlich lag es ganz abseits von Emden. Des Pfarrers Auslegung des Alten Testaments war immer auf die bedrohte Zeit durch Hitler ausgelegt. Von Emden fuhren wir mit der Fähre nach Borkum. Das Heim des Jungmänner-Verbandes Deutschland hieß Waterdelle. Wir verlebten schöne Tage der Gemeinsamkeit mit den jungen Leuten, die aus ganz Deutschland gekommen waren. Paul le Seur hielt uns in den Dünen die Bibelarbeit, die immer sehr ergiebig war. Unser Glaube bekam sehr viel Stärkung. Bei einer Stunde klang so etwas von einem Ahnen durch, dass die kommende Zeit schwierig werden könnte. Wir erlebten unsere Ferienfreuden: Viel Baden, Bootsausfahrten, Besichtigung von Borkum, suchten die Häuser der ehemaligen Walfänger, deren Gartenzäune mit Walknochen bespickt waren. Die Freizeit ging zu Ende, und wir fuhren mit dem Rad zurück durch Friesland, übernachteten auf einem Bauernhof. Von dort ging es am anderen Morgen nach Bremerhaven zu der Familie von Großmutter Hinzes Stiefschwester. Am nächsten Tag besuchten wir den Sohn des Pfarrers v. Busch. Es war ein herrlicher Tag. Keiner ahnte, dass wir mit den Senioren des Rauhen Hauses ca. 40 Jahre später Ringstedt nochmals aufsuchen würden. Der Pastor dort hielt uns in der Dorfkirche die Abendandacht. Vorher hatten wir den alten Busch gefunden und besucht. Er erinnerte sich an die Gabriels. Von Ringstedt ging es, mit großer Mühe für Lisa, mit dem Rad weiter nach Moisburg. Wir schliefen sehr primitiv in Pastor Schwiegers Jugendheim. Von dort fuhren wir dann nach Hamburg. Lisa ging zu ihren Eltern und ich ins Rauhe Haus.

      Ich wurde jetzt mal in jeder RH-Familie eingesetzt, im Haus Eiche bei Bruder Fahrni, dann im Köcher bei den Lehrlingen. Morgens hieß es früh aufstehen. Auf Widerruf war ich bei Bruder Noack im Bienenkorb. Im Rauhen Haus war der Kampf der Diakone entbrannt. Ackermann aus der Wichernschule war strammer Parteigenosse der Nazis im Bund mit der NSDAP-Kreisleitung aus Blohmspark. Wegeleben war kurz vor dem Weggang.

      Lisa und ich wollten uns bald verloben. Wir wurden gebeten, im Rauhen Haus die Ringe nicht öffentlich zu tragen, ältere Brüder könnten Anstoß daran nehmen. Blöd, aber so war es im Rauhen Haus: Keine Bräute während der Ausbildung. Pastor Wegeleben hatte man hinausgegrault, und ein neuer Direktor kam: Pastor Donndorf, der nun den Kampf mit Ackermann aufnehmen musste.

      v. l. n. r: Pastor Donndorf, August Füßinger, Bischof Lilje (Foto aus den 1950er Jahren)

      Eines Tages war es dann soweit, alle Familienleiter und Gehilfen mussten zu einer Versammlung, wo hohe Tiere der Partei dabei waren. Man musste sich entscheiden: Das alte Rauhe Haus mit seiner Erziehungsmethode fliegt auf, oder es wird eine SS-Heimschule. Das Personal wollte man mit übernehmen. Ich hatte zu der Zeit Dienst in der Zentrale und wartete auf eine richtige Entscheidung. Erziehungsarbeit im Rauhen Haus aufgeben, war meine Parole. Bruder Helmut Wittmack kam zu mir in die Zentrale und berichtete. Unter dem Druck von Ackermann und dem Kreisleiter hatte man sich für die SS-Heimschule entschieden. Helmut berichtete: Ackermann hätte gesagt, Christen und Nationalisten seien ja dasselbe. Darauf Helmut Wittmack: „Die sind wie Feuer und Wasser.“ Darauf Ackermann, er wolle es nicht gehört haben, nächstes Mal werde er ihn anzeigen. Wir aber waren von der Entscheidung bedient. Die Führung des Rauhen Hauses hatte kein Rückgrat gezeigt. Aber was für ein Wunder: Der Direktor Engelke war ja bei Reichsbischof Müller Reichsvikar geworden. Zwischendurch hatten wir in der Stadthalle in Harburg den Reichsbischof erlebt. Armer Mann, schweißwischend stand er am Rednerpult, seine Leibwache der SA als Saalschutz. Er, der Bischof, legte das Gleichnis vom verlorenen Sohn aus und zeigte auf Gott, holte auch den verlorenen Sohn heim, den Christus. Hier aber irrte dieser Reibi, wie wir ihn nannten, denn die ausgebreiteten Arme des Vaters sind ja Jesu Arme, denn nur durch ihn geht der Weg zum Vater. „Ich“, spricht Jesus, „bin der Weg und die Wahrheit. Niemand kommt zum Vater, denn durch mich.“ Weil die Nazis Jesus als Juden ablehnten, musste man solche Auslegung bei den Deutschen Christen konstruieren.

      Im Rauhen Haus passierte viel Kleinkram. Von der Küche wurde ich zum Schlachtfest eingeladen. Mit Lisa machte ich abends viele Spaziergänge. Trotz Verbots!

      Der 1. September 1939 kam, und Hitler ging zum Angriff auf Polen über. Vorher hatte er einen Vertrag mit Stalin abgeschlossen, der viel Staub aufwirbelte in der Welt. Man hatte halb Polen an Russland verschachert und die andere Hälfte nahm sich Hitler. Die Baltenstädte gingen auch an Russland, ohne diese Völker zu fragen. Womit Hitler nicht gerechnet hatte: Frankreich und England erklärten Hitler den Krieg. Jetzt hatten wir den Salat. Hitler hatte sich schon vorher die Staaten Österreich und die Tschechei vereinnahmt. Im Blitzkrieg wurde Polen niedergeworfen.

      Wegen meines Magenleidens war ich auf der Krankenstation, wo ein alter Herr mit mir aß. Als er die Siegesfanfaren über Polen hörte, sagte er uns: „Was ist schon von Polen zu holen, als ein paar Stiefel ohne Sohlen.“ Dies habe ich nicht vergessen können, denn er sollte nur recht haben mit diesem Ausspruch. Unsere Klasse wurde bald aufgelöst. Viele Brüder wurden eingezogen. Wir halfen uns, wie wir nur konnten, in der Familie.

      Im November 1939 bekam ich den Marschbefehl, zum Kattendorfer Hof bei Kaltenkirchen zu ziehen. Vom Rauhen Haus kamen hierher die schwierigsten Jungen. Dort regierte Bruder Graul, zu dem ich nie ein gutes Verhältnis bekam. Bevor ich das Schweizerhaus mit den Zöglingen übernahm, gab Graul Arbeitsanweisung, in der Erziehung habe nur er das Recht der Züchtigung. Nun wurden bei uns ja auch Brüder von Zöglingen verprügelt. Dies Glück wollte ich mir ersparen und regierte im Schweizerhaus so mit den Zöglingen, dass wir ganz gut miteinander auskamen. Einmal bekam ein ganz fieser Bursche doch mal eine Tracht Prügel, weil er etwas geklaut hatte, was er nicht wieder hergeben wollte. Die gestohlene Uhr fanden wir aber in einem Lampenschirm. Einmal holte ich einen Zögling bei Rendsburg ab, der ausgekniffen war. Man musste schon höllisch aufpassen, dass er unterwegs nicht wieder abhaute. Wir arbeiteten auf dem Feld und mussten Mist ausstreuen. Im Winter wurde in der Scheune gedroschen. Es gab auf dem Hof immer etwas zu tun.

      Weihnachten hatte ich Urlaub und konnte bei Gabriels schlafen. Das Fest verlebte ich dort in der Familie. Lisas Großmutter in Billstedt lernte ich dabei auch noch kennen. Es ging zurück auf den


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