Hugo Wietholz – ein Diakon des Rauhen Hauses – Autobiographie. Jürgen Ruszkowski
heute kann man sehen, wie hoch das alte Dach gewesen ist, an der Turmwand sieht man die alte Markierung. Überhaupt hatten wir dort an den drei Pastoraten viel zu tun. Oft waren wir in dem ersten Pastorat an der Fruchtallee. Dort wohnte Pastor Mummsen mit Frau und vielen Kindern. Bei einer Arbeit erlebte ich etwas Unvergessliches. Der Pastor kam nach Haus und rief im Treppenhaus: „Miezi bist du da?“ Von oben kam die Stimme seiner Frau: „Ja, Putzi ich bin hier.“ Wir haben uns über diese Begrüßung köstlich amüsiert. Noch heute brauche ich bei Lisa mal diese Anrede.
Noch etwas aus der Arbeitswelt, was nicht verschwiegen werden soll und sich ja später in einer anderen Gemeinde wiederholen sollte. Vor Weihnachten mussten immer zwei große Christbäume mit elektrischen Kerzen bestückt werden. Ich turnte dann mit einer langen Leiter um die Bäume herum, um sie mit den Kerzenketten zu behängen. Wenn dann alle Kerzen brannten, hatte ich ein stolzes Gefühl des Erfolges.
Eines steht fest, mein Beruf war sehr abwechslungsreich, manches habe ich auf diesen Kundschaftsfahrten erlebt, manches Gespräch geführt und dabei viele Menschen kennen gelernt.
Wie gesagt, unsere Jugendarbeit war trotz der Eingliederungsversuche nicht kaputt zu machen. Wir bekamen oft ältere Jungen, die bei uns mitmachen wollten. Unter anderen drei Brüder Schmidt, deren Mutter später sogar zu unserer Trauung in die Martinskirche kam. Dann war da Helmut Wittmaak, den wir „Langes Hemd“ nannten, der nach mir auch ins Rauhe Haus ging. Und Rudolf Wentorf, der Kirchenmusiker werden wollte und bei uns den Spitznamen „Halbe Note“ bekam. Viel später, so nach 40 Jahren trafen wir uns wieder, da war er Pastor in Seedorf am Schaalsee.
Da das 40ste Jahresfest der Concordia bevorstand, wurde zeitig ein Festprogramm aufgestellt und ein Laienspiel einstudiert. Aus dem Nordbund des CVJM hatte ich Pastor Forck, der auch Pastor in Hamm war, als Festredner gewinnen können. Wir waren mächtig dabei, damit das Fest gut gelingen sollte. Eine Bühne im Saal wurde erstellt, und zum ersten Mal hing die Fahne mit dem Kreuz auf der Weltkugel im Saal. Später wurde dieses Symbol das Zeichen der gesamten Evangelischen Jugend Deutschlands. Wir hatten die Werbetrommel tüchtig gerührt, auch die alten Concorden wurden eingeladen.
Der Abend war gut besucht und alles klappte vorzüglich. Erst am Schluss gab es in der Garderobe eine Auseinandersetzung mit einigen alten Concorden, die in SA-Uniform gekommen waren. Man warf uns vor, wir hätten die Concordia verraten, und es wären staatspolitische Dinge zum Vorschein gekommen, die sich gegen den Staat richteten. Bei ihrem Abgang hieß es, wir würden noch so einiges erleben.
Später, als ich mit Pastor Forck in der Martinskirche zusammenarbeitete, erzählte er mir, auf Grund dieses Jahresfestes und seines Vortrags, sei er zur Gestapo befohlen worden. Mit den Concorden, die heute noch leben, sind wir stolz, dass wir damals solche Feier haben durften. Wir sangen damals das Lied: „Wach auf, wach auf du deutsches Land...“
Im Tausendjährigen Reich wurde man immer kühner, das Rheinland war jetzt frei, nun kam die Tschechoslowakei dran, dann Österreich, und danach begann die Judenverfolgung ganz massiv. Als im Eppendorfer Weg bei einigen Juden, die Geschäfte zertrümmert wurden und die Synagogen brannten, wurden wir hellwach. Hatte nicht Hitler schon in „Mein Kampf“ allerlei Drohungen ausgestoßen. Jetzt hieß es: „Juden raus zum Arbeitseinsatz“. Wie man aber mit den Juden in den KZs umgegangen war, das kam für uns erst bei der Besetzung durch die Amerikaner heraus. Wohl ahnten viele von dem wüsten Treiben der SS etwas, aber das schreckliche Vernichten in den Gaskammern, wurde uns erst zu spät bekannt.
In Hamburg ging die Arbeit ihren gewohnten Gang. Wir schlugen uns recht und schlecht durch und merkten immer mehr, wo die sogenannte Reichspolitik hintrieb. Es roch nach Kriegsvorbereitung. Bischof Lilje und Niemöller hatte man verhaftet und die Deutschen Christen machten sich in der Kirche mausig.
Im Sommer waren wir wieder auf Borkum und erleben schöne Tage. Wir hatten viel inneren Gewinn. In der Freizeit sahen wir uns auch mal auf der Insel um. Borkum entwickelte sich langsam zu einem großen Seebad. Es gab aber auch noch die kleinen Häuser, deren Gärten mit großen Walknochen eingezäunt waren. Hier konnte man sehen, dass die Borkumer früher Walfänger waren, mancher Reichtum zeugt von dem damaligen Erfolg. Wir haben auch mal einen tüchtigen Sturm erlebt, an der Kurpromenade spritzte die Gischt haushoch. Die Nordseite der Insel muss jedes Jahr neu befestigt werden, denn das Meer frisst immer wieder an einigen Stellen. Früher konnte man die Nordseite nicht richtig befestigen und so hat der blanke Hans immer große Teile weggespült und manches Dorf versank.
Unsere Lagerleitung holte manchmal einen bekannten Borkumer Seemann zum Erzählen. Dabei wurde auch Seemannsgarn gesponnen, aber auch manche wahre Begebenheit kam zur Sprache. Wenn ein Schiff auf dem gefährlichen Borkumriff gestrandet war, waren die Borkumer als Strandräuber schnell zur Stelle, ehe der Strandvogt kam, um das angeschwemmte Strandgut zu beschlagnahmen. Wenn eine Zeitlang kein Schiff gestrandet war, war am Strand ein falsches Signalfeuer entzündet worden, um mal wieder Beute machen zu können. Wir waren von diesen Erzählungen des alten Seebären sehr angetan.
Eines Tages wurde mir im Lager gesagt, aus Hamburg käme ein Pastor Wegeleben vom Rauhen Haus. Er sollte mit dem Flugzeug kommen, ob ich ihn wohl abholen würde. Also hin zum Inselflugplatz, gerade war die alte JU gelandet, und der Pastor entstieg dem Flugzeug. Wir machten uns bekannt und gingen zum Lager, wo Pastor Wegeleben später vor der Lagergemeinschaft einen Vortrag über das Rauhe Haus hielt. Er berichtete über die Ausbildung von jungen Männern für den Diakonenberuf in der Kirche. Von den Ausführungen des Redners und dem Prospekt über die Diakonenanstalt war ich ganz angetan, und später kam dann der Entschluss, mich im Büro des Rauhen Hauses zu melden.
Ich schrieb einen Lebenslauf für die Anmeldung im Rauhen Haus und hatte ein Gespräch mit Tilman Frieß, über die beruflichen Möglichkeiten eines Diakons. Er meinte, ich könne auch Beamter werden. Ich aber wollte eine Ausbildung als Gemeindediakon machen und nicht zum Beamten. Ich bat gleichzeitig auch noch um etwas Zeit, um die Arbeit in der Concordia zunächst weiter zu machen. Von 1938 bis 1939 gelang es noch – später musste einer der anderen Concorden ran.
Wir feierten 1938 das Kirchweihfest der Bethlehemskirche mit. Mutter bekam eine Arbeit im Eppendorfer Krankenhaus. Sie war natürlich mit meinem Eintritt ins Rauhe Haus nicht einverstanden. Aber der 31. März 1938 war der Tag, ab dem es kein Zurück mehr gab. Bei Klempnermeister Lampe, Eichenstraße 27, schien mein Schritt kein Unbehagen auszulösen. Ersatz war da. Eine liebe Kundin aus der Alardusstraße wünschte mir Gottes Segen. Meine letzte Arbeit im März hatte ich im Pinneberger Weg. Ich musste eine neue Dachrinne anbringen.
Diakonenausbildung im Rauhen Haus
Der 31. März 1938 war mein erster Tag im Rauhen Haus. Bruder Wörwag machte mit uns einen Rundgang durch die Anstalt.
Sonst gab es nur Anweisung zum Schlafen im Haus Tanne in einem Zimmer mit mehreren Anwärtern. Die nächsten Tage brachten für mich den Einsatz bei Arbeiten in der Anstalt. Ich war mit 29 Jahren eingetreten. „Was machen wir mit dem jungen Mann?“ Erst einmal musste ich zu Bruder Düwel, ein beliebtes Haus. Der hatte das Brüderbüro unter sich. Ich bekam den Vertrag zum Eintritt. Bei Austritt wären 3.000 Reichsmark fällig. 35 RM für Bücher und Unterhalt meiner Mutter. Was mich wunderte: Es gab keine Betreuung der jungen Brüder. Die zum Teil Älteren hielten sich sehr reserviert.
Wie ging es nun weiter im Rauhen Haus? Immer mehr junge Anwärter kamen. Wir lernen uns kennen, und weil nichts geschah, organisieren wir eine Gruppe. Zwischendurch wurde ich Pförtnerbruder: Telefonzentrale bedienen (stöpseln), Post in die Fächer einordnen, für Führungen den Schlüssel fürs alte Rauhe Haus herausgeben. Weil ich an den