Hugo Wietholz – ein Diakon des Rauhen Hauses – Autobiographie. Jürgen Ruszkowski

Hugo Wietholz – ein Diakon des Rauhen Hauses – Autobiographie - Jürgen Ruszkowski


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erzählen. So langsam machte sich die Hitler-Jugend mausig. Sie wollte Staatsjugend sein und duldete keine kirchlichen Verbände neben sich. Mehrere Male war der Schaukasten am Gemeindehaus eingeschlagen. Wir aber haben immer wieder neue Plakate hineingehängt, zum Ärger der HJ. Immerhin machten wir noch unsere Fahrten.

      So langsam wurde es politisch gefährlich. Es wurden Großkundgebungen im Sportpalast in Berlin abgehalten. Hitler und seine Männer mussten sich Gehör verschaffen. Auch die Deutschen Christen melden sich, es sollte eine neue Kirchenverfassung her. Ein Gesetz wurde durchgepaukt: Nichtarier durften nicht mehr Mitglied der Kirchen sein. Und das ließen sich die Bischöfe gefallen, außer Maharens in Würtemberg, Lilje in Hannover und Dibelius in Berlin. Die traten sogar vor Hitler und fordern, er solle seine Hände von der Kirche lassen. Natürlich fand man bei Hitler kein Gehör.

      Wir schrieben das Jahr 1935, es wurde ein gefährliches Jahr für uns. Einmal kam der Reichsbischof Müller nach Harburg und sprach in der Stadthalle. Wir fuhren hin: Was für ein Krampf. Er hatte eine Saalwache aus SA-Leuten bestellt und sprach über das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Er redete von Gott und dem Volk, das heimkehre und vom Vater-Gott wieder aufgenommen werde. Von Jesus Christus war überhaupt keine Rede. Und dabei ist es doch Jesus Christus, in dem Gott dem Menschen entgegen kommt. Nichts davon bei dem Reichsbischof. In meiner Erinnerung sehe ich diesen Müller nur schweißtriefend auf dem Rednerpult stehen, armer Mann. Nach dem Krieg fand ich in der Zeitung eine kleine Notiz, er habe sich das Leben genommen.

      In Hoheluft flatterte mir ein Zettel auf den Tisch, ich solle alle Juden und Halbjuden aus der Jugendarbeit ausweisen. Diesem Befehl von Pastor Clausen, DC-Mann und förderndes Mitglied der SS, konnte ich natürlich nicht folgen. Wenn ich mich nicht für die Bischöfe Müller und Tügel entscheide, müsste ich die Schlüssel für das Gemeindehaus abgeben, die Jugendarbeit würde von Pastor Horn übernommen werden.

      Daraufhin haben Herbert Künzel und ich uns mit Luthers Großem Katechismus auf den Weg zu Clausen gemacht. Ich hatte den Schlüssel in der Tasche, aber auch unseren Entschluss, keiner der beiden Bischöfe werde von uns anerkannt. Wir sagten dem Clausen, er solle den Absatz 7 im großen Katechismus einmal lesen, wir beugten uns keinem Diktat, wir gehörten zur Bekennenden Kirche und hofften, ihm, Pastor Clausen, später einmal die Hand geben zu können. Dann zogen wir ab. Noch am selben Tage, holten alle Sippenführer ihre Leute vor dem Gemeindehaus zusammen. Wir erzählten von unserem Entschluss. Wer bei dem neuen Jugendleiter bleiben wolle, solle das gerne tun. Aber was geschah? Alle wollten lieber mit uns ins Abenteuer ziehen, als im Gemeindehaus zu bleiben. Jetzt wurde abgesprochen, wenn wir ein neues Heim gefunden hätten, würde dies durch die Läufer der einzelnen Sippen bekannt gemacht. Nun ging ich auf die Suche und landete im Pfarrhaus der Phillipuskirche in der Bismarckstraße. Dort am Platz gab es einen Konfirmandensaal und ein Kirchenschiff ohne Turm. Mit dem Pastor Jensen kam ich schnell ins Reine. Unsere Concordia durfte im Konfirmandensaal ihre Stunden abhalten. Dies ging eine Zeitlang gut, bis ich eines Nachmittags unsere Leute vor dem Pfarrhaus versammelt antraf. Auf meine Frage, was los sei, hörte ich, dass der Pastor uns nicht mehr in den Saal ließe. Ich hab also nachgefragt und hörte, Pastor Clausen habe angerufen und darauf aufmerksam gemacht, dass ich gegen den Reichsbischof und Tügel sei. Solche Leute seien in der Kirche nicht tragbar und so müssten wir raus. Nun waren wir wieder vogelfrei, und ich lief durch die Straßen, um ein Lokal zu finden. Überall wollte man für die leerstehenden Läden Miete haben, wir aber hatten kein Geld.

      Hinter dem Gemeindehaus verlief die Alsenstraße. Dort sah ich auf dem Hof eines Etagenhauses eine Wellblechbaracke, die leer stand. Beim Verwalter fragte ich nach dem Eigentümer und bekam eine Telefonnummer in Rissen. Nach einem längeren Gespräch, in dem ich unsere Lage schilderte, gab der Mann, den ich nie gesehen habe, die Einwilligung, dass wir die Baracke benutzen dürften. Der Verwalter bekam die Anweisung, uns den Schlüssel auszuhändigen. Bei den Jungen war der Jubel natürlich groß. Der Raum musste noch wohnlich hergerichtet werden, auch ein kleiner Kanonenofen wurde beschafft. Die Jungen brachten alles herbei, Hocker und Kohlen für den Ofen. So konnten wir unsere Stunden wieder aufnehmen.

      Im Hintergrund versuchte die HJ, uns Schwierigkeiten zu machen. In der Wrangelstraße hatte dieser Verein sein Unterbannbüro. Ein gewisser Hohmann, der sich aufspielte, die einzige deutsche Jugend zu vertreten, verlangte von mir, ich solle mich wegen der Concordia verantworten. Da saßen dann seine Unterführer mit ihm, mir gegenüber und wollten mir klar machen, dass der deutsche Mensch zuerst einmal Nationalsozialist sei. Ich aber entgegnete ihm, durch die Geburt und Gottes Willen sei er Deutscher. Man musste mich ziehen lassen. Unsere Arbeit war nicht illegal. Ich hatte den Leiterausweis vom Jungmännerwerk mit dem silbernen Eichenkreuz. Wenn auch die Kirche nicht ihre Hand über uns hielt, dem Verband, der ja ein kirchlicher war, konnten sie nichts anhaben.

      Diesen Hohmann traf ich nach dem Krieg, in einem Gefangenenlager am Rhein, wieder, wo er vor seinem Zelt saß und vergangenen Zeiten nachtrauerte. Zum Gottesdienst, zu dem ich ihn einlud, wollte er nicht kommen. Ja, dass es mal so kommen sollte, damit hatten diese Angeber nicht gerechnet.

      Doch zurück zu 1935: Vom Reichsverband der Jungmännerbünde wurde eingeladen, im Sommer ein Bibellager auf Borkum mitzumachen. Mit einer kleinen Gruppe sind wir dann über mehrere Jahre immer zu diesem 14tägigen Lager gefahren.

      Wir fuhren mit dem Rad Richtung Emden. Unterwegs konnten wir in Apen in dem Pfarrhaus übernachten. Wir hatten ein herzliches Verhältnis zu Pastor Stöver. Bei der Morgenandacht legte er Texte aus dem Alten Testament so aus, dass das Reich Adolf Hitlers dem Untergang geweiht sei. In Emden sind wir auf die Fähre gestiegen und nach Borkum geschippert. Am Anlegesteg auf Borkum wartete die Inselbahn und brachte uns zur Waterdelle. Dort hatte der CVJM ein Grundstück mit einem Wirtschaftshaus. Ringsum in den Dünen standen die Zelte. Wir hatten berühmte Männer aus dem Werk, die hielten uns die Bibelarbeit. Über 100 junge Männer saßen morgens in den Dünen und lauschten den Worten von Paul le Seur, der es besonders gut verstand, uns das Wort Gottes lebendig auszulegen. Zu bestimmten Zeiten, wegen der Tide, durften wir in der Brandung baden. Ich war der Gruppe der Rettungsschwimmer zugeteilt, denn ich hatte zuvor im Kellinghusenbad die Prüfung zum Rettungsschwimmer abgelegt und dabei die silberne Nadel erworben. Anfangs waren es noch unbeschwerte Stunden. Später musste bei Freizeiten immer erst eine Genehmigung eingeholt werden, denn die Partei wollte wissen, was die evangelische Jugend so trieb.

      Inzwischen hatten wir mit unseren Jungen ausgemacht, jeden Morgen treffen wir uns in unserer Baracke zur Morgenandacht, soweit jeder Zeit hatte. Wir waren immer eine kleine Gruppe, die mit Gottes Wort in den Tag ging. Nach einem halben Jahr sah der Kirchenvorstand ein, der Wille der Concorden war nicht zu brechen, und wir durften wieder im Gemeindehaus unsere alten Räume einnehmen. Die Hitlerjugend hatte dabei das Nachsehen.

      Zu Pfingsten 1936 wurde vom Reichsverband zu einem Jungmännertreffen nach Danzig eingeladen. Danzig war Freistadt, um dorthin zu kommen, brauchte man einen Pass und musste durch den polnischen Korridor fahren, den die Feinde Deutschlands damals beim Friedensvertrag Polen zugesprochen hatten. Den ersten Pass mit dem polnischen Vermerk und der Quittung über 5 RM habe ich heute noch, wenn er auch jetzt nicht mehr gültig ist. In Danzig haben wir an den Veranstaltungen des Männerwerks teilgenommen, dann aber auch die alte Hansestadt besichtigt, den Artushof, den Dom und den alten Kran. Dabei gab es einen Zusammenstoß mit Führern der HJ, die uns die neuesten Nachrichten um die Ohren schlugen. Es gäbe nur eine Staatsjugend und das sei die Hitlerjugend. Alle anderen Verbände würden aufgelöst werden. So hatten alle Bemühungen, die christliche Jugend zu erhalten, nichts genutzt, es war ja auch nicht anders zu erwarten gewesen.

      Jetzt gingen wir harten Zeiten entgegen. Im Heim hatten wir uns Hitlers „Mein Kampf“ vorgenommen. Dieses Machwerk wurde zerpflückt und kritisiert. Das muss wohl auch nach draußen gedrungen sein. Auf Umwegen hörten wir, dass die SA unser Heim stürmen und auseinander nehmen wolle. Also mussten wir auf der Hut sein. Inzwischen begannen die HJ und die SS gegen uns zu hetzen und Lügen zu verbreiten. Wir aber demonstrierten mit Wimpeln und Fahnen in Hamburgs Straßen. Auch durch die Mönckebergstraße ging unser Marsch mit dem Lied: „Es rauscht durch deutsche Wälder...“ Refrain: „Deutsche Jugend heraus!“ Ein Vers lautete: „Erst vom eitlen


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